Immer mit der Ruhe Gerupftes Schwein erobert die Küche
09.07.2016, 09:27 Uhr
Hannah Grants langsam gebratene Schweineschulter ist saulecker, nur für das Schwein nicht.
(Foto: © Hannah Grant)
"Low and slow" heißt die Devise, soll aus einem sehnigen Stück Schwein dieser wahnsinnig zarte Imbiss entstehen, der auch deutsche Street-Food-Stände aufmischt. Mit wenig Aufwand lässt sich das auch in der heimischen Küche meistern.
Ein gerupftes Huhn hat mit einem gerupften Schwein absolut nichts zu tun. Ein gerupftes Huhn ist das optische Bild und der seelische Zustand eines Menschen nach einem missglücktem Friseurbesuch; denjenigen wohlbekannt, die es hinter sich haben und Horrorvorstellung all jener, denen diese Erfahrung bislang fehlt. Ein gerupftes Schwein allerdings gehört zu den höchsten aller Genüsse, wobei an ihm mehr gezupft statt gerupft wird und es beileibe auch kein ganzes Schwein ist. Gezupftes, gerupftes oder zerpflücktes Schwein macht uns jedoch weitaus weniger an als "Pulled Pork", obwohl es dasselbe ist, nur amerikanisch. Böse Zungen behaupten ja, dass Pulled Pork nichts anderes ist als Schweinebraten, nur nicht bieder-bayerisch und mit Knödeln und Blaukraut, sondern cool-amerikanisch und mit Buns und Coleslaw. Stimmt nicht, denn unser Sonntagsbraten hat mit Pulled Pork nur das Ausgangs- und Basisprodukt gemein: das Schwein.
Pulled Pork gehört wie Sparerib (gegrillte Schälrippen) und Beef Brisket (gegrillte Rinderbrust) zur "Heiligen Dreifaltigkeit" des amerikanischen Barbecues – nicht etwa, weil die Rezepte besonders kreativ oder detailreich sind, sondern weil die Zubereitung sehr lange dauert sowie Geduld und Fingerspitzengefühl verlangt. Das Geheimnis dieser BBQ-Königsdisziplin ist das Low-and-Slow-Garen: Die Fleischstücke werden bei recht niedrigen Temperaturen (80 bis 100 Grad Celsius) ziemlich lange (10 bis 16, auch mal 24 Stunden) in einem Smoker geräuchert und gegrillt, wodurch sie so zart werden, dass sie später förmlich im Mund zerschmelzen. Zuvor wird das Fleisch mit einem würzigen Rub (Gewürzmischung) rundherum eingerieben und dann für 12 bis 24 Stunden im Kühlschrank mariniert. Während des Grillens sowie bei möglichst konstanter Temperatur wird das Fleischstück ab und zu mit einer Sauce gemoppt, aber nicht zu oft, weil sich pro Öffnen des Grills die Garzeit um 20 bis 30 Minuten verlängert. Das fertige Stück muss dann noch mal – schön eingewickelt – 30 bis 60 Minuten ruhen. Und dann ist es endlich so weit: Das Fleisch kann nun mit Gabeln oder den Fingern (Ein bisschen heiß ist es schon noch!) auseinandergezupft (gepullt), mitsamt Krautsalat in ein Burger-Brötchen (Bun) gestapelt und je nach Gusto mit etwas BBQ- oder Essig-Sauce beträufelt werden. Schmeckt köstlich, lässt sich aber nur unter Zuhilfenahme von vielen Servietten unfallfrei genießen!
Hört sich alles verdammt kompliziert an, es sei denn, Sie haben einen Grill-Profi zur Hand, der am Smoker Dauerwache schiebt. In den USA, wo Pulled Pork regelrecht zelebriert wird, übernehmen Pitmaster diese Arbeit und die Esser können sich genüsslich zurücklehnen. Unsereins muss ja meistens selber ran! Für Pulled Pork benötigt man nicht unbedingt einen Smoker, es geht auch im Kugelgrill, was aber die Zubereitung nicht gerade einfacher macht. Es ist auch nicht leicht, die Temperatur über diese lange Zeit konstant zu halten; ständig muss Holzkohle nachgelegt werden. Ziel der ganzen Arbeit ist es, eine äußere krosse, würzig und rauchig schmeckende Schicht zu erhalten, wobei das innere Fleisch aber sehr saftig und weich bleiben muss. Der Reiz des Gerichts ergibt sich, wenn nach dem Zerrupfen des Fleischstücks die verschiedenen Texturen vermischt werden. Lassen Sie sich nicht abschrecken von dem ganzen Drumherum, denn Pulled Pork kann auch im Backofen zubereitet werden, dauert ebenfalls lange, aber keiner muss mit Argusaugen dabei stehen; alles läuft weitaus sicherer und fast wie von selbst ab. Der einzige Nachteil: Die feine Räuchernote fehlt. Aber das ist ohnehin Geschmackssache.
Hier wird nicht gemobbt, sondern gemoppt

Food Festival auf der Zeche Zollverein in Essen: Gerupftes Huhn gibt's nicht nur beim Friseur.
(Foto: imago/Jochen Tack)
Geschmackssache ist vieles beim Pulled Pork, die einen bevorzugen kräftige Gewürzmischungen und schwören aufs Moppen, andere würzen eher spartanisch und setzen auf den Eigengeschmack des Fleisches; die einen räuchern sehr lange, andere wenig bis kaum. Das ist selbst bei den Erfindern des Pulled Pork völlig unterschiedlich und stark regional abhängig. Wie bei vielen Klassikern ist man sich auch beim Pulled Pork über die Herkunft nicht ganz einig; viele Regionen der USA beanspruchen für sich, die Heimat des Pulled Pork zu sein. Das sind vor allem die Staaten mit ausgeprägter Schweinezucht wie Carolina, Virginia, Georgia und Tennessee, wobei Memphis als das Mekka des Pulled Pork gilt. Pulled Pork Memphis Style soll das Lieblingsgericht von Elvis Presley gewesen sein. In Texas dagegen ist das Rindfleisch König, da ist Beef Brisket das herausforderndste Gericht aus der Welt des Grillens.
Es gibt also keine einheitlichen Richtlinien, wie man ein Pulled Pork zu bereiten sollte. Einigkeit herrscht allerdings über die Wahl des Fleisches: Es sollte nicht zu mager sein, sondern gut marmoriert und vorzugsweise von Schulter (mit oder ohne Knochen) oder Nacken (ohne Knochen) stammen. Im Vergleich zum Nacken ist die Fleischausbeute bei der Schulter größer. Ob mit Knochen oder entbeint gegrillt werden soll, ist ebenfalls Geschmackssache; manche schwören auf den Knochen als zusätzlichen Geschmacksträger. Die Schwarte sollte entfernt werden, sie würde bei der Zubereitung knochenhart werden. Durch die Low&Slow-Methode löst sich das extrem zugfeste Strukturprotein Kollagen aus dem Bindegewebe langsam auf. Durch diese thermische Hydrolyse verliert das Fleisch an Festigkeit und es wird weich und zart. Hydrolyse braucht Zeit – das ist das ganze Geheimnis. Die Hydrolyse bricht nicht nur die Gummistruktur des Proteins auf, sondern verwandelt einen Teil davon in Gelatine. Pulled Pork bezieht seine wundervolle Textur aus der Gelatine, deshalb muss es aus kollagenreichen Fleischstücken zubereitet werden. Pulled Pork aus magerem Fleisch gelingt nicht, das wird eine zähe und trockene Angelegenheit.
Sinnvoll für ein gutes Pulled Pork ist der Gang zum Metzger seines Vertrauens oder zu einem Bio-Hofladen mit entsprechendem Angebot. Die bestmögliche Fleischqualität zahlt sich bei dieser Zubereitungsart aus, weil das Fleisch bei der niedrigen Gartemperatur auch über einen langen Zeitraum kaum Aroma verliert. Bedauerlicherweise ist die konventionelle Haltung der etwa 60 Millionen jährlich in Deutschland geschlachteten Schweine von "artgerecht" sehr weit entfernt. Ein unter Qualen aufgewachsenes Tier kann nicht schmecken! Alte Schweinerassen wie Mangalitza, Duroc, Bunte Bentheimer, Deutsches Sattelschwein oder das Schwäbisch-Hällische Landschwein, die für die industrielle Fleischproduktion zu wenig Ausbeute abwerfen, werden von Bio-Bauern wieder gezüchtet – und die Gourmets danken es ihnen. Versuchen Sie, von diesen Schweinerassen Fleisch zu ergattern – es lohnt sich!

"Das Grand Tour Kochbuch" ist im Covadonga Verlag erschienen und kostet 45 Euro.
(Foto: © Covadonga Verlag)
Pulled Pork aus dem heimischen Küchenherd ist eine schnellere Variante, nimmt aber immer noch eine Garzeit von etwa 10 Stunden in Anspruch. Weil das Fleisch mariniert werden muss, schadet es nicht, zwei Tage vor dem Essen mit der Zubereitung zu beginnen. Das Fleisch wird im Ofen auf einem Rost platziert und der Rost wird auf ein mit etwas Wasser gefülltes Backblech gestellt. Das Gute daran ist, dass sich dieses Gericht in aller Ruhe vorbereiten lässt – dann steht zum Beispiel einem Fußballabend in großer Runde nichts mehr im Wege. Na gut, das Euro-Endspiel findet diesmal ohne uns statt – aber nach der EM ist vor der EM! Und auf ein spannendes Finale dürfen wir trotzdem hoffen, natürlich mit entsprechender kulinarischer Begleitung. Falls Sie dennoch sauer sind auf den Fußball, satteln Sie doch einfach um aufs Rad, die Tour de France 2016 läuft ja noch. Hannah Grant verrät in ihrem „"Grand Tour Kochbuch", dass auch Spitzensportler gerne genießen. Am Tag 17 ihrer Tour gibt es "Pulled Pork", es heißt nur anders. Aber es ist saulecker – nur für das Schwein nicht.
Langsam gebratene Schweineschulter mit Bohnensalat & Ingwersauce von Hannah Grant
1 Schweineschulter (ca. 3 kg
2 EL Honig
2 EL Salz
500 ml Weißwein
Zubereitung:
Die Schweineschulter sollte einen Tag im Voraus vorbereitet werden – daher sollte sie schon zwei Tage vor dem geplanten Essen mariniert werden.
Dafür die Schweineschulter parieren und mit Honig und Salz einreiben. In Frischhaltefolie einwickeln und mindestens 6 Stunden kühl stellen, am besten über Nacht.
Den Ofen auf 100°C vorheizen.
Die Schweineschulter auf einen Rost über eine mit Weißwein gefüllte Auffangschale oder Backform legen. Das Fleisch im Ofen 12 Stunden braten. Einmal pro Stunde das Fleisch mit der aufgefangenen Flüssigkeit begießen. Wenn sich das Fleisch mühelos vom Knochen trennt, ist es fertig gegart.
Die Schweineschulter kann sofort gegessen oder zunächst gekühlt und dann später serviert werden.
250 g getrocknete weiße Bohnen
1 Stück Kombu-Algen
½ Bund Thymian
½ Bund Petersilie
2 Sternanis
4 Lorbeerblätter
1 TL Salz
¼ Bund Estragon
2 Knoblauchzehen
50 ml Olivenöl
Schalenabrieb von 2 Bio-Zitronen
Salz und frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
Weiße Bohnen mit frischen Kräutern
Die Bohnen über Nacht einweichen. Den Thymian waschen und trocknen. Die Petersilie waschen und die Blätter abzupfen. Die Bohnen abgießen und in einen Topf mit frischem Wasser, Kombu-Algen, Thymian, Petersilienstängeln (die Blätter werden erst später benötigt), Sternanis, Lorbeerblättern und Salz geben. Das Wasser zum Kochen bringen, die Hitze herunterdrehen und die Bohnen ca. 30 Minuten köcheln lassen, bis sie gar sind. Dabei regelmäßig Trübstoffe abschöpfen. Die Bohnen im Kochwasser abkühlen lassen.
Den Estragon waschen, zusammen mit den Petersilienblättern hacken. Den Knoblauch fein reiben. Die Bohnen abgießen, mit Olivenöl, Estragon, Petersilie, Knoblauch und Zitronenabrieb vermengen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
2 Bund Frühlingszwiebeln
3 rote Zwiebeln
3 Zwiebeln
3 EL Olivenöl
Salz
Süße Zwiebeln
Die Frühlingszwiebeln säubern, Wurzeln und Spitzen abschneiden. Die anderen Zwiebeln schälen und halbieren. Mit der Schnittseite nach unten in einer Pfanne mit Olivenöl anbraten und salzen. Die Pfanne mit Alufolie abdecken und bei niedriger Hitze garen lassen. Die Zwiebeln sollen im Dampf langsam garen – das braucht etwa 30 Minuten. Die Frühlingszwiebeln in einer Pfanne ohne Öl bei hoher Hitze anbraten, dabei z. B. mit einem kleinen Kochtopf etwas andrücken, bis sie auf einer Seite komplett gebräunt und im Ganzen durchgegart sind.
100 g frischer Ingwer
200 ml Olivenöl
4 EL Sojasauce
2 EL flüssiger Honig
2 EL Apfelessig
Ingwersauce
Den Ingwer schälen und fein schneiden. Mit dem Olivenöl mischen. Nach Geschmack Sojasauce, Honig und Essig hinzufügen.
Eine Stunde vor dem Servieren die Schweineschulter in einem 150 Grad Celsius heißen Ofen erwärmen. Mit den weißen Bohnen, frischen Kräutern, süßen Zwiebeln und der Ingwersauce anrichten.
Soweit das leckere Rezept von Hannah Grant, das frei von Gluten, Milch und Nüssen ist.
Ein bisschen Warenkunde
Kombu, auch Kelp genannt, ist eine dunkelbraune bis dunkelgrüne Braunalgenart und enthält viel Jod, Calcium, Eisen und Provitamin A. Die Alge bildet dichte Wälder auf dem Meeresgrund und wächst weltweit in klaren, kalten Gewässern, meist in einer Tiefe von über 10 Metern in felsigen Gebieten mit starker Brandung. Dort, im offenen Meer, kann Kombu bis zu 10 Jahre alt werden. Die in Deutschland gehandelte Kombu stammt meistens aus Japan und ist getrocknet. Da Kombu eine sehr feste Konsistenz hat, muss sie gut gekocht werden. Es empfiehlt sich, die Alge vor dem Garen 10 Minuten einzuweichen.
Kombu-Algen sind natürliche Weichmacher, sie enthalten viel natürliche Glutaminsäure und machen zum Beispiel Hülsenfrüchte zarter und verdaulicher. Wie Glutamat verstärkt auch Kombu alle Aromen – aber im Gegensatz zum künstlichen Glutamat ist die natürliche Glutaminsäure unschädlich. Am besten kommt diese Wirkung zum Vorschein, wenn man Kombu-Algen zerstößt oder zerreibt und sparsam als Streugewürz verwendet. Sie können sogar als Salzersatz dienen. Kombu schmeckt nach Meer, also leicht fischig. Da man zum Beispiel bei vorliegendem Rezept nur ein Stück verwendet, macht sich das Fischige nicht bemerkbar. Auch der überaus hohe Jodgehalt, der bei übermäßigem Verzehr schaden kann, spielt bei dem spärlichen Einsatz der Alge keine Rolle. Das Algenstück wird wie die anderen Gewürze nach dem Abgießen der Bohnen ohnehin entfernt und nicht mitgegessen.
Viel Erfolg beim Pulled Pork und trotz aller Enttäuschung ein spannendes EM-Finale wünscht Ihnen Heidi Driesner.
Quelle: ntv.de