Nichts für echte Gourmets Religion bestimmt den Speiseplan
08.10.2011, 10:20 Uhr
Im Spezialtopf 24 Stunden lang gebackenes Sabbatbrot mit Sabbateiern.
(Foto: Ulrich W. Sahm)
Milchiges und Fleischiges muss bei den Juden getrennt sein. Schweinefleisch ist bei den Muslimen tabu. Jede Religion hat ihre Speisegesetze. Das erklärt auch, warum es auf Deutsch nur drei Pferdefleisch-Kochbücher gibt.
Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch seinen aufrechten Gang, seine Denkfähigkeit und seinen Erfindungsreichtum. Vor allem aber behauptet der Mensch, als "Abbild Gottes" geschaffen worden zu sein. Deshalb habe er eine höhere Moral als jedes andere Lebewesen, kann also zwischen Gut und Böse unterscheiden. Die Grundlage dazu lieferte die Schöpfungsgeschichte. Und dort begannen alle Probleme mit dem Speisezettel. Der Apfel war tabu. Kaum hatte Eva hineingebissen, endete der paradiesische Zustand in ungezwungener Nacktheit.
Sex und Nahrung zählen zu den wichtigsten gesellschaftlichen Triebkräften. Sie prägen unser Selbstverständnis entscheidender als religiöser Glaube, politische Ideologien und Weltanschauungen. Touristen erleben beim Besuch in Israel mit Befremden, dass es zum Frühstück im Hotel sauren Hering aber keine Leberwurst gibt. Während des muslimischen Fastenmonats Ramadan sind tagsüber in Bethlehem, Hebron und Ramallah die meisten Restaurants geschlossen.
Die Kunst, koscher zu essen
Die jüdische Sitte des "koscheren" Essens wird hinter vorgehaltener Hand oft als "archaisch" und "primitiv" belächelt. Das Alkoholverbot bei den Moslems und ihre Abscheu gegen Schwein gelten als "altmodisch". Wer sich als frommer Jude tatsächlich an alle 613 in den fünf Büchern Moses verzeichneten Ver- und Gebote hält, kann kein Feinschmecker sein. Aal und Schrimps sind ebenso verboten wie Schwein, Pferd und Kamel. Der Vers "Du sollst das Zicklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen" hat fatale und vor allem teure Folgen.
Fromme Juden haben zwei Waschbecken in der Küche und separate Sets von Kochpötten, Besteck und Tellern: für "Milchiges" und "Fleischiges". In jeder Restaurant- und Hotelküche mit Koscherurkunde und in jeder Militäreinheit achtet ein gut bezahlter "Koscheraufpasser" auf das Einhalten der Regeln. Fast alle Waren in israelischen Supermärkten tragen den Koscher-Stempel eines Rabbis, sogar Klopapier.
Weil die Bibel verbietet, Blut zu genießen, werden Huhn wie Rind geschächtet. Sie müssen ausbluten. Zusätzlich wird das saftige Filet Mignon über Nacht in eine hochprozentige Salzlauge gelegt, um dem Fleisch die letzten Säfte zu entziehen. Aber auch fromme Juden mögen keine Schuhsolen. Deshalb gibt es in Israel tiefgefrorenes Fleisch mit "mindestens 10 Prozent Wasser gespritzt". Für Wurst und Steak gibt es vegetarische Margarine "mit Buttergeschmack". "Frühstücksspeck" wird aus Putenfleisch hergestellt, mit künstlichem Aroma.
Deutschland und das Pferdefleisch
Koschere Küche ist also nichts für den echten Gourmet. Aber halt! Wir Deutsche sind keineswegs Allesfresser und bei genauem Hinschauen stellt sich heraus, dass die großartige chinesische oder japanische Küche überhaupt keine Milchprodukte kennt. In ganz Deutschland gibt es genau 72 Pferdefleischereien für 80 Millionen Einwohner und nur drei Pferdefleisch-Kochbücher, während man in Frankreich an jeder zweiten Straßenecke ein Pferdekopf-Schild am Fleischerladen sieht.
Tatsächlich gibt es in Deutschland religiös motivierte "Speisegesetze", genauso wie bei Juden und Moslems. Fast jeder hält sich daran, intuitiv, sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen. Denn im achten Jahrhundert hat Papst Gregor III. dem als Winfrid geborenen Heiligen Bonifatius beschieden, dass die ollen Germanen dem Christentum zugeführt werden sollten. Deshalb dürften sie kein Pferdefleisch mehr genießen. Früher hatten sie ihren Göttern Rösser geopfert (und dann selber aufgegessen). Und weil Bonifatius nur für Germanien zuständig war, gilt dieses Verbot weder für Frankreich noch für die Schweiz oder Italien. Mit Sprüchen wie "igitt" oder "Pferde sind so edel" rechtfertigen junge Deutsche ihre Abscheu, obgleich sie Pferdefleisch nie probiert haben. Nur Rheinländer wollen nicht auf Sauerbraten vom Pferd verzichten.
Dieses kaum bewusste deutsche Tabu ist deshalb so ulkig, weil das jüdische Verbot, Milch und Fleisch zu mischen, einen identischen Hintergrund hat. Vor 3000 Jahren opferten die Baal-Anbeter im Libanon das "Zicklein in der Milch seiner Mutter". Den Israeliten wurde diese heidnische Götter-Speise verboten. Das im ganzen Orient verbreitete Gericht "Mansaf" darf übrigens bis heute bei keinem Festessen fehlen. Zartes, im Ofen gebackenes Lamm wird über einem Berg von Reis (gewürzt mit Gelbwurz, Zimt und Kardamom) mit einer Soße aus aufgelöstem "Kischk" übergossen. "Kischk" ist ein faustgroßer, "wie ungewaschene Füße" stinkender Klotz, der aus fermentierter und mit Salz getrockneter Ziegenmilch hergestellt wird. Der "Stein" muss vor dem Kochen über Nacht eingeweicht, zerschlagen und gesiebt werden. Dieses "Kischk" ist wohl der beste Beweis dafür, dass es sich um eine uralte, biblische Speise handelt. Denn niemand käme heute auf die Idee, Ziegenmilch zum Konservieren in einen Stein zu verwandeln.
Fasten kennt jede Religion
Rund um das Essen gibt es bei allen Völkern irgendwelche Tabus. Dazu gehört auch das Fasten – vierzig Tage lang von Aschermittwoch bis Ostern bei Christen, am Jom Kippur bei den Juden und während des Ramadan-Monats bei den Moslems. Glücklicherweise gehört zum Fasten auch immer ein leckeres Fastenbrechen. Bei den Katholiken wird bekanntlich am Freitag kein Fleisch gegessen. Und wie im koscheren Hotel in Israel gibt es dann auch in Deutschland im katholischen Hospiz keine Leberwurst zum Frühstück.
Auf das eigentümliche Bedürfnis des Menschen, religiöse oder ideologische Gefühle ausgerechnet in der Küche auszutoben und sich so für ein Lebewesen mit "höherer Moral" zu halten, nehmen natürlich die Fluggesellschaften Rücksicht. Auf Wunsch kann man da anstreichen, was man im Himmel gerne ist und isst: Vegetarier (fleischlose Mahlzeit, Milchprodukte und Eier sind erlaubt), Veganer (keine Fleisch- oder Fischprodukte, kein Alkohol, keine Milchprodukte und Eier), laktosefrei, diabetisch, glutenfrei, hinduistisch rindfrei (für Inder, nur in First Class und Business buchbar), natrium-, cholesterin- oder proteinarm, fischfrei, vollwertig, koscher, muslimisch (kein Schwein, kein Wild und kein Alkohol). Völlig absurd ist freilich das Sandwich beim Flug am Sabbat im israelischen Flugzeug. Der Aufkleber bezeugt: "Dieses Brötchen wurde nicht am Sabbat hergestellt".
Wer sündigt, kommt bekanntlich in die Hölle. Doch der Weg dorthin kann gepflastert sein mit den schönsten (kulinarischen) Genüssen.
Der Nahe Osten ist sein Metier. Ulrich W. Sahm berichtet seit Mitte der 1970er Jahre aus der Region. Er ist immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Nachricht.
Quelle: ntv.de