Kino

"Ich bin sozusagen leergebumst" Charlotte Roche im Schoßgebet

Flippt angesichts der Verfilmung ihrer "Feuchtgebiete" förmlich aus: Charlotte Roche.

Flippt angesichts der Verfilmung ihrer "Feuchtgebiete" förmlich aus: Charlotte Roche.

(Foto: picture alliance / dpa)

Sie strahlt. Und das zu Recht. Schließlich schwappen ihre viel diskutierten "Feuchtgebiete" nun auch auf die Kinoleinwand. Und je lauter manch einer schon im Vorfeld "Skandal!" ausrief, umso gelassener kann Charlotte Roche eigentlich sein, wie sie im Gespräch mit n-tv.de beweist.

Nun ist es so weit - der Film "Feuchtgebiete" ist raus. Wie zufrieden bist du damit?

Charlotte Roche: "Zufrieden" ist gar kein Wort. Ich flippe förmlich aus, weil der Film so gut geworden ist.

Und wie war das erste Mal?

Ihn zu sehen - oder was? (lacht)

Ja, ihn zu sehen.

Im Vorfeld sehr, sehr aufregend. Ich habe ja vier Jahre auf den Film gewartet. Dabei habe ich versucht, die Nervosität, die Sorgen und das Wissen im Kopf zu unterdrücken, wie man Filme versauen kann - mit allen möglichen Mitteln. Bis kurz vor einer Privatvorführung mit dem Regisseur und dem Produzenten, in der ich mir den Film angesehen habe, wurde das allerdings immer schlimmer. Doch schon nach drei, vier Minuten dachte ich mir: Die haben echt den Vogel abgeschossen. Das geht schon so geil los, das kann gar nicht schlecht werden. Und das stimmt auch. Der Film bleibt die ganze Zeit auf diesem hohen Level.

"Feuchtgebiete" der anderen Art: Roche bei der Filmpremiere in Berlin.

"Feuchtgebiete" der anderen Art: Roche bei der Filmpremiere in Berlin.

(Foto: imago stock&people)

Wir hatten gerade diesen Kalauer mit "dem ersten Mal". Wenn man über "Feuchtgebiete" spricht, gerät man ganz schnell in diese Schlüpfrigkeit. Wie gehst du damit um?

Das ist sehr interessant. Ich habe früher zum Beispiel in der Kneipe mit Freunden sehr gerne Zoten gemacht oder Obszönitäten vom Stapel gelassen. Ich war im Privaten dafür bekannt, die größte Fresse zu haben. Ich habe immer versucht, das, was sonst nur Männer machen, richtig mitzumachen - dieses Reißen von Zoten und immer noch einen draufsetzen. Seit "Feuchtgebiete", der ganzen Pressearbeit und Schlüpfrigkeiten dazu mit Journalisten ist aber praktisch mein Pulver verschossen. Ich habe privat keinen Bock mehr, Zoten zu reißen. Ich bin sozusagen leergebumst, was das angeht.

Der Rummel um dein Buch war damals ja auch enorm. Mit dem Film geht das Ganze quasi wieder von vorne los  …

Ja, aber weil der Film so gut ist, macht mir das wieder total Spaß. Ich hasse mein Buch "Feuchtgebiete" ja nicht, sondern ich liebe es. Das ist der größte Erfolg meines Lebens. Mit Sicherheit. Das werde ich nicht toppen können. Deswegen stört es mich nicht, wieder da hinzugehen - in die ganze Matsche-Pampe.

Nun bist du mit dem Film hochzufrieden. Trotzdem war es doch ein ziemliches Risiko, sich so wie du quasi komplett aus seiner Produktion herauszuhalten. Es hätte ja auch sein können, dass du schreiend aus der Vorführung rennst …

Ja, ich habe gehört, dass das auch manchmal passiert, wenn Autoren der Film vorgeführt wird. Das kann bis dahin gehen, dass sie ihren Namen aus der Produktion klagen. Das habe ich mir auch offengehalten. (lacht) Es war eine große Leistung von mir, loszulassen. Ich bin voll der Kontroll-Heini. Beim Film wusste ich aber nun von lauter Leuten aus der Filmbranche, wie lächerlich sie Autoren finden, die die Rechte verkaufen, aber dann nicht loslassen. Film-Menschen können ja ihr Fach im Idealfall. Und sie hassen es, wenn dann ein Autor am Set rumturnt und sich als der bessere Schauspieler, Regisseur oder Produzent aufspielt. Und ich wollte einfach nicht, dass Film-Leute solche Gags über mich machen: "Oh, die Alte hat so genervt …"

Der Film wurde schon im Vorfeld, ehe ihn überhaupt irgendjemand gesehen hatte, als großer "Skandalfilm" tituliert. Wie bewertest du das?

Das bedeutet zum Beispiel, dass es für mich noch viel Arbeit gibt. (lacht) Man muss noch ganz viel aufklären und über Körper und Sexualität schreiben. Aber wenn jemand sagt oder schreibt, dass das ein "Skandalfilm" sei, ohne ihn gesehen zu haben, ist das schon auch ganz schön lustig. Man wird dem Regisseur und der Hauptdarstellerin damit schließlich gar nicht gerecht. Der Film ist an ganz vielen Stellen unglaublich fein und leise. Wenn man vorhätte, einen Skandalfilm zu machen, könnte man ganz anders vom Leder ziehen - bei dieser Vorlage.

Da passt kein Blatt dazwischen: Roche und Carla Juri.

Da passt kein Blatt dazwischen: Roche und Carla Juri.

(Foto: picture alliance / dpa)

Mehr als das Buch legt der Film Gewicht darauf, mit der schweren Kindheit der Hauptfigur eine dramaturgische Klammer herzustellen. Ist das in deinem Sinn?

Ich habe das im Buch extra nicht gemacht, weil ich nicht so viel psychologisieren wollte. Ich wollte ein besonderes Buch schreiben - und das wäre für mich kein Familienroman gewesen. Das gab es ja schon. Deshalb wollte ich in meinem Buch die Familiengeschichte im Hintergrund haben und das, was sonst nicht in Büchern ist, nach vorne holen. Nämlich: Was machen wir im Badezimmer? Das war für mich der große Spaß und das, was das Buch speziell macht. Beim Film kann man aber den inneren Monolog nicht verbildlichen. Und man braucht mehr Protagonisten und andere Spielorte als das Krankenzimmer. Deswegen haben sie im Film die Elternbeziehung ausgebaut. Da hat man auch mal zwei Elternhäuser und kann nach draußen gehen. Für den Film muss man einfach eine andere Form finden als beim Buch.

Wie groß ist dein Respekt vor Carla Juri dafür, dass sie die Hauptrolle übernommen hat?

Die Rolle anzunehmen, war wirklich extrem mutig. Und ich finde, sie macht das unglaublich gut. Ich habe vom Regisseur, David Wnendt, gehört, dass viele Schauspielerinnen richtig Muffensausen vor dieser Rolle hatten.

Hättest du dich getraut, die Rolle zu spielen?

Getraut ja, aber ich kann leider nicht schauspielern. Außerdem bin ich jetzt viel zu alt, um eine 18-Jährige zu spielen. Mein Körper ist der Körper einer 35-jährigen Mutter, die gestillt hat. (lacht)

Hattest du dir eigentlich schon damals beim Schreibprozess Gedanken über eine mögliche Verfilmung gemacht und dabei in dich hineingegrinst?

Beim Schreiben nicht. Da habe ich mir zwar auch oft ins Fäustchen gelacht, aber eher mit dem Gedanken: "Oh mein Gott, wenn das veröffentlicht wird … Ich gehe nie wieder einkaufen." Ich kam mir beim Schreiben sehr mutig vor und dachte, ich würde danach kein Leben mehr haben - keine Freunde, keine Familie. Das Lachen darüber, dass daraus ein Film wird, kam erst auf der Lese-Tour. Ich habe damals ja immer eine Stunde vorgelesen und danach eine Stunde die Fragen der Leute beantwortet - mit vielen Schlüpfrigkeiten. (lacht) Da hatte ich so ein richtiges kleines Stand-Up-Stück, in dem ich mir das Casting für "Feuchtgebiete" ausmalte: dass alle Schauspielerinnen in einer Reihe stünden, weil es ja ein Po-Loch-Casting geben würde - das schönste Po-Loch gewinnt die Rolle. Aber daran sieht man, dass ich keine Ahnung von Film habe.

"Total übertriebene Promo-Tour": Roche bei einer Lesung 2008.

"Total übertriebene Promo-Tour": Roche bei einer Lesung 2008.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Inwiefern?

Ich habe mir den Film viel ekelhafter vorgestellt. Als Laie, der nix über das Machen von Filmen weiß, konnte ich mir nur vorstellen, das ganze Buch in Bildern zu machen. Das anzugucken wäre aber unerträglich. Dann würden nämlich 80 Prozent des Films in einem Krankenzimmer-Bett spielen. Und man hätte die ganze Zeit in Nahaufnahme auf der ganzen Leinwand ein riesiges entzündetes Po-Loch. Das wäre kein guter Film. (lacht) Für den Film mussten sie also Sachen dazuerfinden. Die finde ich richtig gut - die neuen Sachen, die nicht im Buch sind, sind für mich ja der unterhaltsamste Teil des Films. Und tatsächlich sieht man kein einziges Mal ein Po-Loch, was ich für die Schauspielerin auch gut finde.

Gibt es eigentlich noch etwas, das dich ekelt?

Ja, viel! Ich schreibe nur so Bücher, weil ich mich vor so viel ekle. Viele denken, ich sei schamlos. Das stimmt nicht. Ich schäme mich mehr als andere. Und deswegen muss ich so Bücher schreiben.

Hat dir das Schreiben also geholfen, mit deiner Scham besser umzugehen?

Ja, mir hilft das sehr. Ich schreibe über Sachen, die mir selber peinlich sind. Ich breche keine Tabus, um Leute zu provozieren. Wenn überhaupt, dann mache ich das, weil ich mich mit diesen Tabus isoliert fühle. Wenn ich denke, ich sei der erste Mensch, der dieses oder jenes mit seinem Körper hat, traue ich mich nicht, darüber mit meiner Freundin zu sprechen. Aber ich traue mich, das in einem Buch zu schreiben, das jeder lesen kann. Das funktioniert für mich. Da kommen andere und sagen: Hey, ich habe das auch. Und man fühlt sich in einer menschlichen Gruppe mit ganz menschlichen Sachen am Körper. Das ist die Befreiung.

Erinnern Sie sich? Erste Bekanntheit erlangte Roche als Moderatorin beim Musiksender "Viva Zwei".

Erinnern Sie sich? Erste Bekanntheit erlangte Roche als Moderatorin beim Musiksender "Viva Zwei".

(Foto: imago stock&people)

Wenn du aus heutiger Sicht noch einmal auf die kontroversen Reaktionen zurückblickst, die du mit dem Buch "Feuchtgebiete" ausgelöst hast  - hattest du damit so gerechnet?

Ich konnte ganz viel davon nicht ahnen. Manchmal wurde es sogar besser aufgenommen, als ich erwartet hätte. Ich hatte wirklich gedacht, das Buch könnte jemanden so wütend machen, dass mir auf der Straße Gewalt angetan wird. Oder ich hatte Befürchtungen wie die, dass mein Kind von der Schule geschmissen wird. Und dann habe ich es trotzdem geschrieben. (lacht) Klar, ich weiß, wie die Gesellschaft ist, wie Deutschland ist und wie die Medien sind. Trotzdem gibt es einfach viel, mit dem man nicht rechnen kann. Zum Beispiel, dass man irgendwann nach acht Monaten einen Nervenzusammenbruch kriegt, weil man ununterbrochen mit fremden Menschen über psychische Probleme und Analverkehr spricht. Das geht richtig rein. Ich habe mich wirklich gefühlt wie eine Prostituierte, über die die Journalisten zehn Mal am Tag drüberrutschen. Und abends geht man nach Hause und hat keine Kraft mehr zum Lachen.

Wieso hast du es so weit kommen lassen?

Das war diese total übertriebene Promo-Tour, als das Buch herauskam. Wenn man mit dem ersten Buch, das man geschrieben hat, auf Platz 1 ist, denkt man, man stirbt, wenn man auf Platz 2 abrutscht. Das ist wie eine Koks-Sucht. Der Rausch geht runter und man legt immer wieder nach. Das macht einen irgendwann kaputt. Das ist wie eine Band auf Welttournee.

Würdest du dir wünschen, dass die Menschen weniger prüde und im Umgang mit ihren Körpern und der Sexualität offener sind?

Dass man offener über Sachen sprechen kann, würde ich mir schon wünschen. Ich glaube, dass es viel gibt, bei dem wir immer noch zu verklemmt sind, obwohl es eigentlich normal und menschlich ist. Aber es gibt auch einen Punkt, an dem ich mir Sorgen machen würde, wenn alle ultrafrei wären. Wenn ich mir zum Beispiel vorstelle, dass wir uns trauen würden, hier einfach in die Ecke zu kacken. Das fände ich jetzt nicht so gut.

Mit "Shades Of Grey" ist die britische Autorin E.L. James quasi in deine Fußstapfen getreten. Auch sie schreibt sehr explizit über Sexualität - in dem Fall im SM-Bereich. Und auch ihre Romane werden nun verfilmt  …

Ich glaube nicht, dass die Autorin mich kennt. Von daher glaube ich auch nicht, dass ihre Arbeit etwas mit meiner zu tun hat. Dass Frauen über Sexualität schreiben, hat ja eigentlich viel zu spät angefangen. Und leider ist das immer noch etwas Besonderes. Ich muss sagen: Ich habe die "Shades of Grey"-Bücher nicht gelesen. Einfach, weil ich mit dem Thema nichts anfangen kann. Die Verbindung von Sexualität und Schmerz spielt in meinem Leben keine Rolle. Ich bin aus meiner Kindheit sehr gestört. Aber diese eine Störung - die Freude an SM - habe ich nicht mitbekommen. (lacht) Ich liebe Sex, der nicht wehtut.

Auch dein zweites Buch "Schoßgebete" ist gerade verfilmt worden. Der Streifen soll kommendes Jahr in die Kinos kommen. Wenn du die Verfilmung von "Feuchtgebiete" nun als Messlatte nimmst - wird dir dann vor "Schoßgebete" bange?

Wahrscheinlich wird mir das jedes Mal so gehen. Wenn ich jetzt ganz viele Bücher schreibe und immer ein Film daraus wird, muss ich da jedes Mal etwas aus der Hand geben und gucken, ob ich das gut finde oder nicht.

Du schreibst ja momentan bereits an deinem dritten Buch. Wie weit bist du?

Noch nicht sehr weit. Und es gibt auch noch keinen Titel. Was darf ich denn verraten? Also: Es ist schon wieder nicht aus der Perspektive eines Mannes geschrieben.

Mit Charlotte Roche sprach im Rahmen eines Gruppeninterviews Volker Probst

"Feuchtgebiete" startet am 22. August 2013 in den deutschen Kinos

Quelle: ntv.de

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