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Rock on! Der Reiz der Festivals

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Jippie! Besucher des Hurricane-Festivals.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Festival-Saison ist im vollen Gange. Ob Rock am Ring, Hurricane oder Wacken - für jeden ist etwas dabei. Allein in Deutschland gibt es mittlerweile mehrere hundert Veranstaltungen dieser Art im Jahr. Doch was ist so toll daran, sich tagelang bei Wind und Wetter Musik um die Ohren zu hauen? n-tv.de sprach mit Jasper Barendregt, Leiter Festivalorganisation bei FKP Scorpio - eine der führenden deutschen Konzertagenturen, die unter anderem die Festivals "Hurricane" und "Southside", das "M'era Luna", "Highfield" und den "Chiemsee Reggae Summer" veranstaltet.

n-tv.de: Mittlerweile sind Musikfestivals nicht mehr aus der Konzertlandschaft wegzudenken. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Jasper Barendregt: Die Idee dazu ist in den 60er-Jahren eigentlich überall auf der Welt parallel entstanden, basierend auf der Musik, die damals im Radio gespielt wurde. Es gibt natürlich das legendäre Woodstock-Festival, aber daneben gab es auch in Europa viele Initiativen. So haben auch viele Festivals hier schon eine lange Tradition - zum Beispiel die Festivals "PinkPop" in Holland und "Roskilde" in Dänemark, die es beide mittlerweile auch schon seit über 40 Jahren gibt.

Liegt es also an der gesellschaftspolitischen Bedeutung, die Woodstock damals hatte, dass es für viele als die "Mutter aller Festivals" gilt?

Ich denke, ja. Ich war natürlich damals nicht dabei. Aber die Tatsache, dass dort eigentlich alles, was nur schieflaufen konnte, schiefgelaufen ist und trotzdem nichts groß passiert ist, machte dieses Festival schon in dem Moment legendär, als es zu Ende ging. Man muss sich das mal vorstellen: Man macht ein Festival und plötzlich kommen zehnmal mehr Menschen als geplant. Es gab viel zu wenige Toiletten, Essen und Trinken sind ausgegangen. Und trotzdem blieb es ein komplett friedliches Festival, das später der Peace-Bewegung gewidmet wurde. Das macht Woodstock legendär.

Seit diesen Anfängen gab es nicht zuletzt in Deutschland einen regelrechten Festival-Boom - ausgehend von den 80er-Jahren …

Na ja, in den 80ern gab es die ersten großen Festivals wie etwa "Rock am Ring", die nun 25-jähriges Bestehen feiern können. Aber eine rasante Zunahme an Veranstaltungen hat es vor allem in den letzten zehn Jahren gegeben.

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Leiter Festivalorganisation bei der Konzertagentur FKP Scorpio: Jasper Barendregt.

(Foto: Jasper Barendregt / FKP Scorpio)

Wie ist das zu erklären?

Das hat damit zu tun, dass die Leute durch Fernsehen und Internet heute eine viel größere Affinität zu verschiedenen Arten von Musik haben. Das Bedürfnis, sehr viel Musik auf einen Schlag zu bekommen, ist größer geworden. Man kauft sich keine komplette Platte mehr, sondern nur noch einzelne Tracks davon. Davon hat auch das Festival profitiert. Hier können wir sehr viel Musik geballt und oft auch gleichzeitig an einem Wochenende zeigen. Das ist wie beim Zappen: Die Leute können von der einen Musik zur nächsten schalten, indem sie einfach weiter zur nächsten Bühne gehen.

Was bedeutet das für die Altersstruktur? Sind die Besucher mit den Festivals mitgewachsen oder sprechen die Veranstaltungen nach wie vor vorwiegend junge Menschen an?

Es wäre toll, wenn ich jetzt sagen könnte, dass die Leute mitgewachsen sind. Aber Fakt ist natürlich, dass das Publikum jung bleibt. Die Zielgruppe liegt zwischen 19 und 25 Jahren und bleibt so bestehen. Aber es gibt auch Ausnahmen: Zum Beispiel bei unserem "Hurricane"-Festival hört man immer wieder von Leuten, die zum zehnten, zwölften oder gar 15. Mal wieder dort hinfahren - das "Hurricane" gibt es mittlerweile seit 15 Jahren. Wir als Festival-Veranstalter haben natürlich den Wunsch, dass die Leute möglichst lange bei uns bleiben und das Ganze am Besten zu einer Tradition machen.

So gesehen wäre das Metal-Festival in Wacken ja ein gutes Vorbild …

Ja, Wacken ist ein sehr spezielles Phänomen. Das Festival bedient eine ganz kleine Nische, aber mit einer sehr treuen Klientel. Sie kommt jedes Jahr, egal, wer spielt. Für einen Festival-Veranstalter ist das natürlich das A und O. Da hat man dann auch eine gewisse Planungssicherheit und kann Tiefeninvestitionen machen, die sonst vielleicht gar nicht vorstellbar wären.

Womöglich liegt die junge Altersstruktur auch daran, dass viele mit Festivals nicht zuletzt dreierlei verbinden: Campen, nicht duschen und viel Alkohol. Stimmt dieses Klischee eigentlich?

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An Hygiene soll es nicht mangeln - gute Duschen sind heute Standard.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Also, das mit dem nicht duschen kann ich nicht bestätigen. Das Duschen ist mittlerweile wirklich gut möglich und wird auch sehr gut angenommen - ich weiß ja, wie viele Liter Wasser in den Duschen verbraucht werden. Das mit dem Alkohol stimmt natürlich ein Stück weit. Auf den Festivals gibt es eine gewisse Anarchie zwischen Grenzen. Wir setzen die Grenzen und sorgen dafür, dass innerhalb dieser Grenzen ein sicherer Verbleib gewährleistet ist. Aber natürlich fahren viele Jugendliche aufs Festival, um dieses gewisse Anarchiegefühl zu bekommen. Und bei ihnen gibt es dann auch mal das eine oder andere Erfrischungsgetränk zu viel.

Das mit dem Alkohol war bei Festivals wahrscheinlich schon immer so - in dieser Hinsicht hat sich also nicht viel geändert. Aber wo sehen Sie denn - abgesehen von den Duschen -Unterschiede zu früher?

Na, nehmen Sie zum Beispiel mal das "Hurricane". Das hat als reines Line-Up-Festival angefangen. Sprich: Alle Besucher sind wirklich nur wegen der Bands, die da gespielt haben, gekommen. Es gab eine Lkw-Bühne, die irgendwo aufgestellt wurde, und ein Platz wurde als Campingplatz ausgewiesen. Das war es im Prinzip - alles war nur auf die Bands fokussiert. Mittlerweile aber geht es immer mehr in Richtung Event. Die Leute kommen natürlich noch immer wegen der Musik, aber darüber hinaus kann man noch viel mehr auf einem Festival erleben.

Zum Beispiel?

Das Festival geht schon am Donnerstagabend los. In der Nacht gibt es bereits eine Disko und auch die Partymeile außerhalb des Konzertgeländes macht schon auf. Um das ganze Musikprogramm herum gibt es zahlreiche Veranstaltungen - von Fußballturnieren bis hin zu Zirkus-Varieté-Shows. Ich denke: Das ist die Zukunft. Die Musik wird immer an Platz 1 stehen, aber was ein Festival ausmacht, ist das, was darum herum passiert. Man muss das Gefühl haben, in eine andere Welt einzutauchen. Eine offene grüne Wiese mit einer Lkw-Bühne allein reicht nicht mehr aus.

Die Organisation eines solchen Events ist sicher nicht billig. Wie groß ist eigentlich das Risiko, das man als Veranstalter trägt? Schließlich gibt es bei Open-Air-Festivals wie dem "Hurricane" ja stets auch eine gänzlich unkalkulierbare Komponente: Das Wetter ...

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Das "gewisse Anarchiegefühl".

(Foto: dapd)

Das Risiko ist groß, auch wenn wir recht viele Tickets schon im Vorfeld verkaufen. Denn: Wenn es richtig regnet, gehen die Kosten exponentiell in die Höhe. Dann muss man dafür sorgen, dass die Leute alle Bühnen erreichen können und nicht knietief im Matsch stehen. Das "Hurricane"-Schwesternfestival "Southside" etwa hat in diesem Jahr so viel Wasser abbekommen, dass wir die Wege neu bauen mussten, damit die Leute überhaupt von A nach B kamen. Wir als Firma haben den Vorteil, dass wir über den Sommer verteilt insgesamt 14 Festivals machen. Da gibt es immer ein oder zwei, die verregnen, aber man kann das Risiko so verteilen, dass das Ergebnis unterm Strich positiv ausfällt. Für Veranstalter, die nur ein Festival machen, heißt es aber tatsächlich hopp oder top.

Lassen sich so auch die gestiegenen Ticketpreise, über die viele Besucher klagen, erklären?

Alles im Leben wird teurer. Leider. Nicht zuletzt die Gagen für die Bands und die Produktionskosten steigen immer weiter. Irgendwann schlägt sich das auch auf die Ticketpreise nieder. Aber wir versuchen, den Preis so moderat wie möglich zu halten und zugleich einen gewissen Standard, etwa bei den Sanitäreinrichtungen und Campingflächen, zu bieten. Natürlich wollen wir Geld verdienen. Aber zugleich wollen wir die Festivals so kostengünstig gestalten, dass es einen großen Anreiz für die Leute gibt, zu ihnen zu kommen.

Ein wichtiger Bereich ist heute ja auch die Sicherheit. Welche Konsequenzen wurden aus Ereignissen wie in Roskilde, wo im Jahr 2000 neun Menschen im Gedränge starben, oder der Love-Parade-Katastrophe in Duisburg gezogen?

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Hauptsache, es regnet nicht!

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Dieses Thema ist nicht nur sehr wichtig - die Sicherheit geht immer über alles. Und so schlimm solche Ereignisse sind, folgen zum Glück immer auch positive Konsequenzen daraus. Nach Roskilde hat man sich Massenveranstaltungen ganz genau angeschaut. Dabei machte man als größtes Problem aus, dass Leute, die hundert Meter weg von der Bühne sind, zu drängeln anfangen, so dass Leute an den Absperrungen vor der Bühne erdrückt werden. Auf Grund dieser Erkenntnis wurden die so genannten Wellenbrecher gebaut, die verhindern, dass sich ein derartiger Druck aufbauen kann. Je nachdem, wie viele Menschen kommen, baut man jetzt auch einen zweiten oder dritten Wellenbrecher ein, so dass das Publikum kompartimentiert ist. Das hat noch andere Vorteile, etwa, dass man Hilfskräfte bis in die Mitte des Publikums bringen kann, falls dort etwas passiert sein sollte.

Und die Konsequenzen aus der Love-Parade-Katastrophe in Duisburg?

Das ist jetzt etwa ein Jahr her. Seither sehen wir, dass sehr viele Behörden wesentlich genauer auf die Sicherheitskonzepte von Veranstaltern schauen. Das ist sicher auch richtig. In Form von konkreten Konsequenzen wurde dieses Unglück allerdings noch nicht aufgearbeitet.

Sie haben es schon erwähnt: Allein ihre Agentur FKP Scorpio veranstaltet 14 Festivals im Jahr - das reicht von einem Rock- und Indie-Festival wie dem "Hurricane" über ein Reggae Festival wie dem in Chiemgau oder ein Gothic-Festival wie M'era Luna. Gibt es da eigentlich Unterschiede bei der Organisation?

Natürlich kommt zu den unterschiedlichen Festivals auch ein unterschiedliches Klientel. Zu unserem Reggae-Festival am Chiemsee etwa kommen sehr viele sehr junge Gäste. Für sie produzieren wir manche Sachen schon ein wenig anders als bei einem Gothic-Festival wie dem in Hildesheim, wo das Klientel ein wenig älter ist. Am Chiemsee sorgen wir zum Beispiel für mehr Trinkwasserstellen als in Hildesheim. Und natürlich ändert sich die Dekoration. Es ist klar, dass bei einem Reggae-Festival die Farben Rot, Grün und Gelb auftauchen und bei einem Gothic-Festival die Farbe Schwarz. Aber ansonsten bleibt im Grunde alles gleich. Wichtiger sind für uns Fragen wie: In welcher Jahreszeit findet das Festival statt? In welcher Gegend? Und wie viele Leute kommen da hin?

Haben Sie ein Lieblingsfestival?

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Zur passenden Musik geht ohnehin immer die Sonne auf.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Ich habe mehrere Lieblingsfestivals. In erster Linie ist es das "Hurricane"-Festival. Das hat mit 15 Jahren in unserer Firma die längste Tradition. Und das Tolle daran ist: Obwohl es mit 70.000 Besuchern riesengroß ist, hat es auf Grund der Lage noch immer eine gewisse Intimität. Zum zweiten ist es das M'era Luna. Am Anfang war mir das irgendwie suspekt. Ich habe die Leute nicht verstanden und wie viele andere erst einmal gedacht: Die sind bestimmt ganz aggressiv. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall: Das Publikum ist total friedlich. Ich habe nie ein Festival erlebt, bei dem so wenig passiert im Sinne von Schlägereien oder ähnlichem. Das gibt es da einfach nicht. Und gerade bei diesem Festival kann man sich sehr gut mit den Menschen unterhalten und wird gerne aufgenommen. Und ich laufe nicht mit schwarzer Perücke und dunkel geschminkten Augen herum.

Gibt es eigentlich noch Künstler oder Bands, von deren Verpflichtung für ein Festival Sie träumen?

Oh ja, die gibt es immer. Jedes Jahr versuchen wir bestimmte Bands zu uns zu kriegen. Aber wenn ich das jetzt sagen würde, wüsste das auch die Konkurrenz. Deshalb fange ich damit jetzt besser gar nicht an. Aber seien sie sicher: Es gibt schon noch ein paar Träume, die wir alle haben.

Mit Jasper Barendregt sprach Volker Probst

Quelle: ntv.de

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