Kino

"12 Years a Slave" Kein Platz für Helden

"12 Years a Slave": Northup (M.) wird in die Sklaverei verkauft - er wird gefoltert und zu harter Arbeit gezwungen.

"12 Years a Slave": Northup (M.) wird in die Sklaverei verkauft - er wird gefoltert und zu harter Arbeit gezwungen.

(Foto: dpa)

Hier gibt es keine Villen und keine eleganten Kleider. "12 Years a Slave" zeigt, wie die Südstaaten wirklich waren: Ein erbarmungsloser Ort, in dem Schwarze wie Vieh behandelt wurden. In den USA trifft der Film von Steve McQueen einen Nerv.

Noch unterhält man sich gemütlich - doch dann wird Northup entführt und ...

Noch unterhält man sich gemütlich - doch dann wird Northup entführt und ...

(Foto: AP)

Narben. Es sind die Narben, die im Gedächtnis bleiben. Narben, die den Rücken übersäen, tief und schwulstig. Narben quer übers Gesicht, die die Menschen entstellen. Immer wieder sieht man, wie die frischen, klaffenden Wunden der Peitschen notdürftig desinfiziert werden - unter dem schmerzvollen Stöhnen der Gefolterten.

Es sind jene Momente, auf die der Satz von Regisseur Steve McQueen zutrifft: "Zuschauen muss anstrengen", sagte er kürzlich der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Und er fügte an: "Hier gibt es keine gut gelaunten Schwarzen, die nach Feierabend am Lagerfeuer singen."

... landet auf dem Sklavenmarkt.

... landet auf dem Sklavenmarkt.

(Foto: Tobis)

In seinem bedrückenden Sklavereifilm "12 Years a Slave" sieht man stattdessen, wie Hauptfigur Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor, "2012") auf allen Vieren hockt und mit einem Holzknüppel verprügelt wird, bis dieser zersplittert. Man sieht, wie er gezwungen wird, eine andere Sklavin auszupeitschen. Und man sieht, wie er stundenlang an einem Strick hängt und mühselig versucht, mit den Zehenspitzen den Kontakt zum Boden nicht zu verlieren, während um ihn herum die anderen Sklaven ihrer Arbeit nachgehen - sie wagen nicht, ihn loszumachen.

Heißer Anwärter auf den Oscar

Northup erduldet all dies, schweigend, stoisch, wie er schon so viel erdulden musste. Er war ja nicht immer ein Sklave, ganz im Gegenteil. Er war ein freier Mann, ein Tischler und angesehener Violinist aus den Nordstaaten. Er tourte durch Nordamerika, wurde beklatscht - und dann von zwei Häschern entführt. Sie sehen in ihm einen entflohenen Sklaven aus Georgia, seine Beteuerungen, er sei ein freier Mann, ignorieren sie. So findet sich Northup bald auf einem Sklavenmarkt wieder, wird an William Ford (Benedict Cumberbatch, "Star Trek Into Darkness") verkauft und landet schließlich beim brutalen Sklavenbesitzer Edwin Epps (Michael Fassbender, "Shame").

Regisseur McQueen mit dem Golden Globe: Der Film gilt nun als Favorit bei der Oscar-Verleihung.

Regisseur McQueen mit dem Golden Globe: Der Film gilt nun als Favorit bei der Oscar-Verleihung.

(Foto: AP)

Den Verkauf eines freien Mannes in die Sklaverei gibt es bereits im Alten Testament. Aber Northups Geschichte ist gerade mal 150 Jahre alt - und sie beruht auf wahren Ereignissen. Zwölf Jahre lebte der ursprünglich freie Mann in der Sklaverei. Später schrieb er sein Schicksal auf, doch das Buch geriet in Vergessenheit. Der Brite McQueen ruft es nun wieder einer breiten Öffentlichkeit ins Gedächtnis, denn seiner Meinung nach ist es "für die Sklaverei so wichtig, wie Anne Franks Tagebücher für die Nazizeit". Und er trifft damit den Nerv des amerikanischen Publikums. Nach dem Gewinn des Preises beim Filmfestival von Toronto und des Golden Globes als bestes Drama gilt "12 Years a Slave" auch als heißester Anwärter auf den Academy Award als bester Film.

Um die Wichtigkeit dieses Erfolges zu verstehen, muss man sich nur ins Gedächtnis rufen, dass einst "Vom Winde verweht" den Preis als bester Film gewann. Ein Film also, der ein überaus romantisches Bild der Südstaaten zeichnet. Auch sonst galt lange: So bedeutend das Thema Sklaverei in der öffentlichen Diskussion der USA auch ist, im Kino spielt es kaum eine Rolle. In den 70er Jahren gab es die Fernsehserie "Roots". Auf der großen Kinoleinwand sind "Glory" und "Amistad" von Steven Spielberg bereits die bekanntesten Beiträge. Filme wie Spielbergs "Lincoln" und "Django Unchained" von Quentin Tarantino oder die Fernsehserie "Fackeln im Sturm" handelten zwar auch von der Sklaverei, hatten aber andere Schwerpunkte - und haben meist weiße Hauptdarsteller.

Northup mit seinem Peiniger Epps.

Northup mit seinem Peiniger Epps.

(Foto: dpa)

Die Darstellung des tatsächlichen Schicksals der Sklaven - die Folter, die unmenschlich harte Arbeit und die Willkür der "Besitzer" - blieb dabei oft auf der Strecke. Diese Lücke füllt nun "12 Years a Slave", bei dem Northup konsequent im Mittelpunkt des Geschehens steht. Doch die Hauptfigur darf kein Held sein wie sonst üblich. Sie besitzt ja keinerlei Rechte, ist zur Passivität verdammt. Northup ist in Ketten gelegtes Arbeitsvieh, eine Ware, die auf dem Markt verkauft wird. So wie Millionen anderer Sklaven vor und nach ihm.

Peitsche und Vergewaltigung

Denn auch wenn Northup im Mittelpunkt steht: Der Zuschauer nimmt nicht nicht nur sein Schicksal wahr, sondern er sieht auch das Unrecht, das andere Sklaven erleiden. Der - zynisch benannte - Sklavenhändler Freeman (Paul Giamatti) hat keine Skrupel, eine Mutter und ihren jungen Sohn an verschiedene Käufer zu vergeben - sie werden sich wohl nie wiedersehen. Northups erster "Besitzer" William Ford gibt sich zwar gebildet, er schenkt dem Sklaven sogar eine Violine, doch gleichzeitig kuscht er vor dem brutale Aufseher John Tibeats (Paul Dano, "Looper"), der Northup schickaniert. Sklavenbesitzer Epps schließlich lässt seine Arbeiter auspeitschen, wenn sie in ihrer Leistung nachlassen. Und er vergeht sich immer wieder an Sklavin Patsey (Lupita Nyong'o). Auch sie erträgt es, schweigend und stoisch.

Überhaupt sind die Schauspieler die große Stärke des Films. Hauptdarsteller Ejiofor gelingt es, seine Rolle auszufüllen, den Film zu tragen. Sein Gesicht spiegelt die Ungerechtigkeiten wider, denen er machtlos ausgesetzt ist. Ihm zur Seite steht ein exzellentes Ensemble: Fassbender, Nyong'o, Giamatto und Dano liefern durch die Bank hervorragende Leistungen ab.

"12 Years a Slave" ist ein bedrückender Film. Denn es gibt kein Ventil, das die Ungerechtigkeiten ausgleichen könnte. Es gibt keinen Aufstand, keine Rebellion, Widerworte werden hart bestraft. In McQueens Streifen gibt es keine Hollywood-Logik, es gibt keinen Helden, keine Katharsis, keinen Triumph. Statt dessen bedarf es eines Deus ex Machina: Brad Pitt (der auch produzierte) spielt in einem kleinen Auftritt den Sklavereigegner Samuel Bass, dem sich Northup anvertraut. Denn nur ein Weißer kann in dieser Welt, in der ein schwarzer Mensch keine Rechte hat, Erlösung bringen. Unmündiger kann ein Mensch nicht sein.

"12 Years a Slave" startet am 16. Januar in den deutschen Kinos.

Quelle: ntv.de

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