"Wenn schon doof, dann richtig" Element of Crime gehen fremd
18.11.2010, 11:04 Uhr
Melancho-Rocker und Depro-Spaßvogel: Sven Regener.
(Foto: Ingo Pertramer/Universal Music)
25 Jahre gibt es nun schon Element of Crime. Für viele genießt die im Kern aus Sven Regener (Gesang / Gitarre / Trompete), Jakob Ilja (Gitarre) und Richard Pappik (Schlagzeug) bestehende Gruppe längst Kultstatus. Für Frontmann Regener, der sich auch als Autor von "Herr Lehmann" und den zugehörigen Folgeromanen einen Namen gemacht hat, gilt das allemal. Im n-tv.de Interview spricht der in Bremen geborene Wahl-Berliner nicht nur über das "neue" Element-of-Crime-Album "Fremde Federn", auf dem von der Band in den vergangenen 20 Jahren aufgenommene Coverversionen zu finden sind. Er plaudert auch über seine Rolle als "Depro-Spaßvogel", das Leben mit "Jever Fun" und die Schönheiten des Rock'n'Roll.
n-tv.de: Mit "Fremde Federn" bringt ihr erstmals eine CD nur mit Coverversionen raus - eine Jubiläums-CD zum 25-jährigen Bandbestehen?
Sven Regener: Nein, nein. Dann hätten wir ja "25 Jahre" drauf geschrieben. Es war jetzt nur einfach mal an der Zeit. Als Idee geisterte das schon sehr lange durch die Gegend. Aber erst jetzt hatten wir genau die richtige Anzahl an Songs zusammen, eben die 20, die auf dem Album drauf sind. Und es war klar: Wenn wir das Album jetzt machen, müssen wir keinen der Songs rausnehmen. Wenn es aber noch viel mehr gewesen wären, hätten wir welche weglassen müssen. Das hätte ich schade gefunden.
Also gab es eher praktische Gründe, das Album genau jetzt zu veröffentlichen …
Ja, und ich glaube, wir hatten bisher immer etwas Angst davor, die Sache mit solch zusätzlichen Veröffentlichungen zu belasten. Das bekommt dann schnell ein Gewicht, das es eigentlich nicht haben soll. Es ist nur eine kleine Sache zwischendurch, für die man sich interessieren kann oder auch nicht. Wir wollten die Songs einfach ein bisschen aus ihrem Nischendasein herausholen.
Die Palette der von euch gecoverten Bands könnte kaum breiter sein - das reicht von den Beatles bis zu den Pet Shop Boys und von Bob Dylan bis Wham! Wie kam es dazu?
Da muss man unterscheiden. Es gibt die Lieder, bei denen der Vorschlag von anderen kam, weil sie es gerne wollten. 1994 gab es etwa das Tribute-Album "25 Jahre Udo Lindenberg". Da haben wir das halt gemacht - für Udo war das ja auch irgendwie eine Ehre. Ein anderes Beispiel sind Filme. So wie damals, als Leander sagte, er hätte gerne "It's all over now, Baby Blue" von Bob Dylan hinten dran (gemeint sind Regisseur Leander Haußmann und sein Film "NVA", Anm. d. Red.). Und dann gibt es noch die Songs, die man sich ganz allein selbst aussucht.
Und welche Songs sucht man sich selbst aus?
Das sind meistens Spontangeschichten. Ein Beispiel: Letztes Jahr im Dezember haben wir von unserem Album "Immer da wo Du bist bin ich nie" noch eine Single rausgebracht. Da brauchten wir eine B-Seite. Und wir dachten uns: Dezember? Single? Na, dann ja wohl Weihnachtslieder! Wenn schon, denn schon. Wenn schon doof, dann richtig doof. Da haben wir dann eben "Leise rieselt der Schnee" und "Last Christmas" aufgenommen. Wir wollten sowieso diese beiden Songs machen. Aber lustigerweise kamen die auch bei einer Umfrage, die wir im Internet gemacht haben, auf die ersten Plätze.
Echt, "Last Christmas"? Ich kenne eigentlich nur Menschen, denen das Lied zum Hals raushängt …
Ja, aber genau das war die Herausforderung: Wie klingt das, wenn wir das machen? Das Lied wird ja von den ganzen Dudelfunk-Sendern so gerne zu Weihnachten genommen, weil es einerseits irgendwas mit "Christmas" zu tun hat, anderseits aber mit so einem "Happy Sound" daherkommt. Das war von Wham! sicher gar nicht so gedacht. Eigentlich ist es ein wahnsinnig trauriges, aber auch schönes Lied. Auch dem Text liegt eine sehr schöne Idee zugrunde. Früher gab es James Last. Der hat immer die neuesten Hits im "Happy Sound" gemacht. Wir machen es hier umgekehrt und werfen einen Hit noch einmal im "Element-of-Crime-Depro-Sound" in den Ring. Dabei lernt man viel über den Song. Ich habe ihn dabei auch lieben gelernt.
Eure Version ist also nicht als Parodie zu verstehen …
Nein, eine Verarschung hätte ich nie gemacht. Keiner von uns. Wir sind nicht so drauf. Von so etwas kommt nichts Gutes.
Du sagst, ihr habt bestimmte Songs auch gecovert, weil es von anderen gewollt war. Spielten da dann auch finanzielle Gründe eine Rolle?
Nein, nie. Verdienen kann man damit gar nichts - bei Single-B-Seiten nicht und bei Tribute-Samplern schon dreimal nicht. Man kriegt dafür ja auch nichts von der Gema. Auch diese Platte wird nicht viel einbringen. Das ist etwas, das man nur macht, damit es da ist.
Vor kurzem habe ich ein Interview mit Marc Collien von Nouvelle Vague geführt, die ausschließlich 80er-Jahre-Songs covern. Er meinte, es gäbe auch Lieder, an die er sich nicht herantraut. Geht euch das auch so?
Ja, das ist auch ganz normal. Das passt dann eben auch nicht zu einem. Nimm zum Beispiel den "We love The Bee Gees"-Sampler. "Saturday Night Fever" hätten wir uns nicht zugetraut, aber "I started a joke" eben schon. Nicht jeder sollte alles machen. Abgesehen davon gibt es aber auch Songs, die ich gar nicht spielen will. Oder ein anderer aus der Band - dann kann man es auch gleich knicken. Schon deshalb würde eine Verarschung bei Element of Crime nicht gehen, weil wir sowieso nur Sachen machen, die wir alle mögen.
Auch die Musik von Element of Crime mögen vielleicht nicht alle. Trotzdem: Wenn man von euch spricht, haben viele schon fast so etwas wie Ehrfurcht. Wie geht ihr mit diesem Image als quasi unantastbare Grandseigneurs des deutschen Indie-Rocks um?
Na ja, Ehrfurcht ist ein bisschen zu viel. Aber Respekt finde ich schon gut. Nicht, weil wir das schon so lange machen, sondern weil wir es auf unsere Weise hingekriegt haben. Früher wurden wir oft gefragt, ob wir denn nicht auch mal so richtig erfolgreich sein wollen. Da habe ich immer gesagt: Ja, aber zu unseren Bedingungen - und nicht weil wir bei "Wetten dass …?" gespielt haben. Ich bin froh, dass wir da nie reinkommen. Und ich will auch keine Werbung machen oder Bierwerbung auf meinem Tourplakat sehen. Nein, all diesen Kram will ich nicht.
Viele andere Bands machen das …
Ja, und wenn andere das machen, finde ich das auch in Ordnung. Ich sehe das nie so, dass man dann andere deswegen verurteilt. Nochmal: Es geht um die eigenen Bedingungen. Wenn man es schafft, die Sache danach zu gestalten, macht das mit dem Erfolg auch Spaß. Und mittlerweile sind wir ja nicht unerfolgreich. Ich denke, das ist es, was vielen Leuten imponiert - dass man Erfolg haben kann, ohne sich die ganze Zeit nach der Seife gebückt zu haben. Aber etwa Bands, die heute jung sind, finden ganz andere Bedingungen vor als wir. Ich würde deshalb niemanden sagen: "Mach' das so wie wir". Im Gegenteil: Wir sind keine Vorbilder.
"Grandseigneurs" klingt positiv. In der Biografie auf eurer eigenen Webseite werdet ihr indes als "Altrocker" bezeichnet …
Ja, das habe ich ja selber geschrieben. Irgendwo habe ich uns auch "Depro-Spaßvögel" genannt. Was man halt so schreibt, wenn der Tag lang ist. Ich meine, natürlich sind wir alt. Ich werde jetzt 50. David Young (seit 2002 Bassist von Element of Crime, Anm. d. Red.) ist schon über 60. Wir machen das seit einem viertel Jahrhundert - die Hälfte meines Lebens. Insofern: De jure sind wir Altrocker. Ob wir das auch de facto sind, muss jeder selbst wissen. Wenn jemand sagt: Das sind alte Furze, ist das völlig in Ordnung. Wenn man wollte, hätte man das aber auch schon über uns sagen können, als wir 25 waren. Es gibt immer jemanden, der jünger ist, der schöner ist und der mehr Platten verkauft. Aber ich finde: Solange man als Künstler nicht davon überzeugt ist, dass die anderen besser sind, kann man weitermachen.
Ihr habt euch Anfang der 90er entschlossen, statt auf Englisch fortan deutsch zu singen. Du sagst, ihr seid keine Vorbilder, aber denkst du nicht, dass ihr andere Bands wie etwa Tocotronic oder Die Sterne von der so genannten "Hamburger Schule" beeinflusst habt?

"Eine ganz traurige Geschichte": Filmszene aus "Herr Lehmann".
(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)
Das müsste man diese Musiker selbst fragen. Aber ich glaube, dass sie das garantiert nicht so sehen. Es gab ja auch Leute wie Bernd Begemann, der mit "Die Antwort" schon die ganzen 80er-Jahre über deutsche Texte gemacht hat. Ich denke, das waren parallel verlaufende Entwicklungen. Jedenfalls würde ich nie auf die Idee kommen, das den Leuten zu unterstellen. Das stünde mir auch nicht zu. Und ich glaube, dass das auch de facto nicht so gewesen ist. Die haben das aus sich selbst heraus entwickelt. Wir haben nie so zu einer Szene gehört.
Verfolgst du die deutsche Musikszene denn?
Ja, natürlich. Wir haben viele Kontakte und haben ja auch immer wieder solche Bands als Vorgruppen dabei. Bei der letzten Tournee in Österreich hatten wir zum Beispiel Florian Horwarth mit. Manche Leute sind einfach wahnsinnig nett, man kennt sich, hilft sich gegenseitig und freut sich. Man muss sich aber auch nicht anbiedern, nach dem Motto, ich versuche mal eine Frischzellenkur, indem ich mich als alter Sack an die Leute ranwanze. Und auf keinen Fall darf man zu patronisierend werden und einen auf Veteran machen, der den jungen Leuten erzählt, was geht. So etwas ist ganz widerlich.
Du sprichst selbst vom "Depro-Sound" von Element of Crime. Würdest du dich als depressiven Menschen bezeichnen?
Überhaupt nicht, nein, nicht mehr als jeden anderen Menschen auch. Die meisten Leute sind ja auch enttäuscht, wenn sie mich so erleben und reden hören. Dann denken sie: "Boah, was will der Bauer denn. Den habe ich mir aber anders vorgestellt." Und eigentlich ist es doch so: Die Musik von Element of Crime ist ein einziger großer Spaß. Die Leute kommen doch, weil ihnen das gut gefällt, weil sie sich freuen, und weil sie glücklicher von den Konzerten weg gehen als sie hingekommen sind. Es ist ja nicht so, dass das die Leute traurig macht.
Ist das Image von den ewigen Melancholikern also nicht gerechtfertigt?
Ich habe jedenfalls nie richtig verstanden, warum die Leute bei uns immer das Melancholische und Traurige im Vordergrund sahen. Element of Crime hat auch viele superspaßige Lieder. Aber auch da maße ich mir wieder kein Urteil an. Wenn die Leute das so empfinden, dann ist das halt so. Ich habe auch mal den Begriff "Melancho-Rocker" erfunden. Unsere fröhlichen Melancho-Rocker - da kommen wir der Sache schon etwas näher. Die Kunst ist ein widersprüchliches Ding. Und die Musik erst recht. Das gehört zum Rock'n'Roll dazu.
Apropos Rock'n'Roll. Welche Rolle spielt denn Alkohol in deinem Musikerleben heute noch?
(Sven Regener zeigt auf die Flasche vor sich auf dem Tisch) Du siehst es ja: "Jever Fun". Aber doch: Ich bin sehr für Rauschmittel. Ich finde das eine gute Sache. Nur man muss halt aufpassen, dass man nicht zur tragischen Figur wird. Das ist schon ein großes Problem. Wenn man in den 80ern mit 25 ordentlich einen gezischt hatte, abends um elf auf die Bühne ging, eine Stunde Vollgas gab, die Saiten zerriss, aber alles noch ordentlich hinbekam, dann war das alles prima. Das war dann auch sexy und toll. Ein 50-Jähriger, der das Gleiche macht, ist aber nicht mehr sexy und toll. Das sieht scheiße aus. Und das will auch keiner. Das macht alle nur traurig. Und alle denken: Der alte besoffene Sack soll mal lieber sehen, dass er es in die Betty-Ford-Klinik schafft.
Definierst du Rock'n'Roll für dich heute also anders als früher?
Nein, eigentlich nicht. Man muss bloß gucken, wie man es am Besten hinkriegt. Am Ende kommt es ja vor allem darauf an, dass es mit der Musik funktioniert und den Leuten gefällt. Und mir. Wenn ich noch so weiter saufen würde wie früher, wäre ich vielleicht schon tot. Das finde ich als Idee aber, ehrlich gesagt, nicht so charmant. Das macht sich vielleicht mal in den Büchern gut, aber für mich selbst wäre das eine Scheißlösung. Das heißt ja noch lange nicht, dass man zum Langweiler werden muss. Vor allem aber ist wieder wichtig, dass man seine eigenen Kriterien nicht auf andere anlegt. Nur weil ich in diesem Moment ein "Jever Fun" trinke, darf ich kein Problem damit haben, wenn mein Gegenüber ein richtiges Bier trinkt. Dann wird es nämlich spießig.
Dem melancholisch-traurigen Image von Element of Crime steht das von dir als Autor von "Herr Lehmann" gegenüber. Viele halten das für ein extrem amüsantes Buch …
Ja, wenn es um "Herr Lehmann" geht, sagen die Leute immer: "Was für ein lustiges Buch". Und ich antworte dann immer: "Aber eigentlich ist das doch eine ganz traurige Geschichte oder?" Bei den "Elements" ist das genau umgekehrt. Da sagen alle: "Das ist aber traurige Musik." Und ich finde: Das sind doch eigentlich ganz, ganz lustige Songs. Letztendlich ist wahrscheinlich an beidem etwas dran.
"Herr Lehmann" und die Nachfolgeromane waren ja unglaublich erfolgreich. Stand vor diesem Hintergrund dein Engagement bei Element of Crime nie in Frage?
Nein. Warum auch? Element of Crime macht man, solange es eben geht. Und dann, wenn es geht. Es gibt überhaupt keinen Grund, das wegen irgendetwas anderem nicht zu machen. Und auch umgekehrt nicht, obwohl ich mich erst ein wenig gescheut habe, die Bücher zu schreiben. Nein, ich sehe da überhaupt keinen Zusammenhang. Das bringt nichts. Und was es übrigens auch nicht bringt, wäre so ein Scheiß wie ein Soloalbum. Element of Crime ist eine ganz große Sache. So etwas gibt man nicht leichtfertig auf. Denn: So etwas wird es auch nie wieder geben. Die Leute glauben immer, ich sei da der große Typ und so. Aber das stimmt nicht. Ich bin wirklich nur einer von drei Leuten. Und ich weiß das von allen am Besten.
Euer letztes Album "Immer da wo Du bist bin ich nie" stieg auf Platz zwei der Album-Charts ein. Dieses Album und das davor erlangten zudem erstmals in eurer Karriere Gold-Status. Ist dieser Erfolg für dich eine Genugtuung?
Eine Genugtuung? Wem gegenüber?
Dir selbst gegenüber - man könnte es ja als Lohn für die Arbeit der vergangenen 25 Jahre sehen …
Also, ja, das ist schon eine super Sache. Denn eines muss man echt mal sagen: Misserfolg macht nicht glücklich. Deshalb kann man das gar nicht überschätzen. Aber Genugtuung? Weißt du, ein Fußballer hat mal eine Autobiografie geschrieben, die hieß "Ich hab's allen gezeigt" (Stefan Effenberg, Anm. d. Red.). Wenn man das sagt, muss man aber vorher schon sehr bitter gewesen sein und sehr viel Schlechtes erlebt haben. Unsere Entwicklung würde ich nicht so beschreiben, weil es nicht darum ging, irgendjemandem etwas zu zeigen.
Wie wichtig ist euch dann kommerzieller Erfolg?
Na, der ist schon sehr wichtig. Sonst sind wir arme Leute und müssen Hunger leiden. So einfach ist das. Wir sind ja Profimusiker und kriegen kein Geld vom Staat oder vom Goethe-Institut. Wenn wir den Erfolg nicht haben, müssen wir uns etwas anderes überlegen. Aber das liebe ich am Rock'n'Roll. Der läuft genau so lange, wie jemand sagt: "Hey, ich finde das toll, was du machst, und bin bereit, dafür zu zahlen". Solange das funktioniert, ist alles prima.
Mit Sven Regener von Element of Crime sprach Volker Probst
Element of Crime befinden sich im Februar 2011 auf Tournee: Rostock (02.), Münster (03.), Ulm (05.), Freiburg (06.), Feldkirch/Österreich (07.), Rottweil (08.), Salzburg/Österreich (09.), Würzburg (10.), Erfurt (11.), Mannheim (12.), Saarbrücken (14.), Düsseldorf (15.), Halle an der Saale (16.), Magdeburg (17.), Hildesheim (18.), Oldenburg (19.)
Quelle: ntv.de