"Win Win" mit Paul Giamatti Mit dem Rücken auf der Matte
21.07.2011, 09:51 Uhr
Mikes kleine Familie (v.l.): Ehefrau Jackie (Amy Ryan), Mike (Paul Giamatti), Klient Leo (Burt Young), Freund Terry (Bobby Cannavale), und Schützling Kyle (Alex Shaffer).
(Foto: © 2011 Twentieth Century Fox)
Unter Druck machen Menschen die komischsten Sachen. Das gilt auch für Anwälte, die um das Wohl ihrer Familie kämpfen. Paul Giamatti spielt so ein Exemplar, das seine Ideale verrät. Aber dann schickt das Leben einen Retter in Form eines Ringertalents. Denn: Wichtig ist auf der Matte. Oder nicht?
"Win Win" erzählt vom Verlust: dem Verlust von Geld, Vertrauen, Familie und der Erinnerung an das eigene Leben. Mike Flaherty droht sein normales, anständiges Leben abhanden zu kommen. So sehr sich der Anwalt, menschlich und warm dargestellt von Paul Giamatti, in seiner kleinen Kanzlei in einem Vorort in New Jersey auch abrackert, das Geld reicht in wirtschaftlich schwierigen Zeiten immer weniger. Immer öfter geht Flaherty die Puste aus. Und das nicht nur beim Joggen. Seiner Frau möchte er sich da lieber nicht offenbaren.
Dabei möchte Mike doch nur eines: Seiner Familie, der Frau und den beiden Töchtern, ein sicheres, schönes Leben bieten. Wie alle anderen Familienväter auch. Mike wird getrieben von der wirtschaftlichen Krise. Und diese bringt ihn schließlich vom richtigen Weg ab. Er nutzt die Demenz seines Klienten Leo aus, erwirbt sich vor Gericht dessen Vormundschaft und kassiert damit monatlich einen Scheck, der ihn finanziell rettet. Leo bringt er gegen dessen Willen in ein gutes Altenheim, das sich auf die Pflege Demenzkranker spezialisiert hat. Denn im Prinzip hat Mike keine bösen Absichten. Ihm geht es darum, dass auch Leo ein gutes Leben führt, dass beide profitieren: Win-win-Situation nennt man das.
Doch plötzlich taucht Leos Enkel Kyle auf. Ein Ausreißer, der vor seiner drogenabhängigen Mutter flieht, die in einer Klinik behandelt wird. Kyle ist Teenager, er ist wütend auf seine Mutter, die ihm keine Familie bietet, auf seinen Großvater, den er noch nie gesehen hat, Kyle hat Erfahrung mit Drogen und mit Gewalt. Und er bedroht das Lügengebäude, das sich Mike erschaffen hat. Doch Kyle ist auch ein hervorragender Ringer und Mike ist ehrenamtlicher Ringtrainer an der High-School. Also zieht Kyle bei den Flahertys ein und erlebt erstmals, wie eine Familie funktionieren kann. Und er führt Mikes Ringerriege erstmals zum Sieg. Eine neue Win-win-Situation. Neue Hoffnung für Mike. Bis Kyles Mutter auftaucht, ihren Sohn für sich beansprucht und droht, Mike für sein Verhalten gegenüber Leo vor Gericht zu bringen.
Giamatti kann auch Anwalt

Mike kämpft um seine heile Welt - und droht sie damit zu verlieren.
(Foto: © 2011 Twentieth Century Fox)
"Win Win" von Regisseur und Drehbuchautor Tom McCarthy gehört zu den Filmen, die in der Hochphase der US-Finanzkrise geschrieben wurden und jetzt in die Kinos kommen. Seine Stärke bezieht der Film aus seiner Authentizität. Da ist eine Mittelschicht-Familie, die sich durchschlägt, der das jedoch angesichts der Umstände immer schwerer fällt. Doch wenn Normalität und Sicherheit verloren gehen, wenn die Angst vor dem sozialen Abstieg allgegenwärtig ist, werden Menschen gezwungen, ungewöhnliche Wege zu gehen. Im schlimmsten Fall sind diese illegal und widersprechen damit auch den eigenen Idealen.
Der Film beschreibt liebevoll das US-amerikanische Vorstadtleben zwischen Familienleben und High-School-Sport. Das sorgt natürlich für teils warmherzigen, teils skurrilen Humor. Vor allem Paul Giamatti glänzt in den komisch-melancholischen Momenten. Er ist mittlerweile ja prädestiniert für mehr oder weniger verkrachte Existenzen. Ob als Weinliebhaber in "Sideways" oder als Comic-Künstler Harvey Pekar in "American Splendor". Dass er auch Anwalt mit Familie kann, und das sogar ziemlich gut, zeigt er nun in "Win Win".
Glücksgriff auf der Ringermatte
Mit großem, unerschütterlichem Herzen kämpft sich Mike durch die Probleme seiner kleinen Welt. Und er versucht, ein guter Mensch zu bleiben. Er kümmert sich um Leo, wenn auch nicht so wie dem Gericht versprochen. Und auch Kyle wird in der Familie aufgenommen. Dass die Motivation dafür eigenen Interessen entspringt, nimmt man diesem warmherzigen Menschen kaum übel. Doch dieser Widerspruch ist es gerade, der Mike schließlich zum Verhängnis wird. Denn Kyle stellt das Vorgehen von Mike in Frage, er misst ihn an seinen Idealen.
Kyle wird von Alex Shaffer gespielt, der sein Schauspieldebüt gibt. Das Filmteam fand ihn, als es nach einem realen jugendlichen Ringer suchte. Ein Glücksgriff, denn seine Darstellung eines pubertierenden Teenagers ist überzeugend. Hier geht es nicht um bloßen Protest und die Auflehnung gegen die Welt der Erwachsenen. Vielmehr ist Kyle hin- und hergerissen, er fühlt sich verloren und findet bei den Flahertys erstmals Zuneigung und Anerkennung. Er wird zum Gegenpol von Mike, der Vorbild sein sollte, aber daran aufgrund der finanziellen Zwangslage scheitert.
"Win Win" ist komisch und warmherzig, manchmal allerdings zu moralisch - denn eine so ideale Welt, wie sie Mike zu wünschen wäre, gibt es nunmal nicht. Vor allem lebt der aber Film vom skurrilen Vorstadtleben und den liebevoll gestalteten Figuren. Die werden von dem guten Schauspielerensemble mit Leben erfüllt. Neben Giamatti und Shaffer ist das vor allem Burt Young, der Leo spielt. Man kennt Young als Schwager von "Rocky". Mit dem hat Mike nur eines gemein: Beide müssen kämpfen, um sich mit der Welt und ihren Problemen zu arrangieren. Die Entscheidung über die Mittel muss dann jeder für sich treffen.
Quelle: ntv.de