Zu Unrecht geschmäht Paul McCartneys Rammbär
02.07.2012, 09:46 Uhr
Mit "Ram" ist eine weitere Scheibe der "The Paul McCartney Archive Collection" erschienen. Damals von der Mainstreamjournaille schlechtgeschrieben, ist das 1971 erschienene Werk gleichwohl eine kommerziell erfolgreiche und musikalisch gelungene Wegmarke.
"Ram" kann Schafsbock bedeuten oder auch Rammbär. Wegen des Coverfotos liegt es nahe, dass Paul dem Landleben Referenz erweisen wollte. Hatte er sich doch mit seiner Frau Linda auf das Anwesen Mull of Kintyre zurückgezogen. Linda McCartney ist auch in vielen Stücken zu hören. "Ram" ist das einzige Soloalbum des einstigen Beatles-Bassisten, das dessen Frau als Mitinterpretin nennt. Bodenständigkeit war das Motto der Stunde nach all den ruhelosen Jahren des Aufstiegs und schlussendlichen Zerfalls der Beatles. Als Rammbär erwies sich "Ram" jedenfalls in kommerzieller Hinsicht. Die LP erreichte in den USA und in Großbritannien wie die bereits in dieser Reihe der Reeditionen des Oeuvre von Paul McCartney 1970 erschienene Scheibe "McCartney" den ersten Platz der Albumcharts.
Auch die Singleauskopplungen "Uncle Albert/Admiral Halsey", "The Back Seat of My Car" und "Eat at Home" erklommen Spitzenpositionen. Musikalisch klingt alles irgendwie frischer als auf dem Vorgängerwerk, beatlesker wenn man so will. Da rockt es wie in "Smile Away", "Monkberry Moon Delight" geht einem bis zum Abend nicht mehr aus dem Kopf, wenn man’s morgens gehört hat, " Dear Boy" widerspiegelt McCartneys Sympathien für Vaudeville, wie es schon beim "Sgt. Pepper's"-Klassiker "When I’m 64" der Fall war. "Uncle Albert/Admiral Halsey" besteht eigentlich aus zwei Songs. Die Erinnerung an "A Day In The Life", das er zusammen mit John Lennon auf "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" eingespielt hatte, mag Paul geplagt haben. Aber, ach: John überzog die Platte mit Schmähungen. Selbst Ringo Starr, wenngleich zurückhaltender, schlug in dieselbe Kerbe. Und das Establishment der Kritiker delektierte sich an "Ram", als ob das Album der Soundtrack zum Untergang des Abendlandes wäre. Sehr zu Unrecht.
Aber so ist es - leider - bei den Mainstreamschreibern: Hat einer erstmal etwas kaputtgeschrieben, machen es alle anderen genussvoll nach. Man ist ja schließlich trendy. Die vorliegende Ausgabe enthält neben dem Originalalbum auch den ursprünglich nur als Single erschienen Song "Another Day", der es in Frankreich und Australien auf das oberste Treppchen schaffte. "Another Day" orientierte sich inhaltlich an Pauls Meisterwerk "Eleanor Rigby" vom Beatles-Longplayer "Revolver": Tristesse im Leben einer - hier - namenlosen Frau. Nicht alle Bonustracks sind gelungen. Sei’s drum. Manches widerspiegelt einen Mann, der seinen Platz in der Musikgeschichte wiederfinden will. Mit "Ram" und "Another Day" war Paul McCartney auf dem richtigen Weg. Rammbären eben!
Quelle: ntv.de