Welcome to the dark side "Urban Explorer": Stasi, Nazis, Tod
05.03.2012, 07:12 Uhr
Mit fahlem Taschenlampenlicht gegen die furchteinflößende Dunkelheit unter Berlin: willkommen bei "Urban Explorer".
(Foto: Universum Film)
Unter Berlin erstrecken sich über 25.000 Tunnel, Kanäle und Stollen. Zwei Drittel davon sind bereits versiegelt und für die Öffentlichkeit unzugänglich. Manche Bereiche hat seit mehr als 60 Jahren kein Mensch mehr betreten. Und das hat gute Gründe.
Jedes Jahr besuchen Millionen Menschen Berlin. Sie schauen sich das Reichstagsgebäude an, den Potsdamer Platz, die Museumsinsel, das Brandenburger Tor und auch das Olympiastadion. Sie besuchen den Alexanderplatz und schauen sich das wuselnde Berlin von oben aus dem Fernsehturm an. Nur wenige wagen es, einen Blick unter die Hauptstadt zu werfen. In das verwinkelte Dunkel unzähliger Tunnel, Katakomben und Kanäle: Urban Exploration heißt das zum Großteil illegale Betreten und Erforschen unzugänglicher Orte, sogenannter Lost Places. Und von denen gibt es unter der deutschen Hauptstadt mehr als genug. Sie warten geradezu auf neugierige Blicke.
"Welcome to the dark side of Berlin!" Die Begrüßung von Dante alias Kris (Max Riemelt; "Die Welle") an die vier Touristen, die er als Führer zu einer Tour in den Berliner Untergrund begleiten wird, fällt nüchtern aus. Die vier sind waschechte Touris. Mickey alias Denis (Nick Eversman; "The Runaways", "Hellraiser - Revelations") aus den USA, seine Freundin Mallory alias Lucia (Nathalie Kelley; "The Fast and the Furious - Tokyo Drift") aus Venezuela, Olympia alias Marie (Catherine de Léan) aus Frankreich und ihre Bekannte Haiku alias Juna (Brenda Koo) aus Korea.
Sie suchen das Abenteuer, den besonderen Kick abseits der ausgetretenen Touristenpfade in der Hauptstadt. Sie wollen etwas erleben, von dem sie noch jahrelang in ihren Erinnerungen zehren. Etwas, dass sie ihren Kindern später einmal erzählen können. Etwas, das sie nie wieder vergessen werden. Sie sollen es bekommen.
Knorkator, Nazis und der Fahrerbunker
Die Tour startet in einem Berliner Club. Zu den Klängen von Knorkator geht es durch eine Tür in den Keller und dann weiter hinab in das verschlungene und verworrene Tunnelsystem, das sich kilometerweit und über mehrere Ebenen in den Tiefen unterhalb der geschichtsträchtigen Hauptstadt erstreckt. Ziel der illegalen Tour, deshalb auch die Tarnnamen, ist der "Fahrerbunker". Ein Bunker, der einst für die Chauffeure Adolf Hitlers gebaut wurde. Seit über 60 Jahren soll dort kein Mensch mehr gewesen sein. Der Zugang wurde zugemauert, damit er nicht zur Pilgerstätte von Neonazis wird. Das Besondere an dem Bunker sind seine unzähligen Nazi-Graffiti. Die Gruppe ist begeistert, auch wenn es sich nicht um den Führerbunker handelt.
Taschenlampen an und in typisch lockerer Touri-Klamotte losgestiefelt. Die ersten Kanäle und Stollen sind ein Kinderspiel. Dann entdeckt Denis Patronen am Boden. "Schießübungen der Stasi", sagt Kris und warnt Denis davor, eine der leeren Hülsen einzustecken: "Bad Luck!" Denis krallt sich trotzdem eine, ohne dass es jemand mitbekommt - selbst Marie nicht.
Die, von Beruf Fotografin, schießt jede Menge Bilder. Auch eines in einen scheinbar leeren Gang hinein, der dann doch nicht so leer gewesen ist: Die Fünf machen Bekanntschaft mit zwei waschechten Neonazis in Begleitung ihrer treuen und beißwütigen Kampfhunde. Nach einem kleinen verbalen Disput über das gemachte Foto geben sie der Gruppe noch ein vielsagendes "Man sieht sich immer zweimal" mit auf den Weg, bevor sie das schwarze Nichts wieder verschluckt.
Die Reichsflugscheibe und der Grenzer
Kurz darauf und passend dazu erzählt Kris der Gruppe bei einer kleinen Pause mit frisch gebrühtem Kaffee eine kleine Geschichte, sehr speziell, "sehr deutsch": Sie dreht sich um die Reichsflugscheibe. "Reiks-fluuk-chei-be? Bullshit!", sagt Lucia. Ihr Freund Denis ist trotzdem ganz Ohr. Kris beginnt: "Hitler war besessen davon, auch den Weltraum zu erobern. Die Odin war ein riesiges Raumschiff, tief unter Berlin gebaut. Ihre Crew waren die Allerbesten, die Blüte einer zukünftigen Rasse. Mit ihnen wurden Experimente gemacht. Furchtbares im Namen der Wissenschaft, um die Lebenserwartung zu verlängern, hohe Schmerztoleranz aufzubauen, ihre Gene mit nicht-menschlichen Genen zu vermischen. Viele starben. Einige wurden verrückt und töteten die Ärzte. Das Projekt wurde abgebrochen. Man sagt, sie geistern noch immer in den Tunneln herum." Die Gruppe schaut verdutzt und schmunzelt ungläubig.
Aber an jedem Gerücht ist auch ein Fünkchen Wahrheit: Das Lachen vergeht ihnen, als auf dem Rückweg vom Fahrerbunker Kris von einem Stahlträger abrutscht und mehrere Meter tief stürzt. Lucia, von Beruf Krankenschwester, und Denis seilen sich zu ihm ab und bleiben bei ihm, während Marie und Juna zurück zum Ausgang gehen und Hilfe holen sollen.
Denis und Lucia versorgen so gut wie es geht Kris' offene Schenkelfraktur - als sie plötzlich ein Geräusch hören. Spuken Odins Leute wirklich noch hier herum? Nein - wie sich kurz darauf herausstellt, ist es Armin (Klaus Stiglmeier; "Bang Boom Bang"), ein Bewohner des Untergrunds. Er besorgt eine Trage aus einem der Stollen und zu dritt schaffen sie Kris in Armins "Bunker".
Dort verspricht er, per Telefon Hilfe anzufordern und lädt sie zu einem leckeren, vor sich hinköchelnden Eintopf ein und erzählt ihnen seine Geschichte. Armin war früher bei den Grenztruppen der Deutschen Demokratischen Republik. "Grenzaufklärer, außerhalb des regulären Grenzdienstes. Auf Spezialausbildung in der UdSSR. Sogar in Afghanistan", sagt er stolz und plaudert aus dem Nähkästchen: "Mein lieber Mann. Wir haben die verfluchten Mudschaheddin aus unserer MI-24 raus abgeknallt wie die Frösche. Ratatatatatat ... Ratatatatatat."
Er lacht kurz und laut - dann hält er abrupt inne: "Bis die Amis sie dann mit diesen gottverdammten Raketen ausgerüstet haben. Tiere waren das. Wenn die einen unserer Jungs erwischt haben, dann kam er in den Harem. Sie haben ihm Frauenkleider angezogen, ihm eine Perücke aufgesetzt und haben sich dann ausgiebig mit ihm amüsiert. Und wenn sie dann genug von ihm hatten, dann haben sie ihm das 'Hemd' ausgezogen …"
Was das bedeutet, erzählt er ebenfalls bis ins kleinste Detail. Lucia, die kein deutsch versteht, blickt fragend zu Denis, der angewidert das Essen beiseiteschiebt. Als Armin den Raum verlässt, folgt Denis ihm - und bekommt aus heiterem Himmel eine Spritze in den Hals verpasst. Als er wieder zu sich kommt, ist er an eine alte Pritsche gefesselt. Noch etwas benebelt, hört er angsterfüllte Hilfeschreie. Sie gehen ihm bis ins Mark. Er kennt die Stimme. Sie gehört Lucia …
"Welcome to the dark side of Berlin"
"Urban Explorer" ist ein waschechter, knallharter Horrorfilm - aus Deutschland. Ja, so etwas gibt es wirklich! Und das Werk von Regisseur Andy Fletscher kann sich durchaus mit der US-Konkurrenz messen. Soll er wohl auch, denn allein der Cast ist international und zielt auf mehrere vielversprechende Märkte ab. Zudem sind mit Nathalie Kelley und Nick Eversman zwei bekannte Gesichter mit in Berlins Untergrund hinabgestiegen. Die Sprache ist ein Mix aus englisch und deutsch. Als "Urbex - One Way In, No Way Out" lief die Drei-Millionen-Dollar-Produktion auch international.
Die FSK-18-Einstufung trägt der Film völlig zu Recht. Zwar spielt der Film auch mit viel Suspense - im Dunkeln tief unter der Erde eingeschlossen und völlig hilflos, wer will das schon? - die wenigen derben Szenen reichen aber locker für das 18er Siegel. Und auch das kann als Gütesiegel für einen deutschen Horrorfilm herhalten. So rau, schmutzig und düster fällt einem kein anderer ein.
Charaktergesicht Klaus Stiglmeier sticht aus dem Cast noch heraus. In der Rolle des Retters, der dann zum blutigen Folterer und Killer wird, kann er sich voll austoben. Vor allem seine Monologe ziehen dabei in den Bann. In ihnen weiß der Zuschauer nie, wie viel kaltblütige Mordlust hinter dem rabenschwarzen Humor versteckt ist.
Der ganze Film ist voll süffisanter Komik, was erfrischend und belebend wirkt und die Düsternis in den Stollen und Bunkern konterkariert. Vor allem zum Ende des Films hin sorgt Fletscher für mehrere, wenn auch zum Teil bitterböse Lacher - auch auf Kosten des öffentlichen Nahverkehrssystems in Berlin.
"Urban Explorer" lief auf dem 25. Fantasy Filmfest. Er war dort neben "Hell" einer der wenigen deutschen Beiträge. Die Zuschauer verliehen ihm das Prädikat "Horror-Entdeckung des Jahres". Und genau das ist er auch. Es bleibt zu hoffen, dass noch weitere folgen werden.
Quelle: ntv.de