Grand Prix alt

Titel futsch - alles futsch? Die Bilanz der Mission Lena

Kann stolz auf sich sein: Lena.

Kann stolz auf sich sein: Lena.

(Foto: dapd)

Der Eurovision Song Contest in Düsseldorf bestach durch eine brillante Show, eine famose Anke Engelke, einen ausgefuchsten Stefan Raab und einen tollen Auftritt von Lena. Einziger Makel: Zur Titelverteidigung hat es nicht gereicht. Aber ist deshalb gleich alles schlecht?

Es kam, wie es eigentlich kommen musste und irgendwie vorauszusehen war: Die Mission Titelverteidigung beim Eurovision Song Contest (ESC) ist zwar nicht geglückt, aber auch nicht im Desaster geendet. Lena und "Taken By A Stranger" wurden am Ende Zehnter - eine Platzierung, die zwar gemessen an der Vorstellung, immer und überall siegen zu wollen, enttäuschend ist, über die Deutschland aber noch vor zwei Jahren durchaus hätte froh sein können.

Gratulation an Aserbaidschan: Ell & Nikki.

Gratulation an Aserbaidschan: Ell & Nikki.

(Foto: dapd)

Dass die Gewinner aus Aserbaidschan kommen, ist keine allzu große Überraschung, auch wenn von der Stimmung in Düsseldorf alles für die irischen Zwillinge Jedward sprach. Aber für Gesamteuropa hatten die beiden dann vielleicht doch die Haare ein bisschen zu schön und zu viele Hummeln im Hintern. Die Pop-Ballade "Running Scared" von Ell/Nikki zählte in jedem Fall ebenfalls zum engeren Favoritenkreis. Sie ist durch und durch radiokompatibel - offenbar nicht nur in Deutschland, sondern auch in weiten Teilen der übrigen Eurovision-Staaten.

Gigantische Show

Größere Überraschungen gab es eher auf den Rängen dahinter. Den Zweitplatzierten Raphael Gualazzi aus Italien hatten wahrscheinlich genauso wenige weit vorne gesehen wie Mika Newton aus der Ukraine, die Vierte wurde. Tja, was sind schon die spektakulärsten Videoprojektionen gegen eine Sandmalerin? Auch den hinteren Teil des Rankings hätten viele wohl nicht so erwartet - den letzten Platz von Sweetheart Anna Rossinelli aus der Schweiz, den vorletzten Rang der Power-Pop-Nummer "Rockefeller Street" aus Estland, die 21. Platzierung des nach und nach zum Geheimtipp avancierten Finnen Paradise Oskar oder die lediglich 22. Position der Ungarin Kati Wolf, deren Dance-Hymne "What About My Dreams" beim Live-Publikum in der Halle mit am Besten ankam.

Man mag darüber streiten, ob eine Veranstaltung wie der ESC die Ausgabe von rund zwölf Millionen Euro an Gebührengeldern, die er verschlungen hat, rechtfertigt. Nicht streiten kann man indes darüber, dass die Veranstalter unter Federführung des Norddeutschen Rundfunks (NDR) eine wirklich gigantische Show auf die Beine gestellt haben, die ihresgleichen sucht. Die eigens für die Veranstaltung gebaute Bühne mit Ausläufer in den Zuschauerbereich, die mehr als 2000 Scheinwerfer, die ausgefeilte Pyrotechnik und nicht zuletzt die 60 Meter breite und 18 Meter hohe LED-Wand hinter der Bühne verwandelten das umgebaute Düsseldorfer Fußballstadion in einen wahren Show-Tempel. Man darf gespannt sein, wie das kleine Aserbaidschan da im kommenden Jahr mithalten will.

Engelke brillant, Rakers schön, Raab ein Fuchs

Auch das Moderatorenteam machte mehr als nur "einen guten Job". Das lag vor allem an der grandiosen Anke Engelke, die das Ding wohl auch locker alleine hätte präsentieren können und sich für Aufgaben dieser Art in Zukunft empfahl. Zu sehen war das schon in den Proben, in denen sie mit ihrem souverän lockeren Auftreten, ihrem spontanen Witz und ihrer Sprachgewandtheit - ob in Deutsch, Englisch oder Französisch - ihre Mitstreiter nahezu an die Wand moderierte. Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers dagegen blieb die Nachrichten-Ansagerin, die sie eben ist: professionell, korrekt und schön. Doch auch das ist kein Vorwurf. Sie ist eben kein Comedian und bildete somit das vermutlich notwendige Gegengewicht zu den beiden Kasperköpfen an ihrer Seite.

Geniale Nummer: Stefan Raab und Lena bei der Eröffnung des Contests.

Geniale Nummer: Stefan Raab und Lena bei der Eröffnung des Contests.

(Foto: picture alliance / dpa)

Stefan Raab wirkte in diesem Trio lange Zeit seltsam blass. Und das nicht nur, weil seine Englischkünste knapp oberhalb der Oettinger-Skala im Vergleich zu seinen beiden Co-Moderatorinnen so auffallend abfielen, sondern weil er insgesamt ungewohnt steif rüberkam in seinem sicher nur geborgten Anzug. Aber Raab ist und bleibt eben doch ein Fuchs und machte viel von diesem verlorenen Terrain mit der Eröffnungsnummer im Finale wieder wett. Nicht nur die Idee, "Satellite" in einer treibenden Big-Band-Version zu präsentieren, war genial, der Auftritt war auch so fulminant und auf die Zwölf, dass er eigentlich fast alles, was danach kam, in den Schatten stellte. Dass dazu noch tatsächlich Lena am Ende auf die Bühne kam, die Schuhe von sich warf und auf dem Kontrabass balancierte, tat sein Übriges.

In diesem Augenblick hatte die Mission Titelverteidigung auf einmal die Leichtigkeit und Unbeschwertheit, die sie - wenn man mal ehrlich ist - bei einer Pille-Palle-Spaß-Veranstaltung wie dem Grand Prix eigentlich hätte haben sollen, aber auf Grund der ganzen Diskussionen und Streitereien über das Thema nun mal leider nicht hatte. Und so ist man dann auch ganz schnell wieder verleitet, in diese Eröffnung auch einen strategisch cleveren Zug hineinzuinterpretieren. Für Lena jedenfalls war das der perfekte Anschub für die Show. Zumindest das Publikum in der Halle kriegte sich vor Begeisterung kaum wieder ein. Für den nimmermüden Kämpfer Raab sollte das Balsam auf die Seele gewesen sein.

Großes Kino

Die Seele ein wenig baumeln lassen sollte nun auch Lena. Dass der Hype um sie auf der einen und das vielfach überzogene Bashing gegen sie auf der anderen Seite nicht spurlos an ihr vorübergegangen sind (wie auch?), war in Düsseldorf deutlich zu merken - trotz und gerade weil sie fortwährend das Gegenteil behauptete. Sie kann durchaus mit Stolz auf sich zurückblicken. Wie sie summa summarum mit all dem Druck, der auf ihr lastete, umgegangen ist, verdient allen Respekt. Die Idee der Titelverteidigung mag von Anfang an nicht die Beste, das Konzept von "Unser Song für Deutschland" wenig durchdacht, ihre Tournee überdimensioniert (hey, nicht einmal ein Weltstar wie Kylie Minogue hat es geschafft, die O2-World in Berlin vollzukriegen) und nicht jedes ihrer Interviews optimal gelaufen sein - insgesamt hat sie das mit ihren 19 Jahren alles erstaunlich routiniert und professionell durchgestanden. Jetzt möchte man ihr eigentlich nur noch zurufen: Iss was, Mädchen.

Da passen doch noch ein paar Schnitzel auf die Rippen.

Da passen doch noch ein paar Schnitzel auf die Rippen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Auch an der Performance von "Taken By A Stranger" beim Song Contest gab es rein gar nichts auszusetzen. Lenas Auftritt in Verbindung mit der zugehörigen Licht- und Video-Show war großes Kino. Dass es nicht gelungen ist, die Grand-Prix-Krone zweimal hintereinander zu gewinnen, lag nicht an ihr, sondern an anderen Faktoren wie dem typischen Punktegeschacher zwischen bestimmten Staaten und dem traditionell schweren Stand, den Deutschland in diesem Spiel hat. Dass dies im Falle der Wiederholungstäterschaft wieder stärker als im vergangenen Jahr in Oslo zu Buche schlagen würde, war zumindest zu erahnen. Das war es, was gegen die Mission Titelverteidigung sprach, und nicht die Person Lena. Zudem war die musikalische Qualität der Beiträge in Düsseldorf für den Grand Prix im Schnitt außergewöhnlich gut. Ironischerweise könnten sich dies Lena und Raab sogar auf die Fahnen schreiben, denn das dürfte nicht zuletzt ein Ausfluss der Qualität sein, die sie erst zu dem Contest gebracht haben (was man als langjähriger Freund des lustigen Hupfdolen-Trashs bei der Eurovision allerdings in gewisser Weise auch bedauern kann).

Zwiespältige Bilanz

Die Bilanz der Mission Titelverteidigung ist somit nicht nur auf Grund ihres rein numerischen Resultats zwiespältig. Klar ist: Dem deutschen Beitrag wurde auf Grund von Lenas erneutem Antritt auch im Ausland eine Aufmerksamkeit zuteil, die anders wohl kaum zu erzielen gewesen wäre. Die 19-Jährige war der Star in Düsseldorf und rückte als unsere Vertreterin somit auch die deutsche Delegation in den Fokus. Aber den erneuten Sieg gebracht hat das nicht.

Alte Liebe rostet nicht.

Alte Liebe rostet nicht.

(Foto: picture alliance / dpa)

Was für das Land gilt, gilt in gleicher Weise für seine Interpretin. Den makellosen Nimbus - über dessen Sinn und Unsinn man sicher vorzüglich diskutieren könnte - der strahlenden Siegerin von Oslo hat Lena dem Schatten geopfert, der nun durch ihr mittelmäßiges Abschneiden in Düsseldorf darauf fällt. Andererseits hat ihr der ganze Rummel um die Sache einen Status beschert, von dem andere träumen. Bei ihrer letzten Pressekonferenz wollte ein ausländischer Journalist wissen, ob sie denn Angst habe, wie andere Grand-Prix-Sieger in der Versenkung zu verschwinden. "Not till now", antwortete Lena. Nur drei Worte, aber treffender hätte man es dennoch nicht formulieren können.

Dafür zahlte die Hannoveranerin allerdings einen nicht geringen Preis. "Fremd im eigenen Schland", titelte ein Kollege von uns neulich in einem Artikel über sie. Und sie selbst offenbarte ihrer Heimatzeitung, der "Hannoverschen Allgemeinen", am Rande des Song Contests, dass es sie stresst, dass so viel deutsche Presse da ist. "Ein bisschen", sagte Lena und dürfte doch ein bisschen mehr gemeint haben. "Bei vielen von denen habe ich das Gefühl, dass nichts einfach mal cool sein kann", fügte sie hinzu. Daher machen wir uns jetzt mal ganz locker und sagen: Wenn erst einmal ein wenig Gras über die Sache gewachsen ist, werden viele Kritiker vielleicht irgendwann auch erkennen, was Deutschland an einer wie ihr hat. Dass sie nach wie vor ein großes Talent ist, das die Herzen erobern, aus dem Stand unterhalten und selbst unter größtem Druck funktionieren kann, hat Lena in Düsseldorf ein weiteres Mal bewiesen. "Die Menschen werden dich lieben", sagte Marius Müller-Westernhagen ihr einst voraus. Und es ist passiert. Alte Liebe rostet bekanntlich nicht, auch wenn es vielleicht nicht mehr die übertriebene Kitschliebe nach dem Sieg von Oslo sein wird. Aber das ist ja vielleicht auch besser so.

Quelle: ntv.de

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