"Ich mache Musik oder ich sterbe!" Björk, 50 Jahre Enfant terrible
21.11.2015, 11:47 Uhr
Sieht gar nicht wie 50 aus: Björk (2013 bei einem Auftritt in Berlin).
(Foto: imago stock&people)
Gibt es eigentlich irgendjemanden, der Björk nicht cool findet? Seit Jahrzehnten mischt Islands süßester, verrücktester und experimentellster Musikexport die Popwelt auf. Nun wird die Sängerin 50 - und feiert das im Interview mit n-tv.de.
Islands berühmteste Tochter feiert am 21. November ihren 50. Geburtstag! Björk Guðmundsdóttir hat es als Sängerin, Komponistin und Schauspielerin (u.a. "Dancer In The Dark") zu Weltruhm gebracht: Da waren ihre Anfänge in der Alternative-Rockband The Sugarcubes in den Achtzigern, gefolgt von ersten Soloerfolgen mit elektronisch infizierten Songs wie "Violently Happy" (1993), "Army Of Me" (1995) und "It’s Oh So Quiet" (1995), bis hin zu dem von Kritikern gelobten, neunten Album "Vulnicura", das Anfang des Jahres erschien.
Mit ihrer avantgardistischen Garderobe und umfangreichen Multimedia-Projekten, die ihre Alben begleiten, inszeniert sich Björk auch immer wieder als Gesamtkunstwerk. Auch deshalb mag man kaum glauben, dass die in Reykjavik geborene Musikerin schon fünf Jahrzehnte zählt.
Beim Treffen in einem Hotel in Londons hippen Stadtteil Hoxton trägt sie ein leuchtend rotes, mit Pailletten besticktes Oberteil, Leggins in gleicher Farbe, dazu rosa Schuhe mit kleinem Absatz. Ihre dunklen Haare hat sie zu zwei Pippi-Langstrumpf-Zöpfen geflochten, was ihre geradezu jugendliche Aura unterstützt. Im Gespräch erzählt die sonst so medienscheue Künstlerin von schweren Anfängen in Reykjavik, akutem Herzschmerz, ihrem neuen Album "Vulnicura Strings" und den positiven Seiten des Älterwerdens.
n-tv.de: Wo werden Sie Ihren Ehrentag verbringen?
Björk: In Island. Freunde von mir arrangieren dort eine Überraschungsparty für mich. (Zeigt auf ihren Manager) Aber das sollte ich eigentlich gar nicht wissen, und die genauen Details weiß ich auch nicht. Aber so ist es geplant.
Viel wichtiger ist ja auch: Was werden Sie anziehen?
Wow, auch wenn meine Kostüme durchdacht sind, so weit im Voraus plane ich das, was ich trage, nun auch wieder nicht. Da es ja eine Überraschungsparty ist und ich nicht weiß, wann genau sie steigt, werde ich wohl vom 20. bis 22. November durchgängig schöne Garderobe tragen. Also das, was ich als schön empfinde.
Hat Ihr 50. Geburtstag auch etwas Beängstigendes?
Nein. Ich habe mich schon vor langer Zeit davon verabschiedet, das zu tun, was eine Frau meines Alters tun sollte. Und eigentlich wird es mit den Jahren nur besser: Wenn du älter wirst, näherst du dich immer mehr dem an, was du tun wolltest, als du ein Kind warst. Es geht also nicht mehr ums Alter oder die Last, was von dir als Mutter und als Frau erwartet wird. Das ist meines Erachtens sowieso viel zu viel. Denn Frauen müssen ständig zwischen den Rollen pendeln, während Männer schon eher in einer Rolle verharren dürfen.
Merken Sie, dass die Zeit endlich ist?
Ja, und das führt zu einer sehr wahrhaften Beziehung zwischen mir und meiner Musik und dem Grund, warum ich sie kreiere: Entweder ich mache sie oder ich sterbe! Wenn sie niemand hören wollen würde, wäre das auch okay. Aber meine Intention ist, Leute mit meiner Musik zu retten. Ich glaube, dass diesen sonderbaren Wunsch alle Musiker in sich tragen, weil sie selbst oft von Liedern gerettet wurden. Das ist das Tolle an Musik: Sie hat diesen abstrakten Bereich, in dem sie in Kommunikation mit Menschen treten kann.
Was treibt Sie immer noch an?
Es ist so, dass ich das Gefühl habe, bei jedem Projekt ein persönliches Tabu brechen zu müssen. Ich weiß selbst nicht, warum das so ist. Es gibt mir einfach den Kick. Aber natürlich sind da auch Dinge, die mir auf dem Weg immer treue Begleiter waren: wie die Natur, elektronische Sounds, das Spiel mit den Stimmen und Chören.
Als Künstlerin wurden Sie bereits im Sommer im "Museum Of Modern Art" in New York gefeiert. Sie sind die erste Musikerin, die dort mit einer Einzelausstellung gewürdigt wurde, die allerdings nicht alle Kritiker begeisterte. Hat Sie das verletzt?
Hm, ich würde nicht sagen, dass mich die Kritik verletzt hat. Wenn sie sich auf ein Album von mir bezogen hätte, dann wäre ich am Boden zerstört gewesen. Aber es war nicht mein Album, nicht mein Werk, ich habe die Ausstellung auch nicht kuratiert, ich habe dafür kollaboriert.
Wie ist das, wenn man sich eine Ausstellung über sich selber ansieht?
Für mich war es, als würde ich durch einen Garten voller Statuen mit meinem Gesicht gehen, das war für mich nur schwer zu ertragen. Mir fehlte es an Perspektive und Distanz. Ich wusste in dem Moment nicht, ob der Grund für mein Unwohlsein war, dass mir etwas an der Ausstellung nicht gefiel oder weil es mir generell schwer fällt, mich selbst zu betrachten.
Sie waren selbst nicht zufrieden mit der MoMa-Ausstellung?
Einiges an dieser riesigen Werkschau hat gut funktioniert, anderes vielleicht nicht, aufgrund von Fehlern, die ich nicht wirklich mir zuschreiben kann. Aber rückblickend habe ich viel daraus gelernt. Ich weiß jetzt noch mehr als vorher, dass es kein Bedürfnis bei mir gibt und auch nicht genügend Ego, um das zu zeigen, was ich in den letzten 30 Jahren gemacht habe. Das ist nicht meine Ambition.
Sondern?
Ich konzentriere mich immer nur auf mein nächstes Projekt. Ich begeistere mich längst für andere Sachen als die, die in einer Retrospektive über mich gezeigt werden können. Ich habe gerade zu jedem Song meines "Vulnicura"-Albums ein 360-Grad-Video im "Virtual Reality"-Format gedreht; inmitten der wunderschönen Natur von Island, die mich mein Leben lang inspiriert hat.
Vor dem Gespräch hat man mir solch eine "Virtual Reality"-Brille gegeben, damit ich mir Ihr Video zu "Stonemilker" ansehen kann, dem ersten in dieser Technik gedrehten Musikvideo überhaupt. Es fühlte sich tatsächlich so an, als würden wir beide in der kargen Landschaft von Island stehen und Sie würden leibhaftig um mich herum tanzen und mir etwas vorsingen.
Ja, die Technik gibt einem das Gefühl, man wäre in der Zukunft angekommen. Musiker, die wie ich noch die Musikvideo-Ära mitgestaltet haben, dürften diese VR-Brillen als weitaus natürlicheren Platz für Musikvideos empfinden als ein Museum. Denn die Videos von damals waren ja nie dafür konzipiert, in einem dreidimensionalen Raum gezeigt zu werden. Auch Musikaufnahmen gehören nicht an solch einen Platz. Das verstehe ich seit der MoMa-Ausstellung besser.
Ansonsten sind Sie aber so etwas wie ein Kritiker-Liebling, oder?
Ich kann mich nicht beschweren. Allerdings waren meine Anfänge nicht ohne Strapazen. Als Teenager sang ich in einer Frauen-Punkband und dann später bei den Sugarcubes. Die Leute in Island hielten uns für Sonderlinge und verstanden das nicht. Sie haben wirklich mit Wut auf unsere Eigenwilligkeit reagiert und konnten uns nicht ausstehen. Island war in den Achtzigern noch recht provinziell in der Beziehung. Und es heißt dort nicht umsonst: Du kannst kein Prediger im eigenen Land sein.
Deshalb gingen Sie ins Ausland.
Genau. Dort verbanden wir uns mit Leuten, die ähnliche Musik machten wie wir. Es dauerte ein paar Jahre, bis die guten Kritiken kamen. Und plötzlich fand man auch in Island, dass die Sugarcubes total großartig sind. Es brauchte also erst den Erfolg im Ausland, bevor alle unsere Nachbarn behaupteten, schon immer an uns geglaubt zu haben. Aber ich sag mal, bei 95 Prozent meiner Karriere ist mir nur Positives widerfahren.
Privat lief es in den letzten Jahren nicht so rund: Sie mussten die Trennung von Ihrem langjährigen Lebensgefährten Matthew Barney verarbeiten und taten das auch auf Ihrem im Januar erschienenen Album "Vulnicura". Wie hat Ihre Familie auf den musikalischen Seelenstrip reagiert?
Sie sind da für mich, egal, was ich tue und durch welche Hochs und Tiefs ich gehe. Ich bin auch froh, dass sich meine Leute gar nicht dafür interessieren, was ich beruflich mache. Wenn ich von ihnen umgeben bin, bin ich einfach nur ich und nicht die Person, die das Album gemacht hat.
Sind Sie nach all den Kunstfiguren, hinter denen Sie sich über die Jahre versteckt haben, nun menschlicher und greifbarer für das Publikum geworden?
Ich kann nachvollziehen, wenn Leute es so empfinden. Das Album war definitiv das schmerzhafteste, was ich je gemacht habe. Und die Sache bedeutete einen großen Wandel in meinem Leben. Es schmeichelt, so viele lobende Reaktionen dafür zu bekommen. Aber es gibt auch eine Kehrseite der Medaille: Ich habe manchmal das Gefühl, wenn Frauen sich in Texten emotional über ihr Leben öffnen, ist es automatisch ein gutes Album. Wenn sie nur die Musik komponieren, dann taugt es nichts.
Wie kommen Sie darauf?
Das habe ich mit meinem Platten "Biophilia" und "Volta" erlebt, auf denen ich eher wissenschaftlich auf den Spuren instrumentaler Musik und Sounds unterwegs war. Wenn ich Kanye West oder James Blake wäre, hätte mir wohl niemand vorgeworfen, nicht über mein Liebesleben gesungen zu haben. 90 Prozent der Musik, die ich höre, ist sowieso instrumental. Ich kann dazu besser weinen, lieben, tanzen und mitfühlen als zu Musik, die Wörter hat. Und ich will deshalb auch eine Lanze brechen für uns komponierende Frauen. Im Kinogeschäft ist das übrigens ähnlich: Deshalb sieht man so wenig Science-Fiction-Filme von Frauen. Regisseurinnen sind dort - wenn überhaupt - für die Liebesschnulzen zuständig.
Ihre Tour zur Platte haben Sie im Sommer abgebrochen, weil es Ihnen zu viel wurde, sich jeden Abend durch den Liebesschmerz zu singen. Trotzdem haben Sie nun noch eine akustische Streicher-Version des "Vulnicura"-Albums veröffentlicht. Warum?
Ich fand es wichtig, die Zeitlosigkeit der Lieder herauszustellen, gerade weil die Songs auf menschlichem Herzschmerz basieren. Dafür eignen sich Streicherinstrumente ganz besonders. Für mich sind Streicher wie die Nerven im menschlichen Körper. Man muss sie nur zum Schwingen bringen und sie rühren unsere Seelen.
Sie haben die Arrangements unter anderem auf einem Instrument umgesetzt, das Leonardo Da Vinci im 15. Jahrhundert erfunden hat.
Aber er konnte es nicht mehr erleben. Ich habe die weltweit einzige Viola Organista vor zwei Jahren auf Youtube entdeckt. Sie ist eine Mischung aus Geige und Orgel. Ich war sofort Feuer und Flamme dafür und auch sehr ungeduldig, nach Polen zu reisen, um das Instrument einzusetzen. Aber es ist wichtig, auf den richtigen Moment zu warten. Für das "Vulnicura Strings"-Album passte es perfekt.
Sie leben in New York und Reykjavik. In Island soll es derzeit sehr viel positiven Aufwind geben - und das nicht nur wirtschaftlich. Spüren Sie das?
Oh ja, in der Beziehung ist Island echt großartig. Weil es so ein kleines Land ist mit wenig Infrastruktur, keiner Hierarchie und keinem Klassensystem ist es immer so, dass wenn etwas passiert, es gleich allen passiert. Nichts kann das aufhalten. Als der Punk nach Island kam, waren alle plötzlich in Punkbands. Als der Banken-Crash passierte, wurde die ganze Nation in Mitleidenschaft gezogen. Und als wir die Verursacher dafür hinter Gitter sperren wollten, haben alle Isländer die Sache unterstützt. Aber das hat auch eine dunkle Seite: Die jetzige Regierung aus dem rechten Flügel will derzeit alles privatisieren und zu Geld machen.
Was bedeutet das für Island?
Sie ignorieren die Gesetze, die die Umwelt schützen sollen. Sie planen Dämme zu errichten in den isländischen Highlands, die noch so gut wie unberührt sind. Wenn sie ihre Pläne umsetzen, wird in fünf Jahren nicht mehr viel Natur übrig sein. Gerade weil Island so ein kleines Land ist, ist der Sprung vom einen ins andere Extrem schnell vollzogen.
Erfreulicher ist, dass Island sich zum ersten Mal für die Fußball-Europameisterschaft im nächsten Jahr qualifiziert hat.
Ich habe das entscheidende Spiel, das für die Fußball-Euphorie im Land verantwortlich ist, nicht gesehen. Manchmal gucke ich mir aber auch Fußball im Fernsehen an. Ich begeistere mich allerdings eher für Frauen-Fußball. Frauen sind derzeit richtig gut in dem Sport.
Mit Björk sprach Katja Schwemmers
Quelle: ntv.de