"Ich habe es kommen sehen" Das schleichende Ende von Roxette
15.06.2016, 15:42 Uhr
Seit 1986 im Geschäft: Marie Fredriksson und Per Gessle alias Roxette.
(Foto: Warner Music)
"The Look", "Listen To Your Heart", "It Must Have Been Love" - Roxette haben ein Riesenrepertoire an Hits. Und auch die 75 Millionen verkauften Tonträger des schwedischen Popduos sprechen eine klare Sprache. Aber Sängerin Marie Fredriksson und Songwriter Per Gessle haben auch rabenschwarze Zeiten erlebt: Vor 14 Jahren zwang die heute 58-jährige Marie ein Hirntumor zu einer jahrelangen Pause. Dann kam das unerwartete Comeback. Doch im April verkündete die Frontfrau das Ende ihres Tourlebens. Wie Per Gessle damit umgeht, was er nun vorhat und alles zum neuen Roxette-Album "Good Karma" erzählt er bestens aufgelegt im n-tv.de-Gespräch.
n-tv.de: Herr Gessle, wo erwische ich Sie gerade?
Per Gessle: Ich bin in meinem Sommerhaus an der schwedischen Westküste. Ich verbringe den Nachmittag damit, Bücher zu signieren. Denn wir veröffentlichen ein Fotobuch von der letzten Roxette-Tour. Ich habe also in den letzten paar Stunden 300 Autogramme gegeben. (lacht)
Ist das Sommerhaus in der Nähe Ihres Hotels?
Ja, genau. Es liegt fünf Minuten mit dem Fahrrad entfernt. Das Hotel liegt am Sandstrand Tylösand in der Nähe von Halmstad.
Na, dann haben Sie ja Beschäftigung, auch wenn Sie die Tourtermine von Roxette für Juli absagen mussten.
Hier gibt es immer zu tun. Es ist das zweitgrößte Konferenz-Hotel in Schweden mit 253 Räumen. Wir haben eine fantastische Kunstgalerie, die die größte Anton-Corbijn-Sammlung weltweit zu bieten hat. Und unser Grill-Restaurant sieht aus wie ein Hard-Rock-Café, wo wir neben Roxette-Instrumenten auch alle unsere Absagen von Plattenfirmen an die Wände gehängt haben. Rache ist schließlich süß! (lacht)
Und Sie offerieren eigene Wein- und Champagner-Sorten!
Das stimmt. Wir brauchten einen besonderen Hauswein für unser Hotel, und ich kannte jede Menge Leute aus der Wein-Industrie in der Toskana. So hat das angefangen. Es läuft mittlerweile richtig gut, wir verkaufen viele Flaschen von den Marken in Schweden.
Seit einer guten Woche gibt es auch ein neues Roxette-Album. Wie ist die Stimmung?
Trotz der Erkrankung von Marie Fredriksson - das Duo hat stets zusammengehalten.
(Foto: Viktor Flumé / Warner Music)
Marie und ich sind beide glücklich, dass es bei den Fans so gut ankommt. Denn man kann im Voraus nie wissen, ob es den Leuten gefällt. Marie findet sogar, es ist das beste Album, das wir je gemacht haben. Ich kann das derzeit noch nicht beurteilen, weil mir der Abstand fehlt. Ich kann es nicht mal hören, weil ich so viele Stunden mit der Musik im Studio verbracht habe. Es hat so lange gebraucht, es zu produzieren. Es hat so viele Details. Daran muss ich denken, wenn ich die Songs höre. Ich kann es dann nicht genießen. Fragen Sie doch bitte in einem Jahr noch mal. (lacht)
In einigen Songs haben Sie Roxette eine Frischzellenkur verpasst.
Ja, es gibt klassische, organische Lieder wie "April Clouds" und "Why Don’t You Bring Me Flowers", letzteres ist sehr reduziert auf Maries Stimme. Und dann gibt es Stücke, die sehr modern und mitunter elektronisch klingen sind wie "20bpm" und "You Make It Sound So Simple". Es ist vielleicht das verschiedenartigste Album, das Roxette je gemacht haben.
Im April hat Ihre Kollegin Marie Fredriksson bekannt gegeben, dass sie das Tourleben mit Roxette gesundheitsbedingt an den Nagel hängen muss. Sprechen Sie oft miteinander?
Ja, alle paar Tage am Telefon, gerade jetzt, wo so viel mit dem Album passiert. Sie ist gut drauf. Sie ist natürlich traurig, dass sie nicht touren kann, aber sie hat mir gestern noch mal gesagt, dass sie ihren Entschluss nicht bereut. Sie fühlt sich erleichtert, die Entscheidung getroffen zu haben, weil sie so hart für sie war. Denn man darf nicht vergessen, welche Verantwortung es ist, jede Nacht vor 10.000 bis 14.000 Leuten auf der Bühne zu sein und zu singen. Und wenn sie da nicht 100 Prozent geben kann, dann will sie es nicht machen.
Und wie geht es Ihnen damit?
Gut. Als wir 2009 wieder zusammenkamen, war das Maries Entschluss. Ich war damals einfach nur glücklich, dass wir weiter zusammenarbeiten können. Die letzten Jahre waren wie Bonus-Jahre! Wir spielten wundervolle Konzerte für wundervolle Fans überall auf der Welt.
Deshalb der positive Albumtitel "Good Karma"?
Genau. Als Marie ihr Comeback hatte, war sie so nervös, wieder auf der Bühne zu stehen, und hatte nicht viel Selbstbewusstsein. In jeder Show, die sie machte, wurde sie besser. Sie bekam so viel Unterstützung und Liebe von unseren Fans. Wir fühlten einfach, dass da ein gutes Karma ist: Wenn man etwas Gutes tut, kommt etwas noch Besseres dabei rum. Die letzten fünf, sechs Jahre war die Band also von einem unglaublich positiven Vibe umgeben. Es ist ein passender Titel für das Projekt.
Zehn Jahre zuvor, nach Maries Gehirntumor-Erkrankung, war an eine Tour mit Roxette noch überhaupt nicht zu denken, oder?
Live wird es sie nicht mehr zu hören geben - aber als Band wollen Roxette weitermachen.
(Foto: Warner Music)
Nein, gar nicht. Marie erkrankte 2002. Und ich dachte, das war's mit Roxette. Es ist also bemerkenswert, dass sie das Comeback überhaupt geschafft hat. Im April, als Marie sich entschloss, mit dem Tourleben aufzuhören, war das natürlich traurig. Wir mussten an die 20 Shows streichen. Aber man muss einfach sehen, was sie geschafft hat: Sie hat 280 Shows gespielt! Jede Show war für uns wie ein Geschenk. Sie hat einen fantastischen Job gemacht. Die letzten 20 Shows konnte sie nur noch auf der Bühne sitzen, weil ihr Problem mit dem Bein schlimmer geworden ist. Sie war sehr tapfer. Aber dann hat sie gemerkt, dass sie das nicht mehr tun kann.
Hätte es gesundheitliche Folgen für Marie gehabt, wenn Sie weitergemacht hätte?
Das Problem ist, dass sie nicht mehr gut laufen kann. Ihr Bein schmerzt kontinuierlich. Sie kann nicht wirklich stehen oder gehen. Sie hat also immer Angst zu fallen. Wenn sie sich so auf ihr Bein fokussieren muss, kann sie sich nicht mehr auf ihren Gesang konzentrieren. Es ist für sie purer Stress zu reisen. Wenn sie in der Nacht aufwacht und nicht weiß, wie der Hotelraum aussieht. Und das ständige Ein- und Aussteigen in Fortbewegungsmittel macht es auch nicht einfach. Das ist alles eine große Sache für sie. Sie hatte das Gefühl, dass es das nicht mehr wert ist. Wir müssen das respektieren. Es ist traurig, aber so ist es nun mal.
Wie war der Moment, als sie es Ihnen mitgeteilt hat?
Es war keine große Überraschung. Ich habe diesen Moment in den letzten Jahren immer kommen sehen. Ich wusste, dass dieser Tag kommen wird. Aber es waren auch immer wieder Wochen dabei, wo ihr Bein besser wurde und sie das Ganze sehr positiv sah. Wir haben immer gesagt, wir machen einen Schritt nach dem nächsten. Wir haben keine Pläne gemacht, die in zu weiter Ferne liegen. Dann sollten wir Anfang des Jahres nach Südamerika auf Tour, aber das konnte Marie nicht. Dann buchten wir Europa für diesen Sommer und das mussten wir auch absagen. Es ist schwer zu sagen, wie es ihr in sechs Monaten gehen wird. In diesem Business geht es viel um Vorausplanung, mitunter um Jahre. Das ging einfach nicht mehr. Aber wir werden sehen: Vielleicht nehmen wir ein weiteres Album auf.
Und vielleicht gibt es ja doch noch Fernseh-Auftritte von Ihnen beiden?
Ja, wer weiß. Wir denken positiv. Hoffentlich arbeiten wir weiter zusammen.
Haben Sie noch eine konkrete Vision für Roxette?
Nein, aber ich weiß, dass ich nicht zu touren aufhören werde. Ich unterhalte ja noch andere Projekte in Schweden. Ich bin 2009 auf "Party Crasher"-Solotour gegangen. Wenn die Zeit richtig ist, will ich weitermachen. Und auch wieder Roxette-Songs spielen und all die Musik, die ich in meinem Leben sonst noch geschrieben habe. Aber eins ist klar: Es ist unmöglich, Marie durch eine andere Sängerin zu ersetzen. Das wird nicht passieren. Aber ich werde definitiv weiter arbeiten.
Roxette haben auch in den USA riesige Erfolge gefeiert. Stimmt es, dass Ihre Karriere dort dem Zufall zu verdanken ist?
So war's. Ein amerikanischer Austauschstudent wurde in Schweden zum Roxette-Fan und hat unser Album mit in die USA genommen. In Minneapolis, wo er wohnte, gab es eine einflussreiche Radiostation, wo Hörer ihre Lieblingsplatten spielen lassen konnten. Erst lehnten sie Roxette dafür ab. Aber dann lernte der Student an der Rezeption des Senders zufällig den Programmdirektor kennen. Der verliebte sich in den Song "The Look" und gab ihm eine Chance. Ab da war es eine Art Schneeballeffekt, weil die Hörer immer wieder nach dem Lied verlangten.
Und so wurden Sie zu Weltstars?
Ja, was verrückt war. Denn wenige Monate zuvor hatten uns noch alle Plattenfirmen in den Staaten abgelehnt. Wir hatten dann dort vier Nummer-eins-Hits! Spätestens nach "Listen To Your Heart" hatten die Medien aufgegeben, uns als One-Hit-Wonder abzutun. Der Erfolg dort veränderte alles! Marie und ich hatten nur davon geträumt, mal aus Schweden ein bisschen rauszukommen - nach Oslo oder Kopenhagen. (lacht) Aber wenn du in den USA einen Hit hast, zieht die ganze Welt nach. "The Look" führte in 32 Ländern die Charts an.
Mit "It Must Have Been Love" haben Roxette den Hit zum Film "Pretty Woman" geschrieben.
Eigentlich war das ein Weihnachtslied! Dann hatten wir dieses Mittagessen mit den Leuten der Disney-Filmstudios in Los Angeles; die wollten unbedingt, dass wir eine Ballade für einen Film mit Richard Gere liefern. Weil ich keine Zeit hatte, änderte ich den Text des Weihnachtsliedes, das ich mal geschrieben hatte, leicht ab. Dem Regisseur Garry Marshall gefiel das Lied so gut, dass er die Hauptdarsteller kein Wort über unsere Musik reden ließ. "Der Song spricht für sich selbst", meinte er.
Ich habe Sie übrigens neulich bei einem Rick-Astley-Konzert in Berlin gesehen. Ist das ein Kumpel von Ihnen aus den Achtzigern?
Ich mochte einige seiner Stücke, als ich jung war. Aber ich habe ihn noch nie getroffen, ich bin nur Fan. Leider konnte ich an dem Abend nur zwei, drei Songs bleiben, weil ich noch eine Verabredung zum Abendessen hatte. Aber Rick Astley klang großartig!
Gehen Sie oft zu Konzerten?
Ja, schon. In Stockholm gibt es jeden Tag tolle Konzerte. Ich checke vieles aus, was gerade aktuell ist. Es ist gut zu sehen, was die anderen Künstler so tun.
Mit Per Gessle von Roxette sprach Katja Schwemmers
Quelle: ntv.de