Muss man gehört haben Herbert Grönemeyer - Antreiber der Nation
12.08.2014, 11:30 Uhr
30 Jahre ist es her, dass Herbert Grönemeyer mit "Männer" seinen ersten Riesenhit landete, Bochum seine Hymne und mit "Flugzeuge in meinem Bauch" Liebeskummer-Geplagten den passenden Soundtrack gab. Ein Blick auf sein Werk.
Der Bochumer ist damals kein unbeschriebenes Blatt - mit "Grönemeyer" 1979, "Zwo" 1980 und "Gemischte Gefühle" aus dem Jahr 1983 legte er drei Alben vor, die ihm eine kleine, feine Fangemeinde sichern, aber nicht den großen Durchbruch. Er gilt damals eher als "Schauspieler, der auch singt", man kennt ihn als Leutnant Werner aus dem Kriegsdrama "Das Boot". Die Plattenfirma lässt ihn fallen, aber es kommt eine neue, lässt ihn gewähren und es funktioniert. Die Single-Auskoppelung "Männer" - ein satirischer Seitenhieb auf seine Geschlechtsgenossen - schießt in die Charts und bleibt dort eine Weile.
Sperrig, aber voller Leben
Die Leute wollen mehr von dem Mann mit der sich leicht überschlagenden, sperrigen Stimme und seinem Klavier. Hier ist einer, der nicht verkopft daherkommt und trotzdem eine eigene poetische Bildersprache präsentiert, die man gleich mit dem Herzen begreift. Sie ist knapp und treffsicher, kein Wort zuviel. Der Blondschopf ist einer, der aus jeder Pore viel Energie und Lebensfreude ausschwitzt und trotzdem weiß, wie es sich anfühlt, in einer Beziehung auf der Verliererseite zu stehen. Und einer, der seiner alten Heimat mit "Bochum" eine wunderschöne Hymne serviert. "Tief im Westen" mag es zwar ein bisschen grau sein, aber dafür gibt es keinen verlogenen Schickimicki, denn es zählt was anderes. "Eine ehrliche Haut", so wie Grönemeyer seine Heimat besingt, wirkt er selbst. Auch ein bisschen stur und manchmal ein wenig selbstgerecht, aber trotzdem sehr sympathisch. Politisch hat er vor 30 Jahren auch schon etwas zu sagen - das Treiben der konservativen Politiker Helmut Kohl, Maggie Thatcher und Ronald Reagan besingt er kritisch. In "Jetzt oder Nie" treibt er die Leute an, den Hintern hochzubekommen und sich gegen die Politik des kalten Krieges und stumpfe Gleichgültigkeit gegenüber gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten zu wehren.
Dieses Anliegen setzt sich auf dem Nachfolgeralbum "Sprünge" - in "Tanzen" beäugt er misstrauisch den zunehmenden Nationalismus in seinem Land und "Maß aller Dinge" setzt sich mit der Apartheit in Südafrika auseinander. Mit "Kinder an die Macht" hebt er die lieben Kleinen in den Himmel, was zu einigem Spott unter Grönemeyer-Gegnern führt. Sein gepresster Stakkato-Gesang polarisiert, aber "Sprünge" marschiert trotzdem gleich auf Platz 1 der deutschen Charts. Kommerziell kann es mit "4630 Bochum" nicht mithalten, aber die hatte sich auch über 2,8 Millionen Mal verkauft. Das muss man erstmal nachmachen.
Nichtsdestotrotz - Grönemeyer ist als Deutschrocker etabliert und wenn er was veröffentlicht, wird es auch gehört. So wie "Ö", das 1988 erscheint und sich lange auf der Spitzenposition der Charts wiederfindet. Es ist rockiger als seine Vorgänger und hat einigen Mutterwitz, was "Was soll das?" beweist - ein mit viel Komik vorgetragenes Eifersuchtsdrama. Aber auch auf die Liebeslieder kann man sich verlassen - Grönemeyer findet weiterhin die richtigen Worte für die Wonnen der Liebe sowie dunkelsten Liebeskummer.
Politik im Blick
Und er hat nach wie vor die Politik im Blick - als 1990 "Luxus" erscheint, war die Mauer gefallen, Deutschland vereint, aber dem Ruhrpottler ist nicht wohl dabei, denn er fürchtet, dass die Ostdeutschen einen hohen Preis dafür zahlen werden. "Deine Liebe klebt" widmete er den Speichelleckern dieser Welt, wie er Jahre später beim Kommentar zu seinem Best-of-Album "Was muss muss" zu dem Lied enthüllte: "Penetrante Freundlichkeit kann auf Dauer extrem nerven". 1993 wird "Chaos" veröffentlicht und darauf findet sich mit "Land unter" eines seiner schönsten Liebeslieder, das bei seinen Konzerten auch immer voller Inbrunst gesungen wird: "Übernimm die Wacht, Bring mich durch die Nacht, Rette mich durch den Sturm".
In den nächsten Jahren muss der zweifache Vater Schicksalsschläge hinnehmen - bei seiner Frau Anna Henkel wie auch bei seinem Bruder Wilhelm wird Krebs diagnostiziert. Davon weiß die Öffentlichkeit aber noch nichts, der Musiker ist mit seiner Frau und den Kindern nach London gezogen, um dort unbehelligt von der deutschen Öffentlichkeit zu leben. In der britischen Metropole wird 1998 auch "Bleibt alles anders" aufgenommen, musikalisch eines seiner interessantesten Alben, denn der Sänger öffnet sich anderen Musikrichtungen wie Drum & Bass. Es ist die erste Platte, die von Alex Silva produziert wird, der sonst mit Bands wie "Manic Street Preachers" arbeitet. Der Waliser wird fortan alle Werke des Deutschen produzieren. In einem Interview bezeichnet Grönemeyer "Bleibt alles anders" als seine "traurigste Platte" und bei Liedern wie "Schmetterlinge im Eis" spürt man dies auch.
Mutmacher der Nation
Im November 1998 sterben innerhalb einer Woche sein Bruder und seine Frau. Seine Tochter Marie trägt ihm auf: "Du hörst nicht auf zu singen" und das macht der Künstler auch nicht - er gibt weiterhin Konzerte und 2002 erscheint sein bislang erfolgreichstes Album "Mensch", das sich über dreieinhalb Millionen Mal verkauft. Der Star, der in seinen Liedern so oft von Mitgefühl und Anteilnahme gesungen hat, bekommt sie nun selbst. Die Menschen strömen in seine Konzerte, kaufen seine Platten und die DVDs. Irgendwie möchte man Trost spenden und sei es nur, in dem man seine Platte kauft. Die aber auch zu den besten gehört, die Grönemeyer je abgeliefert hat - ja, es ist Trauerarbeit, aber auch mit Blick nach vorn. Den hat der Mann, der so gerne tanzt und singt, in seinen Texten immer propagiert und macht es auf "Mensch" in Liedern wie "Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht" und "Demo" weiterhin. Der Junge aus dem Kohlenpott ist ein Mutmacher und wahrscheinlich zuallererst für sich selbst. Als 2006 die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland ausgetragen wird, ist es folgerichtig auch Grönemeyer, der mit "Zeit, dass sich was dreht" die offizielle Hymne für den Wettbewerb liefert.
Bei "12", dem Album, das 2007 erscheint, holt der Musiker dann aber etwas weit aus - zu mächtigen Streicher-Arrangements beklagt er in "Ein Stück vom Himmel" den zunehmenden Missbrauch von Religion. Den Pathos lässt er dann auch in dem Liebeslied "Du bist die" anklingen. Aber zum Glück gibt es dann wieder so etwas wie "Zur Nacht", wo er allen, die überfordert sind vom hektischen Leben, ein Gute-Nacht-Lied singt.
Der vermisste selbstironische Zungenschlag ist zurück
Vier Jahre später klingt es schon wieder rockiger und erdiger, nicht mehr so streicherlastig - "Schiffsverkehr" hat auch wieder den vermissten selbstironischen Blick wie bei "So wie ich". "Deine Zeit" thematisiert die leise Verzweiflung, die einen befällt, wenn die Eltern einem durch Demenz entgleiten. Ebenso schimmert aus "Wäre ich einfach nur feige" heraus, dass es doch manchmal ermüden kann, der ewige Antreiber der Nation zu sein, der sich in Kampagnen gegen die Armut in Afrika, Rassismus in eigenem Land und gegen Atomkraft einsetzt.
Aber Grönemeyer sucht weiterhin die Herausforderungen - für seinen Kumpel Anton Corbijn komponiert er die Musik für dessen Filme "The American" und "A Most Wanted Man". Und er bringt 2012 mit "I Walk" ein englischsprachiges Album heraus, das zumeist aus Übersetzungen seiner Lieder besteht. Seine Songs hat er schon in den 1980er-Jahren übersetzt und in Kanada taucht er damals sogar in den Charts auf. Für "I Walk" gibt er sich viel Mühe - da wird nichts eins zu eins übersetzt, sondern versucht, das Grönemeyer-Idiom in eine andere Sprache zu übertragen. Was nur bedingt gelingen kann, denn wie der Wahl-Londoner vor Jahren selbst in einem Interview bekennt, funktionieren seine Texte am besten auf deutsch. Da kann er schillern, aber jetzt lässt er bekanntlich andere heran - für "Bochum" dürfen die Bochumer in einem Wettbewerb eine fünfte Strophe dichten und der Meister sucht sich die schönste heraus. Ein neues Album ist für diesen Herbst anvisiert und im nächsten Jahr soll es auch wieder auf Tour gehen. Der Mann hat uns weiter etwas zu sagen.
Zugabe:
Grönemeyer ist vor allem live eine Ur-Gewalt, die kollektives Glücksgefühl vermittelt, aufgezeichnet in einigen Live-DVDs wie "Mensch", "Schiffsverkehr Tour 2011, Live in Leipzig" und zuletzt "Live at Montreux 2012".
Der Mann gibt nicht so viele Interviews, in dem er viel von sich preisgibt. Fernseh-Dokumentationen wie "Deutschland - deine Künstler" rücken ihm trotzdem ein wenig auf die Pelle und man erfährt ein wenig von seinem Leben in London.
"Inside Herbert Grönemeyer" - um dem Künstler einem englischsprachigen Publikum näher zu bringen, führte sein Kumpel Alex Silva ein Interview mit ihm, das auf youtube veröffentlicht wurde. Hier philosophiert er glucksend über seine Lieblings-Akkordfolge und fordert zu "kleinen Aufständen" auf, wenn die gesellschaftlichen Zustände zu repressiv werden.
Quelle: ntv.de