Entschleunigung mit Beat Revolverheld über Herrengedecke & Falten
17.03.2014, 15:48 Uhr
Sie lassen für uns das Licht an ... hach ...
Es ist die bislang größte Tour, die die Jungs von Revolverheld spielen. Wenn jemand ihre Musik kitschig findet, ist ihnen das mittlerweile völlig egal. Sie sind noch immer jung, auch wenn sie lang im Geschäft sind, sie tragen Bart, sie wissen genau, wer sie sind und was sie wollen - und auch, was ihre Fans wollen. n-tv.de spricht mit Sänger Johannes Strate und Gitarrist Niels Grötsch übers Heiraten, komischen Electro und die norddeutsche Kneipenkultur.
n-tv.de: Johannes, im Musikvideo zu "Ich lass für dich das Licht an" macht dein Kumpel seiner Freundin einen Antrag. Wann heiraten denn David und Saskia?
Johannes Strate: Er hat uns gerade heute ein "Save the Date" geschickt. Die heiraten im Juni 2015 und kommen heute auch mit ganz vielen Freunden zum Konzert. Sind ja Berliner.
Ihr wisst, dass ihr damit die Messlatte für alle Partner von Revolverheld-Fans unverschämt hoch gesetzt habt ...
Johannes: Nicht nur für unsere Fans. Wir haben uns da natürlich auch selbst ein kleines Eigentor geschossen. Da muss man sich jetzt wohl auch was ganz, ganz Großes einfallen lassen.
Die Frauen zu Hause haben sich schon bedankt, ja?
Johannes: Da muss jetzt erst mal wieder Gras drüber wachsen. In den nächsten Jahren heiratet keiner von uns. Nochmal können wir das jedenfalls nicht machen.
Das Video zum Song ist jedenfalls noch recht neu. Das aktuelle Album "Immer in Bewegung" gibt’s seit September. Gerade ist eure Tour gestartet. Wie wird die so?
Johannes: Ach, die wird gut! Wir haben bei der Tour jetzt auf jeden Fall so viel geprobt wie noch nie! Normalerweise haben wir immer unser Equipment in einen ranzigen Sprinter gepackt und sind losgefahren. Jetzt haben wir einen großen Bus und einen LKW voller Lichttechnik. Die Hallen werden größer und zum Glück kommen auch immer mehr Leute.
Die ganze Tour ist quasi ausverkauft, habe ich gehört.
Johannes: Ja, und deswegen haben wir uns dann natürlich schon ein paar Wochen eingeschlossen, geprobt und uns ein paar Specials überlegt. Es ist auf jeden Fall alles größer, bombastischer und für uns die größte Tour, die wir je gespielt haben! Da haben wir sogar mal kurz über eine Lasershow nachgedacht (lacht).
Niels Grötsch: Kommt wieder, ganz sicher - wie die Gelfrisuren.
Wie auf eurem Plattencover von 2005? Dann vielleicht noch Partnerlook: Denim von Kopf bis Fuß.
Niels: Das wäre besonders schön!
Apropos alte Platten: Was sind denn so die Top-drei-Songs von früher, zu denen die Fans am lautesten mitsingen?
Johannes: "Scheiß auf Freunde bleiben" ist sicher dabei, wahrscheinlich auch "Die Welt steht still". "Halt dich an mir fest" ist ja mittlerweile auch schon von einer alten Platte ...
Niels: "Spinner" auf jeden Fall. Das sind jetzt aber schon vier Songs.
Euch gibt’s ja jetzt auch schon eine ganze Weile. Wie macht man das eigentlich als Band, das "mit Würde altern"?
Johannes: Das klingt ja, als seien wir schon 70! (lacht) Es ist ja normal, dass man seine Erfahrungen macht im Leben und dass man hoffentlich daran wächst oder sich irgendwie weiterentwickelt. Da kommen einem ständig neue Ideen. Das hat erst mal gar nicht zwangsläufig was mit Musik zu tun. Mit Anfang 20 haben wir andere Sachen im Kopf gehabt als mit Anfang 30. Da werden dann natürlich auch die Themen anders auf der Platte. Ich glaube, man muss die Angst vorm Altern überwinden.
Mit der Angst vorm Altern macht dann eventuell euer Video zu "Das kann uns keiner nehmen" endgültig Schluss. Da werfen zwei Senioren Wasserbomben und mopsen Straßenschilder ...
Johannes: Falten und graue Haare kann man nicht verhindern. Und diese ganzen Verjüngungsmittel sind natürlich totaler Quatsch. Als ich 30 wurde, dachte ich auch: Irgendwie komisch. Seitdem ich 30 bin, ist das alles egal.
Der Song klingt für mich auch nach einer Liebeserklärung an die norddeutsche Kneipenkultur. Es gibt für mich keine Stadt, in der es sich so schön das Herrengedeck bestellen lässt wie in Hamburg.
Johannes: Absolut! Wir sind norddeutsche Jungs und das Herrengedeck trinkt sich in Hamburg am Hafen wirklich am besten! Deswegen finden wir es auch wahnsinnig schade, dass dort immer mehr Kneipen schließen und im Zuge der Gentrifizierung immer mehr gläserne Bürotürme entstehen. Seit 15 Jahren geht man in die gleiche Bar. Plötzlich fällt dir auf, sie ist weg.
Ursprünglich kommst du ja aus Bremen. In euren Songs finden sich aber einfach wahnsinnig viele Hamburg-Referenzen. Abgesehen vom Fußball sind dann aber die Loyalitäten gewechselt?
Johannes: Nö, ich finde das nach wie vor eine Spitzenstadt. Wir haben da gestern auch mal wieder ein tolles Konzert gegeben, viele alte Freunde getroffen - das war echt sehr herrlich. Aus Hamburg wegzuziehen kann ich mir im Moment aber nicht vorstellen.
Was bei eurer Musik auch auffällt: Da steckt ganz viel Liebe im Detail - Rotweinlippen, das heimelige Gefühl von Kneipenbeleuchtung. Das ist für euch jetzt sicher ein wahnsinnig alter Hut, aber ihr singt nach wie vor auf Deutsch. Ich persönlich finde, eure Songs würden auf Englisch übersetzt ganz schön viel Wahrheit verlieren. Trotzdem schon mal drüber nachgedacht, die Sprache zu wechseln?
Niels: Nein, wir haben von vornherein auf Deutsch angefangen. Viele unserer Kindheits- und Jugendhelden haben auf Deutsch gesungen.
Johannes: Wie du schon sagst, für uns war es immer wichtig, Sachen richtig auszudrücken und rüberzubringen, wie sie gemeint sind. Wenn du in einer Fremdsprache singst, dann hast du immer so eine Art Filter dazwischen. Mit unserem Schulenglisch kommen wir da nicht so weit.
Niels: Die kleinen Details, die haben in der Muttersprache auch einfach mehr Sinn. So besprichst du sie auch mit deinen Freunden.
Johannes: Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir auch mal was auf Englisch machen. Die Idee zum Song würde aber trotzdem auf Deutsch entstehen und dann erst würde man die übersetzen. Ich würde jemandem, der das besser kann, die Geschichte bei einem Bier erzählen und sagen: So fühlt sich das an. Wie würdest du das - als sagen wir New Yorker - in deiner Stadt beschreiben?
"Wir trinken Schnaps, rauchen Kippen und verändern uns nicht" - mit manchen Sätzen von euch ist man aber auch einfach wahnsinnig leicht einzufangen. Was sagt ihr jemandem, der findet, eure Musik ist irgendwie zu kitschig?
Johannes: Ach, ich kann das zum Teil auch verstehen. Wenn jemand auf so kryptische Sachen steht, sind wir sicher nicht sein Ding. Jeder zieht ja bei Kitsch eine andere Grenze. Ich zum Beispiel finde diese Romantik-Filmchen fürchterlich - tausend Rosen und Kerzen an. Ich mag das nicht so offensichtlich. Da ist das Fremdschämen so groß, dass ich sofort abschalten muss.
Und deswegen ist euer Konzept ...
Johannes: Ich finde oder hoffe, dass es uns da gelingt, die Dinge etwas charmanter zu verpacken. Olli Schulz hat mal gesagt: Wenn man mit etwas in die Öffentlichkeit geht, kann man nicht erwarten, dass jeder das geil findet. Und das stimmt natürlich. Man muss auch mit Gegenwind leben können. Wie Coldplay wiederum sagten: Wir machen ab jetzt einfach nur noch Musik für die Leute, die uns mögen. Das fand ich auch super.
Niels: Ich habe auch gar keine Lust, mich anzupassen und Musik für Leute zu machen, die das eh scheiße finde. Warum auch?
Ist aber auch 'ne fiese Sache. Leuten, die auf Deutsch singen, unterstellt man Schnulzen viel schneller. Bei englischen Texten hören die Leute einfach nicht so genau hin.
Johannes: Ja, wirklich. Bei Deutsch kriegst du sofort auf die Nase. Guck dir mal an, was wochenlang auf Platz eins in den Charts ist: Pharell mit "Happy". Jetzt übersetz das mal. Das ist ein Kinderlied. Gut, als solches ist es auch gemacht. Ist ja der Soundtrack zu "Despicable Me 2" (Ich, einfach unverbesserlich 2). Da würde aber niemand sagen: Mensch, das ist aber platt.
Die Deutschen sind da aber auch verdammt ungnädig mit ihrer eigenen Sprache.
Niels: Sehr! Das hat wahrscheinlich auch etwas mit Identität zu tun. Ich glaube, wir sind trotzdem auf einem guten Weg. Vor zehn Jahren war es gar nicht üblich, in moderner Pop- oder Rockmusik etwas auf Deutsch zu machen. Klar gab es immer die Ausnahmen: In den 90ern die Toten Hosen oder die Ärzte. Dass es jetzt breiter wird und dass viele junge Bands auch anfangen, das zu machen, das finde ich schön. Ich denke, dass sich die Wahrnehmung der Sprache mit der Zeit auch noch ein bisschen ändern wird. Die Deutschen werden da noch entspannter!
Entspannt ist super. Johannes, du und Jakob, ihr habt euch für "Mundpropaganda", eine Aktion des Magazins "GQ", gegen Homophobie geküsst. Und das war nicht das erste Mal, dass ihr zu dem Thema Stellung bezogen habt. Im Video zu "Unzertrennlich" von 2007 habt ihr euch die übliche Teenie-Romanze gespart. Stattdessen küssen sich zwei Jungs. Findet ihr es wichtig, Öffentlichkeit zu nutzen, um auch mal gesellschaftspolitisch Stellung zu beziehen?
Johannes: Klar, wir sind ja keine dumpfen Menschen, die mit Scheuklappen rumlaufen und denen alles völlig egal ist. Bei "Mundpropaganda" ging'’s ums Thema Homophobie, gerade im Vorfeld zu den Olympischen Spielen in Sotschi. Ich habe mich übrigens gewundert, dass da so wenig Zeichen gesetzt wurden. Ich dachte, irgendwann reißt da mal wer das Trikot runter und hat ein Regenbogen-T-Shirt an oder so. Bei uns in der Branche ist mit Homophobie echt nicht viel los. Es gibt hier alles, jeden Freak, den du dir vorstellen kannst. Das ist überhaupt kein Thema. Man spricht gar nicht darüber, ob jemand schwul oder hetero ist. In anderen Bereichen ist das leider immer noch ein Riesenproblem. Deswegen haben wir gedacht, wir unterstützen mal diese Aktion der "Mundpropaganda". War 'ne Kleinigkeit ...
... hat aber ein riesiges Medienecho hervorgerufen. Es waren auch eine Menge gute Leute dabei!
Johannes: Sicher, Grönemeyer und dann Thomas D. und Moses P. - zwei so Hip-Hopper, wo wahrscheinlich der stumpfe Hip-Hop-Fan denken würde: Ey, die hassen Schwule. Eben nicht!
Musikrichtungen und ihre Klischees halt. Was hört ihr eigentlich so?
Niels: Wir hören alle viel so in Richtung Coldplay. Dann höre ich gerne ein bisschen Old-School-Rock. Ich bin schließlich mit Guns'n'Roses groß geworden. Da bin ich natürlich auch schnell bei diesen ganzen Nachfolgebands: Velvet Revolver oder jetzt Slash. Da war ich auch gerade beim Konzert. Natürlich gerne auch mal was Ruhiges - ich hab mir sogar das Birdy-Album gekauft.
Johannes: Ich höre momentan gerne die Platte von Mighty Oaks. Die ist einfach super. Die Charts geben das ja auch ganz gut wieder. "Brother" ist eine super Single. Ich mag sowieso so organische Folkmusik. Mumford and Sons haben Bob Dylan wieder zurückgeholt und jetzt kommen da einige Bands nach. Und dann kann ich gerade die neue EP unseres Supports Sebastian Lind aus Dänemark sehr empfehlen. Tierischer Sänger! So eine Mischung aus Bon Iver und dänischer Popmusik. Ich bin froh, dass er bei unserer Tour dabei ist.
Ihr habt einen Song, in dem es sinngemäß heißt: Alle hören nur noch diesen komischen Electro. Ist Electro echt so blöd?
Johannes: Ich habe da immer so ein bisschen in Richtung The Killers gedacht. Die ersten beiden Alben fand ich super und auf einmal höre ich dann bei denen kein Schlagzeug mehr auf der Platte, keine Gitarren und ich dachte: Was ist denn das jetzt für ein komischer Electro? Es ist natürlich total legitim, Electro zu machen. Aber wenn eine Band unter anderen Vorzeichen startet, finde ich das irgendwie ein bisschen merkwürdig. Der Song hat aber natürlich ein großes Augenzwinkern.
Niels: Wir experimentieren ja auch immer mal wieder so ein bisschen. Aber wir bleiben schon bei unseren Leisten.
Mit Revolverheld sprach Anna Meinecke
Revolverheld sind gerade auf Tour:
18.03. Leipzig, Werk II
19.03 München, Tonhalle
20.03. Stuttgart, LKA Longhorn
21.03. CH-Zürich Komplex Klub
22.03. A-Wien, Szene
25.03. Frankfurt, Batschkapp / ausverkauft
26.03. Hannover, Capitol / ausverkauft
27.03. Münster, Skaters Palace / ausverkauft
28.03. Hamburg, Sporthalle
Auf Grund der hohen Nachfrage ziehen die Jungs im Herbst gleich nochmal los.
Quelle: ntv.de