Wenn arabische Männer weinen ... Yasmine Hamdan bricht mit alten Traditionen
22.06.2015, 13:54 Uhr
Was ist Heimat? Und wo? Eine der großen Fragen, die sich Yasmine Hamdan immer wieder stellt.
(Foto: imago stock&people)
Die libanesische Sängerin Yasmine Hamdan ist die "moderne Stimme der arabischen Musik". Hamdan ist sexy, eigensinnig, rebellisch - und in der konservativen arabischen Welt trotzdem ein Star. n-tv.de traf die Sängerin auf ihrer Deutschlandtour.
"Ihr Name ist Yasmine, und sie wird bald berühmt sein." Diese Worte legt der US-Regisseur Jim Jarmusch dem Hauptdarsteller seines neuesten Films "Only Lovers Left Alive" in den Mund. Jarmusch ist bekennender Fan von Yasmine Hamdan. Im Film lässt er sie in einer kleinen, charmanten Bar in Marokko auftreten, sie singt mit betörend langsamem Hüftschwung und melancholischer Stimme ein komplettes Lied ihres Albums "Ya Nass".
Jarmusch ist mit seinem Bekenntnis spät dran: Die mittlerweile 39-jährige Libanesin hat mit dem Madonna-Produzenten Mirwais zusammengearbeitet und mit den Folk-Schwestern von CocoRosie. Selbst im "Tatort" wurde eines ihrer Lieder gespielt. Viele Konzerte ihrer aktuellen Deutschlandtour sind ausverkauft. In der arabischen Welt ist sie ohnehin ein Star, vor allem für die junge Bevölkerung.
Das liegt vor allem an Soapkills, der Band, die Yasmine Hamdan gemeinsam mit ihrem Namensvetter Zeid Hamdan Ende der Neunziger gründete - in Beirut, der Hauptstadt des Libanon. Der kleine Staat am Mittelmeer hatte gerade 15 Jahre blutigen Bürgerkrieg hinter sich. Yasmine war während des Kriegs in Kuwait, Abu Dhabi und Griechenland aufgewachsen, nun kehrte sie zurück in ein Land, das sich vom Schmerz und den Wunden reinwaschen wollte. Der Name Soapkills, "Seife tötet", ist eine Anspielung darauf. "Beirut hat mich sehr inspiriert", sagt die Sängerin, "überall war Hoffnung, aber gleichzeitig eine große Unruhe und Wut. Beirut war für mich voller Geister und offener Fragen. Deswegen war ich ein sehr wütender Teenager."
Was die beiden Hamdans mit Soapkills machten, war radikal: Sie mischten moderne elektronische Klänge mit Texten aus dem populären arabischen Liedgut. Wie Yasmine diese oft landauf, landab bekannten Lieder interpretierte, war geradezu unerhört: Als eigensinnige Sängerin, die sich nur wenig um musikalische Konventionen scherte. In der konservativen arabischen Gesellschaft zu rebellieren, erfordert viel Kraft. "Sogar meine Freunde meinten, ich sei zu naiv und idealistisch. Aber meine Intuition hat mir gesagt, dass sich schon Wege eröffnen werden, wenn man etwas unbedingt will. Und genau das ist mir passiert." Sie setzte sich durch. Heute, sagt sie, seien die Kritiker von einst ihre größten Fans, sie gilt als Ikone des musikalischen Undergrounds.
Schüchtern und erotisch
Den jüngeren Arabern, vor allem den jungen Frauen, zeigte sie, dass es sich lohnt, für die eigenen Hoffnungen und Träume zu kämpfen. Die ältere Generation schätzt an Hamdan ihre Liebe zur Musik und ihr großes Wissen um die Klassiker. Sie taucht tief ein in die Welt der berühmten Sängerinnen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Namen wie Asmahan oder Fairuz kennt in der arabischen Welt jedes Kind, ihre Lieder rühren selbst erwachsene Männer zu Tränen. Weil Hamdan in mehreren arabischen Ländern aufgewachsen ist, kann sie zwischen verschiedenen Dialekten wechseln - je nachdem, welcher Zungenschlag am besten zur Stimmung der Musik passt. "Im beduinischen Dialekt gibt es etwas sehr Schüchternes und Erotisches, weil die Wörter sehr symbolhaft sind. Du kannst über etwas sehr Sinnliches sehr zurückhaltend sprechen. Das mag ich, weil es viel mysteriöser wird, viel geheimnisvoller." Der ägyptische Dialekt hingegen sei perfekt für witzige Texte, in denen gerne auch deftig geflucht wird.
Dass die meisten Zuhörer außerhalb der arabischen Welt diese Details nicht verstehen, sei aber nicht so wichtig. "Wenn du das Gefühl mitbekommst, wenn das Lied dich berührt, wenn es dich träumen lässt, dann reicht das vollkommen aus", sagt Hamdan. "Als Kinder haben wir doch alle zu amerikanischen Liedern getanzt, aber verstanden haben wir auch nichts."
Yasmine Hamdan ist immer in Bewegung, sie experimentiert viel, geht Risiken ein. Im Gegensatz zur Soapkills-Zeit ist die Musik auf ihrem aktuellen Album meist akustisch, oft sind nur ihre mal hauchende, mal raumfüllende Stimme und eine Gitarre zu hören. Auf Konzerten wird es gerne rockiger, passend zum Titel des Albums, "Ya Nass", was so viel heißt wie "Yo, Leute". Am meisten unter die Haut gehen aber die melancholischen, ruhigen Lieder. "Hal", der Song aus dem Jim-Jarmusch-Film, ist ein gutes Beispiel. Die träumerische, atmosphärische Stimmung schlägt in den Zuhörern Saiten an, die sich schwer einordnen lassen. Und doch - die arabische Sprache, die E-Gitarren, ein Hauch von Paris, das geht zusammen.
Der größte Verdienst von Yasmine Hamdan ist wohl, dass ihre Musik so viele Menschen verbindet: Jüngere und ältere Generationen aus dem arabischen Kulturraum, Frauen und Männer, zunehmend auch ein Publikum in Europa und den USA. Sie selbst hat in ihrem Leben ständig Grenzen überschritten und sie dadurch abgebaut, die Unterschiede kleiner gemacht.
Mittlerweile lebt die Libanesin in Paris, spricht Französisch genauso fließend wie Arabisch. Trotzdem ist sie auch ein Kind des Krieges, und das zeigt sich in ihrem komplexen Verhältnis zu ihrer Heimat. "Ich könnte nicht mehr in Beirut leben, ich fühle mich dort nicht mehr zu Hause." Ob Heimat denn etwas anderes für sie sei, vielleicht die Musik, Gefühle, ihr palästinensischer Ehemann? Da klingt ihre Stimme auf einmal müde, sie wirkt geschafft vom vielen Reisen während der Tour. "Ich weiß nicht, das habe ich mich schon oft gefragt. Ich weiß eigentlich gar nicht, was es wirklich bedeutet, eine einzige Heimat zu haben."
Yasmine Hamdan ist auf Tour, zum Beispiel am 23. Juni in Nürnberg und am 24. Juli in Reutlingen.
Quelle: ntv.de