Kino

"Wir lieben exotische Milieus" Im Häcksler mit den Coen-Brüdern

Von Kultaura umweht: Ethan (l.) und Joel Coen.

Von Kultaura umweht: Ethan (l.) und Joel Coen.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Beim Klang ihres Namens geraten Filmfans ins Schwärmen. Mit Streifen wie "Fargo", "The Big Lebowski" oder "True Grit" brachten es Ethan und Joel Coen zu Kultstatus. Mit n-tv.de sprechen sie über ihr neues Werk "Inside Llewyn Davis", Katzen, Schulden und Menschen in Kleinteilen.

Mit "Inside Llewyn Davis" taucht ihr tief in die Folkmusik-Szene Anfang der 60er Jahre im New Yorker "Greenwich Village" ein. Woher kommt eure Faszination für diese Szene?

Joel Coen: Wir hören diese spezielle Art amerikanischer Musik schon sehr lange - seit vielen Jahrzehnten. Auch in unserem Film "O Brother, Where Art Thou?" drehte sich ja bereits alles um ursprüngliche amerikanische Musik. Das Folk-Revival in den 50er- und 60er-Jahren geht direkt auf diese Musik zurück und führte wiederum zu der Musik, die wir als Kinder gehört haben - Rock'n'Roll und Blues. Wir haben uns also schon viele Jahre lang für Dinge interessiert, die einen Bezug zu dieser Folkmusik-Szene haben.

Wie kam es dann zu der Idee zu dem Film?

Joel: Die ist uns schon vor ein paar Jahren gekommen. Die Szene und Kultur, die sich seinerzeit in Greenwich Village herausgebildet hat, bevor Bob Dylan auf den Plan trat, war sehr speziell. Heute weiß man sehr wenig darüber. Deswegen fanden wir das Thema interessant und exotisch. Und ich denke, anderen Leuten wird das genauso gehen.

In "Inside Llewyn Davis" dreht sich alles um eins: die Musik.

In "Inside Llewyn Davis" dreht sich alles um eins: die Musik.

(Foto: Alison Rosa / Studiocanal GmbH)

Exotisch auch deshalb, weil ihr Jahrgang 1954 (Joel) beziehungsweise 1957 (Ethan) seid. Das heißt, ihr wart im Jahr 1961, in dem der Film spielt, wirklich noch kleine Kinder …

Joel: Ja, wir haben keinen direkten Bezug dazu.

Ethan: Wir waren noch nicht mal in New York. Wir sind in der Provinz aufgewachsen.

Joel: Aber wir haben auch Filme gemacht, die in den 30er-Jahren oder im 19. Jahrhundert spielen. Dass wir keinen unmittelbaren Bezug dazu haben, ist doch genau das, was es für uns interessant macht. Wir lieben exotische Milieus.

Später in den 60ern wart ihr Jugendliche. Wart ihr Hippies?

Joel: Nein, auch dazu waren wir noch zu jung. Als das mit den Hippies passierte, war ich gerade mal zwischen 13 und 14. War ich ein 13-jähriger Hippie? Wohl eher nicht.

Die Geschichte von Llewyn Davis soll sich ja zum Teil an die Autobiografie von Dave van Ronk anlehnen, der 1961 wirklich als Folksänger in Greenwich Village unterwegs war. Wie viel von Dave van Ronk steckt in "Inside Llewyn Davis"?

Joel: Ein wenig, zumal seine Musik in der Geschichte steckt.

Ethan: Aber niemand, der van Ronk kannte oder über ihn Bescheid weiß, würde denken, dass er in dem Film dargestellt werden soll. So ist es nicht. Wir haben van Ronks Memoiren zwar gelesen und bestimmte Dinge daraus verarbeitet. Aber Llewyn Davis ist ein fiktionaler Charakter.

Man neigt ja gern dazu, die Vergangenheit zu verklären. Jetzt hat euer Llewyn Davis aber ganz ähnliche Probleme wie Musiker heute - auch er ist in einem System von Kommerz, übermächtigen Managern und Plattenbossen gefangen. Ist es ein Trugschluss, zu meinen, dass früher alles besser war?

Joel: Ja, ich denke, das ist eine Illusion. Zu glauben, dass es damals gar keinen kommerziellen Druck gegeben hätte, wäre falsch. Den gab es immer in der einen oder anderen Form. Nur in bestimmten Bereichen war es damals wohl etwas weniger kommerzialisiert als heute. Es gab da eben in den frühen 60ern diese Gemeinschaft in Greenwich Village, die einfach nur ihre Musik gespielt hat - auch wenn auch das sicher nicht vollständig losgelöst vom kommerziellen Musikgeschäft passiert ist.

Sie haben es anders als viele ihrer Figuren auf jeden Fall geschafft.

Sie haben es anders als viele ihrer Figuren auf jeden Fall geschafft.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Llewyn Davis ist das Paradebeispiel für einen von zigtausenden Musikern, die es nicht geschafft haben, groß herauszukommen. Man könnte das auch auf zigtausende Autoren, Schauspieler oder Regisseure übertragen. Wovon hängt eurer Ansicht nach ab, ob es jemand schafft? Talent, Glück, Ellenbogen …

Joel: Genau darum geht es in dem Film.

Ethan: Das ist die Frage, die der Film aufwirft, die man aber nicht beantworten will, weil jede Antwort daneben wäre. Es ist irgendeine unkalkulierbare Kombination all dieser Dinge in einem unterschiedlichen Verhältnis bei unterschiedlichen Leuten. In welchem Maß hat er nur kein Glück? In welchem Maß ist er selbstzerstörerisch? In welchem Maß ist er talentiert? In welchem Maß ist er nicht ausreichend talentiert? Wer weiß das schon? Ich nicht. Und der Film gibt darauf auch keine Antwort - weil man es letztlich nicht kann.

"Inside Llewyn Davis" ist nicht euer erster Film, in dem ihr euch einem "Verlierer" widmet. Genauso war es etwa bei "Barton Fink" oder "The Big Lebowski". Sind die Verlierer interessanter als die Gewinner?

Joel: Ja!

Ethan: Wenn ich mir ansehe, was wir machen, dann scheint es so zu sein.

Warum?

Joel: Ich glaube, das ist nur eine Geschmackssache …

Ethan: Es ist auf jeden Fall das, was wir machen. Aber ich weiß nicht wirklich, warum. Wäre es ein besserer Film, wenn Llewyn Davis am Ende als großer Star herauskäme …?

Theoretisch könnte Bud Grossman (r.) den Folkmusiker auch groß herausbringen.

Theoretisch könnte Bud Grossman (r.) den Folkmusiker auch groß herausbringen.

(Foto: Alison Rosa / Studiocanal GmbH)

Joel: Es gibt bestimmt Leute, denen die Geschichte so gefallen würde. Aber manche mögen auch Schokoladeneis und ich Pistazie. Es reizt uns einfach nicht, so etwas zu erzählen.

Ethan: Murray (F. Murray Abraham, Darsteller des Musikmoguls Bud Grossman, Anm. d. Red.) hätte zu Llewyn sagen können: "Ich sehe etwas in dir …"  

Joel: Dann wäre er auf große Tournee gegangen und einigen hätte der Film richtig gut gefallen.

Ethan: Dann wäre er in großen Arenen aufgetreten, in denen ihm alle zugejubelt hätten.

Joel: Ja, ja, ich habe solche Filme gesehen … (Allgemeines Gelächter)

Ihr hättet das so machen können …

Joel: Ja, wir hätten es so machen können. Hätten wir es auch so machen sollen? Vielleicht. Das stellt sich in den nächsten Wochen nach dem Kinostart heraus.

Zu Oscar Isaac passt die Rolle des Llewyn Davis wirklich wie die Faust aufs Auge. Hattet ihr ihn schon im Kopf, als ihr das Drehbuch geschrieben habt?

Joel: Nein, wir kannten ihn gar nicht. Wir haben ihn beim Vorsprechen getroffen. Aber wäre das nicht passiert, wären wir möglicherweise in große Schwierigkeiten geraten. Er ist ein großartiger Schauspieler und wirklich genau der richtige für die Rolle. Und noch dazu ist er ein fantastischer Musiker. Das macht es wirklich besonders.

Mit Katzen hat man es nicht leicht.

Mit Katzen hat man es nicht leicht.

(Foto: Alison Rosa / Studiocanal GmbH)

Eine weitere Idealbesetzung in dem Film ist die Katze. Habt ihr die trainiert?

Ethan: Man kann Katzen, anders als Hunde, leider nicht wirklich trainieren. Mit ihnen in Filmen zu arbeiten, ist eine schrecklich frustrierende Sache. (lacht) Tatsächlich kamen für den Film mehrere ähnlich aussehende Katzen zum Einsatz, je nachdem, wofür sie von ihrem Temperament her am besten geeignet waren. Zum Beispiel eine ruhigere Katze, die Oscar herumtragen konnte. Oder eine wilde, wenn es darum ging, dass sie abhauen sollte. Bis die Katze macht, was man von ihr will, verfilmt man Unmengen an Material.

Joel: Katzen sind Nihilisten.

Ihr arbeitet mit bestimmten Darstellern ja immer wieder in euren Filmen zusammen: Jeff Bridges etwa, George Clooney oder - wie in diesem Fall - John Goodman. Wie kommt es dazu? Weil das Freunde von euch sind oder weil ihr die Qualitäten dieser Darsteller kennt und schätzt?

Joel: John haben wir tatsächlich gewählt, weil er ein alter Freund von uns ist. Und Ethan hat ihm zehn Dollar geschuldet.

Oh, dann hat er für die Rolle also nur zehn Dollar bekommen …

Ethan: Es sind nie nur die zehn Dollar. John ist ein cooler Typ. Wir sind gern mit ihm zusammen. Das ist schon ein Faktor. Abgesehen davon, dass er einfach ein Darsteller ist, den man sich gut in bestimmten Rollen vorstellen kann. Er ist die richtige Person, um gewisse Dinge zu sagen. Es gibt Darsteller, die ein Bild von sich in einer Rolle im Kopf entstehen lassen. Nicht weil sie so wären wie der Charakter, den sie darstellen sollen, sondern weil es Freude macht, sie sich in der Rolle vorzustellen.

Nach wie vor gibt es die Coens am Set nur im Doppelpack.

Nach wie vor gibt es die Coens am Set nur im Doppelpack.

(Foto: Alison Rosa / Studiocanal GmbH)

Die Frage wird euch sicher häufig gestellt: Was lässt euch nach all den Jahren immer noch zusammenarbeiten? Hat keiner von euch Lust, mal allein einen Film zu drehen?

Ethan: Man kann einen Film nie allein machen, man macht ihn immer mit ganz vielen anderen Leuten zusammen.

Joel: Als wir angefangen haben, haben uns die Leute immer gefragt: "Warum arbeitet ihr zusammen?" Und jetzt fragt man uns: "Warum arbeitet ihr immer noch zusammen?" Und wenn wir nicht mehr zusammenarbeiten würden, würde man uns fragen: "Warum arbeitet ihr nicht mehr zusammen?"

Ich merke schon, dass das nicht eure Lieblingsfrage ist. Aber Ethan hat ja schon mal etwas Eigenes gemacht - am Broadway …

Ethan: Ja, dort wurden ein paar Stücke von mir gezeigt.

War das eine Art Flucht vor deinem Bruder?

Ethan: Nein, eher eine Flucht vor Filmen. Das ist einfach etwas ganz anderes als beim Film. Und das hat es für mich interessant gemacht.

Wie ist es, wenn ihr zusammenarbeitet? Streitet ihr viel?

Joel: Nein, das läuft sehr friedlich ab.

Wer von euch hat das letzte Wort, wenn ihr euch mal nicht einig seid?

Ethan: Es geht nicht so sehr darum, einig oder nicht einig zu sein. Wir gehen eigentlich nie mit unterschiedlichen Standpunkten an eine Sache heran. Es geht mehr darum, den Standpunkt zwischen uns beiden und den anderen, die an dem Film mitarbeiten, herauszufinden - durch Gespräche und einen Konsens, bei dem am Ende jeder das Gefühl hat, dass er richtig ist.

Unvergessen als der "Dude": Jeff Bridges in "The Big Lebowski".

Unvergessen als der "Dude": Jeff Bridges in "The Big Lebowski".

(Foto: imago stock&people)

Für viele meiner Bekannten ist wahrscheinlich "The Big Lebowski" euer Kultfilm schlechthin. Besonders viele Preise haben indes zum Beispiel "Fargo" und "No Country For Old Men" erhalten. Unabhängig von solchen Auszeichnungen - gibt es im Rückblick einen Film von euch, der euch persönlich besonders am Herzen liegt?

Ethan: Nicht wirklich. Ich glaube, keiner von uns beiden schaut sie …

Joel: … oder denkt über sie zu viel nach, wenn sie im Kasten sind. Die Filme, die einem am meisten bedeuten, sind die, die man noch nicht gemacht hat. Das sind die Filme, die einen stimulieren. Von etwas, das man in der Vergangenheit gemacht hat, kann man nicht stimuliert werden.

Ethan: Man hat Enthusiasmus für etwas, das man entwickelt. Das befeuert diese Entwicklung. Aber wenn es dann vollbracht ist, schwindet auch der Enthusiasmus. (lacht)

Hat eigentlich einer von euch beiden einen Häcksler zu Hause?

Ethan: DEN Häcksler hat jedenfalls Milo Durben.

Joel: Er ist ein Kabelhelfer (und war es auch bei "Fargo", Anm. d. Red.) in Delano in Minnesota.

Ethan: Und an jedem 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag  in den USA, findet in Delano eine Parade statt, die er mit dem Häcksler im Schlepptau anführt.

Es soll nun auch eine auf "Fargo" basierende Fernsehserie geben - mit Darstellern wie Martin

Der Häcksler aus "Fargo" hat es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht.

Der Häcksler aus "Fargo" hat es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht.

(Foto: imago stock&people)

Freeman, Billy Bob Thornton und Kate Walsh ...

Ethan: Ich kann schon mal sagen: Milos Häcksler kommt darin nicht vor.

Joel: Wir wissen nicht viel darüber. Wir sind auch gespannt darauf, die Serie zu sehen. Die Charaktere stammen nicht aus dem Film, sondern sind neu.

Findet ihr das eine gute Sache?

Joel: Ich weiß es nicht. Frag mich das nochmal, wenn ich es gesehen habe.

Aber ihr habt nichts dagegen ...

Ethan: Nein. Es wäre interessant, ob sie die Serie damit beginnen, Steve Buscemis Teile aus dem Häcksler wieder zusammenzusetzen.

Joel: Ja, und dann würden sie ihn wiederbeleben. Das wäre gut. Aber er wurde gehäckselt. Das wären schon wirklich viele kleine Teile …

Ethan: Das könnte wie in diesem Horrorfilm mit dem Typen mit den Nägeln im Kopf werden.

Apropos Horrorfilm. Ihr habt ja in euren Filmen schon diverse Genres ergründet - von Thriller über Western bis nun hin zum Musikfilm. Gibt es ein Genre, das ihr noch gern ergründen würdet? Science Fiction fehlt zum Beispiel noch …

Ethan: Science Fiction reizt mich jetzt nicht so …

Joel: Vielleicht einen Sandalenfilm, ein biblisches Epos.

Mit Ethan und Joel Coen sprach Volker Probst

"Inside Llewyn Davis" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.

Quelle: ntv.de

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