Kino

"Say Hello To My Little Friend" Seiner Zeit voraus: "Scarface"

"Amigo, die Einzigen in der Welt, die mir Befehle geben, sind meine Eier": Al Pacino als "Scarface".

"Amigo, die Einzigen in der Welt, die mir Befehle geben, sind meine Eier": Al Pacino als "Scarface".

(Foto: imago stock&people)

Brian De Palmas "Scarface" aus dem Jahr 1983 ist der amerikanische (Alp-)Traum in Reinform. Hollywood-Legende Al Pacino schuf mit Tony Montana vor 30 Jahren einen Antihelden, der über die Generationen hinweg Eingang in die Popkultur fand.

"Versuch doch mal deinen Kopf in deinen Arsch zu stecken ... Dann siehst du, ob er da reinpasst." Willkommen in der Welt des Antonio "Tony" Montana, ein kubanischer Gauner, der Anfang der 80er Jahre im Zuge der amerikanisch-kubanischen Familienzusammenführung an den Strand Miamis gespült wird. Tony ist klein, ungebildet, der Inbegriff des Proleten, hat verdammt viel Mut und den Wunsch, ein großer Gangster zu werden.

Die Gewalt vor der romantischen Fototapete - "Scarface" ist auch nicht ohne Ironie.

Die Gewalt vor der romantischen Fototapete - "Scarface" ist auch nicht ohne Ironie.

(Foto: imago stock&people)

Selten wurde das Klischee des amerikanischen Traums vom "Tellerwäscher zum Millionär" eindrucksvoller, schonungsloser und direkter gezeigt als in Brian De Palmas Outlaw-Drama "Scarface", das am 9. Dezember 2013 sein dreißigjähriges Jubiläum feiert. Die Geschichte über den Aufstieg und Fall eines Drogenbarons im Miami der 1980er ist ein Paradebeispiel dafür, wie Kapitalismus und Gier den Menschen zerreißen und zerstören. Tony ist im Grunde seines Herzens kein schlechter Kerl, auch wenn er mit Drogen handelt und Leute umlegt - dies ist Teil seines Umfelds. So sehr ihn seine Gier nach Reichtum und Macht auch korrumpiert und an die Spitze katapultiert, so ist es am Ende doch sein Gewissen, das seinen Sturz und Niedergang besiegelt. Der Verlust der eigenen Identität, der Brudermord und der Bruch mit den selbst erschaffenen Dämonen sind seine Feinde in einer Gesellschaft, die keine Moral und Fehler duldet.

"Der ist ein Kackvogel"

Charakter-Darsteller Pacino gibt Montana auf seinem Weg vom Kleinkriminellen zum Drogenboss eine Präsenz, die auch nach drei Jahrzehnten nichts von ihrer Kraft eingebüßt hat. Sein patziger Gang, sein stoischer Blick und seine ordinär-direkte Sprache geben Montana ein Profil, das ihn unverwechselbar macht. Als Zuschauer sympathisiert man mit Tony, auch wenn man nicht alle seine Taten gutheißt. Mag man ihn nicht, so kann man dank Pacinos Performance Montanas Handeln doch wenigstens nachvollziehen.

"Weißt du, was Kapitalismus ist?" - "Angeschissen werden!"

"Weißt du, was Kapitalismus ist?" - "Angeschissen werden!"

(Foto: imago stock&people)

Pacino spielt diesen Meilenstein seines künstlerischen Schaffens aus dem Bauch heraus, seine Darstellung ist klar, nicht unnötig kopflastig und in ihrer schonungslosen, brutalen Art rein. "Scarface" ist das Porträt eines Durchschnittstypen, der alles will. Er gibt der Masse ein Gesicht, das zur beängstigen Fratze wird, eine tickende Zeitbombe, die jederzeit explodieren kann. Montana ist ein Schlag in die Magengrube der Gesellschaft, die die Opfer, auf denen sie wächst und gedeiht, an den Rand drückt. Er schiebt sich auf seine ihm eigene naive Art zurück in die Mitte und lichtet die Dunkelheit. Er zeigt dem Zuschauer einen klaren, erschreckenden Blick auf die Verlogenheit unserer Welt: "Weißt du, was Kapitalismus ist?" - "Angeschissen werden!"

Montanas Imperium steuert im Eiltempo darauf zu, was jeder Großmacht - ob Land, Unternehmen oder Individuum - beim Verlust ihrer Prinzipien und der Herrschaft der Gier blüht: der Untergang. Oder um es mit Tonys Worten zu sagen: "Ein Mann, der sein Wort nicht hält - der ist ein Kackvogel!"

"Die Welt gehört mir"

Die Kunstfigur Tony Montana hat seit ihrer Erschaffung das Filmgenre längst verlassen. Sie existiert als Metapher des schattigen "American Way of Life" bei dem man sich die Dinge nimmt, die man will. Notfalls auch mit Gewalt. Sinnbild einer Kultur, die nicht nur die Krümel will, die vom Tisch der Reichen und Mächtigen fallen, sondern den Hauptgang samt Dessert. In der Hip-Hop-Kultur der 1980er, 1990er und 2010er wurde Tony Montana zur Ikone. Zum Leitwolf des Ausgestoßenen, der sich holt, was man ihm verwehrt. "Scarface" wurde zum Superhelden der Straßen- und Ghetto-Szene.

Der Star und sein Regisseur: Pacino mit Brian De Palma am Set.

Der Star und sein Regisseur: Pacino mit Brian De Palma am Set.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Kein namhafter Rapper der vergangenen Dekaden hat nicht wenigstens ein Zitat von Montana in seinem Werk. Montana wur de zum Bürgerrechtler der Minderheiten, der den Kapitalismus der scheinbar geordneten Gesellschaft so erklärte, das ihn auch die Straßenkids verstanden. Für sie stand und steht er für Optimismus, für Moral, für Entschlossenheit und Loyalität in einer Welt, die sie ausgrenzt und nicht teilhaben lässt am Erfolg.

Die Spiele-Schmiede Rockstar Games erschuf mit ihrem Spiele-Hit "GTA: Vice City" (2002) eine Hommage an Tony Montana, da man hier eine ähnliche Geschichte nachspielte. Der Medienkonzern Vivendi ging sogar noch einen Schritt weiter und ließ Montana in dem Spiel "Scarface: The World Is Yours" virtuell wiederauferstehen. Hier konnte man als Tony fluchend und um sich ballernd durch ein computergeneriertes Miami fahren und mit diversen Aufträgen Montanas Imperium zurückerobern. Das Finale war eine gewaltige Schießerei auf dem Anwesen von Alejandro Sosa, dem Drogenbaron, der in der Filmversion eigentlich für Tonys Tod verantwortlich ist.

Auch die in den 80er Jahren sehr beliebte TV-Serie "Miami Vice" hatte ihre visuellen und thematischen Wurzeln in "Scarface". Film, Fernsehen, Musik, Computerspiele, T-Shirts, Poster - was Tony "Scarface" Montana im Film versagt blieb, gelang in der Realität: Die Welt gehört ihm.

Drehbuch von Oliver Stone

Als Scarface 1983 in die Kinos kam, war ihm kein sonderlicher Erfolg beschert. Zu brutal, zu unbequem, eine sich selbst feiernde Gewaltorgie, so der Tenor. Hier gab es keinen Helden im üblichen Sinn. Warum sollte man sich auch mit einem Drogendealer identifizieren? Dass "Scarface" seiner Zeit voraus war, zeigt die Geschichte. Denn Jahr um Jahr entwickelte sich ein größerer Kult um einen Film, der einen Nerv in der amerikanischen Gesellschaft traf. In seiner schmutzigen und direkten Art zeigte er eine Lebensphilosophie auf, mit der sich mehr Menschen verbunden sahen und sehen, als es dem Otto-Normal-Verbraucher lieb ist.

Diente als Vorlage: Paul Muni als "Scarface" 1932.

Diente als Vorlage: Paul Muni als "Scarface" 1932.

(Foto: imago stock&people)

Die Schlussszene des Streifens hat Filmgeschichte geschrieben. In ihr wird Montana von dutzenden Guerilla-Kämpfern auf seinem Luxus-Anwesen angegriffen. Mit seinem granatenbestückten Kampfgewehr und den Worten "Say Hello To My Little Friend!" stellt er sich der Übermacht entgegen. 30 Jahre später zweifelt niemand mehr daran, dass sich die Geschichte von Tony Montana ihren festen Platz in der Popkultur nur allzu verdient hat, auch wenn sie nicht jedermanns Geschmack trifft.

"Scarface", der eigentlich ein Remake des gleichnamigen Howard Hawks-Klassikers von 1932 mit Paul Muni als Tony "Scarface" Camonte ist und im Chicago der 1920er Jahre handelt, wurde unter der Federführung von Oliver Stone (Drehbuch) ins Miami der 1980er-Jahre verlegt. Stone erschuf nach eigener Recherche in Kolumbien und Miami die Welt des Tony Montana. Sein eigener Kokainkonsum wie auch beängstigende Erfahrungen mit Kriminellen, die ihn fälschlicherweise für einen Mitarbeiter der Bundesbehörden hielten, flossen in das Drehbuch mit ein. Regisseur Brian De Palma und Montana-Darsteller Al Pacino waren von Stones Arbeit begeistert.

Zusammen erschufen sie einen modernen Filmklassiker, an dessen Intensität und genreverändernder Inszenierung sich auch zukünftige Gangsterfilme des 21. Jahrhunderts messen lassen müssen.

Quelle: ntv.de

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