

Vor 100 Jahren gab es in Deutschland und natürlich auch in der Hauptstadt Berlin schon viele begeisterte Autofahrer – aber noch keine richtige Piste für sie, auf der sie ungestört von Pferdefuhrwerken, Straßenbahnen, ... (Bild von 1920)
... Bussen und Fußgängern losdüsen konnten.
Schon 1909, also noch zu Zeiten von Kaiser Wilhelm II., entstand in Berlin die Idee einer Strecke nur für motorisierte Fahrzeuge - für die erste reine Autostraße der Welt.
Am 23. Januar 1909 gründeten wohlhabende Mitglieder des Kaiserlichen Automobil-Clubs (Kaiser Wilhelm II. hatte 1905 die Schirmherrschaft übernommen) ...
... am Leipziger Platz 16 die "Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße GmbH". Ziel: der Bau einer Rennstrecke für Autos in Berlin; zudem sollte damit der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autoindustrie ein Schub verpasst werden. (Bild: Postkarte aus den 1930ern)
Der Bau der Piste durch den Berliner Grunewald begann 1913, doch der Erste Weltkrieg unterbrach die Arbeiten. Erst als ...
... der Großindustrielle Hugo Stinnes 1920 als Geldgeber einstieg, konnte ...
... die Strecke fertiggestellt werden - und das binnen Jahresfrist. Die Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße - kurz AVUS - war damit die weltweit erste Autobahn, die nur für Kraftfahrzeuge freigegeben wurde. Am ...
... Wochenende des 24./25. September 1921 wurde sie mit einem Rennen eröffnet, an dem nur Autos aus deutscher Produktion teilnahmen. (Einige der Marken und Firmennamen sind heute längst vergessen, wie die Dinos-Automobilwerke oder Dürkopp, ursprünglich ein Nähmaschinenhersteller.)
Hier erreichte Fritz von Opel (im Bild) mit 128,8 km/h die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit, er wurde beim ersten AVUS-Rennen zudem Sieger in der Klasse der 8-PS-Wagen.
Das Hauptrennen am zweiten Tag gewann aber Christian Riecken in einem NAG.
Bis 1940 war die AVUS eine rein private Renn-, Trainings- und Teststrecke. Später wurde sie eine öffentliche Straße und nur für den Rennbetrieb gesperrt. (Bild von 1922)
Die Rennstrecke bestand aus zwei geraden Teilen und zwei Kehren - einer engen im Süden und einer gepflasterten Steilkurve im Norden. (Bild: Nordkurve während eines Rennens 1930)
Als eine der ersten Straßen erhielt die AVUS später (noch nicht bei der Eröffnung) eine Asphaltdecke. Abgesehen von der ...
... aus Ziegelsteinen gemauerten Nordkurve. Insgesamt erstreckte sich der Rundkurs auf etwa 19 Kilometer; ...
... die beiden Geraden waren 9 Kilometer lang. An der Kurve im Norden, ...
... bei der heutigen Messe, entstanden Tribünen und ein Torhaus. Die Rennen am Eröffnungswochenende im September 1921 zogen sehr viele Zuschauer an, doch in den Jahren danach... (Bild: Carl Grossberg, "Berlin, Avus", 1928)
... ließ die Inflation und die schwierige wirtschaftliche Lage das Interesse der Berliner für die Rennen auf der AVUS erlahmen, für viele ging es eher ums nackte Überleben. Zudem war ...
... die Benutzung der AVUS, die am 1. Oktober 1921 für den privaten Autoverkehr freigegeben wurde, nicht billig: Sie war mautpflichtig, die Einmalnutzung kostete 10 Mark, die Vierteljahreskarte 1000 Mark - 1923 musste man für eine Einzelfahrt schon 5000 Mark hinblättern, bevor die Preise durch die Inflation dann komplett durch die Decke gingen.
Die AVUS erlebte in diesen Jahren nur wenige Renntage. Erst 1926 gab es am 11. Juli mit dem 1. Großen Preis von Deutschland wieder ein großes Rennen, bei dem Rudolf Caracciola gewann - in einem ...
... Mercedes Typ "Monza" (2-Liter-Achtzylinder). Bei dem Rennen und dem Training gab es mehrere schwere Unfälle, ...
... bei denen zwei AVUS-Mitarbeiter und ein Beifahrer starben. Auch wegen dieser Unfälle wechselte der Große Preis von Deutschland im Jahr danach ...
... an den am 18. Juni 1927 eröffneten Nürburgring.
Nach dem Großen Preis von Deutschland 1926 kehrte wieder etwas Renn-Ruhe ein auf der AVUS, bedingt durch die Wirtschaftskrise, aber auch durch die Konkurrenz des Nürburgrings (im Bild), ...
... - bis Fritz von Opel auf der AVUS 1928 sein neues Raketenauto RAK 2 testete. Es trug im Heck 24 Feststoffraketen, ...
... die den Wagen am 23. Mai 1928 mit 238 km/h einen neuen Geschwindigkeitsweltrekord erreichen ließen. Das Auto mit 120 Kilogramm Treibladung, das "Raketenfritz" selbst steuerte, ...
... hatte das modifizierte Chassis eines Opel-Personenwagens Modell 80.
Ab Anfang der 1930er-Jahre gab es dann wieder regelmäßigen Rennbetrieb auf der AVUS, auch mit Motorrädern, wie hier im Mai 1932, ...
... es war die lebhafteste und aufregendste Zeit auf der Rennstrecke, teils kamen Hunderttausende begeisterte Zuschauer. (Bild von 1934)
Die Dreißigerjahre brachten viele Neuerungen auf und an der AVUS, ... (Bild von 1933)
... sowohl neue Fahrzeuge als auch Bauten. Hier hat 1934 der "Silberpfeil" der Auto Union seinen ersten Auftritt, Hans Stuck sitzt am Steuer des Rennwagens.
Die Rennfahrer wurden als Helden gefeiert, glanzvolle Namen wie Rudolf Carraciola (Mercedes-Benz, Bild von 1931), ...
... Manfred von Brauchitsch (Mercedes-Benz, Bild von 1932), ...
... Bernd Rosemeyer (Auto Union), ...
... Hermann Lang (Mercedes-Benz) ...
... und der erwähnte Hans Stuck (Auto Union) sind mit dieser Zeit der AVUS eng verbunden.
Zumindest in der Anfangszeit förderte die NS-Regierung den Rennsport. (Bild von 1934)
Besonders die deutschen Rennfahrer ... (Bild: Heiner Fleischmann, Sieger im Motorradrennen bis 350 ccm, Mai 1937)
... wurden gefeiert und zum Teil fast mystisch überhöht. (Rudolf Caracciola im Mercedes-"Silberpfeil", 1937)
Mitte der Dreißigerjahre sah die AVUS viele Bauarbeiten und Veränderungen - 1937 wurde die Rennstrecke "schneller gemacht", ...
... die Nordkurve wurde 43,6 Grad steil, um die Rundengeschwindigkeit zu erhöhen. (Bild: Ingenieur Ferdinand Porsche stoppt die Zeit eines "Silberpfeils" von Mercedes-Benz)
Zudem wurde der Kurvenradius verkleinert. "Schneller machen" funktionierte: ...
... Beim internationalen AVUS-Rennen am 30. Mai 1937 siegte Hermann Lang (Mercedes-Benz) mit einem Rekordschnitt von 261,7 km/h - teilweise fuhr er knapp 400 km/h!
Und Bernd Rosemeyer (Auto Union, mit der 31) raste die schnellste Rennrunde mit einem Durchschnitt von 276,39 km/h.
1937 entstand auch am Ausgang der Nordkurve das neue Verwaltungsgebäude der AVUS mit Zielrichterturm. (Bild: Mercedes-Stromlinienwagen von Rudolf Caracciola in der Nordkurve bei einer Versuchsfahrt, 1937)
Der markante Turm steht noch und wird heute als Motel und Raststätte genutzt.
1938 erfolgte ein anderer großer Eingriff - die AVUS wurde an den Autobahnring angeschlossen, ...
... 1940 wurde der Anschluss an den Berliner Ring freigegeben; damit war sie endgültig keine Privatstraße mehr, sondern ins normale Autobahnnetz integriert. (Bild von 1963)
Für diesen Anschluss musste die bisherige Südkehre verschwinden. Sie sollte als Steilkurve in der Nähe der Havelchaussee neu entstehen, aber nach Aufschüttung eines Erdwalls wurden die Bauarbeiter abgezogen, wegen der Kriegsvorbereitungen und dann des Krieges selbst.
Der Zweite Weltkrieg verschonte natürlich auch die AVUS nicht, sie wurde Schauplatz der letzten Kämpfe um Berlin und trug große Schäden davon, unter anderem durch schwere Panzerketten.
Nach dem Krieg wurde der bereits aufgeschüttete Wall für die unvollendete Südkurve von der US-Armee ...
... als Schießstand genutzt. Die sogenannte Keerans Range gab es bis 1994. (Bild von 1953) Als Ersatz für die Südkehre diente dann die Motorradkurve am Hüttenweg; dadurch verkürzte sich die Rennstrecke auf 8,3 Kilometer.
In den ersten Jahren nach Kriegsende war an Autorennen auf der AVUS nicht zu denken; erst 1951 wurde sie als Rennstrecke wieder hergerichtet. Das erste ...
... Autorennen nach Ende des Zweiten Weltkriegs fand am 1. Juli 1951 statt - nach 13 Jahren Pause.
Nach den Jahren der Entbehrungen und des Leids durch den Krieg freuten sich viele Berliner über Amüsement und Abwechslung und ... (Bild: Start der Formel-III-Fahrzeuge beim ersten Nachkriegsrennen)
... kamen in Massen: 350.000 Zuschauer hatte das Spektakel im Juli 1951.
1954 war die AVUS Schauplatz eines (nicht zur WM gehörenden) Formel-1-Rennens mit den W196-Stromlinienwagen ...
... von Mercedes-Benz. Hier der Sieger: Karl Kling.
Und im August 1959 wurde der Große Preis von Deutschland hier statt auf dem Nürburgring ausgetragen. In der geteilten Stadt eine politische Botschaft in Zeiten des Kalten Krieges. Berliner aus dem Ostteil durften zudem die Tickets mit Ostmark bezahlen.
Nach dem Mauerbau 1961 war die AVUS der direkte Weg vom Westteil Berlins ...
... nach Westdeutschland und umgekehrt; das hatte großen Einfluss auf das Verkehrsaufkommen auf der AVUS: Richtung Grenze wurde es oft voll.
Nach schweren Unfällen beim Großen Preis von Deutschland 1959 (im Bild hinten: der verunglückte deutsche Formel-1-Fahrer Hans Herrmann) wurden auf der AVUS drei Jahre lang gar keine Rennen ausgetragen, danach nur noch mit Wagen mit weniger PS.
Am 4. Mai 1963 startete zum ersten Mal in Berlin ein internationales 24-Stunden-Rennen für Zwei- und Dreiradfahrzeuge; im Bild der "Le Mans"-Start vor der Haupttribüne, im Hintergrund die Nordkurve.
Die legendäre, steile und gefährliche Nordkurve wurde ...
... ab Ende der Sechzigerjahre abgebaut und die Rennstrecke mit der Zeit immer mehr verkürzt, ... (Bild von 1996)
... auf zuletzt 2,6 Kilometer. Zudem wurden ... (Bild: Start zum Saxo-Cup über 25 Runden im Mai 1997)
... sogenannte Schikanen eingebaut, um die Strecke zu entschärfen - trotzdem kam es immer wieder zu schweren Unfällen wie hier bei der DTM 1994: Der Opel Calibra von John Winter war nach einer Berührung durch den Alfa Romeo von Kris Nissen in die Leitplanke geknallt und in Flammen aufgegangen. Der Fahrer kam zum Glück mit kleineren Brandverletzungen davon.
Im Mai 1998 gab es mit der Deutschen Tourenwagen Challenge das letzte Autorennen auf der AVUS - nach 77 Jahren.
Mit einer Abschiedsfeier am 1. Mai 1999, bei der auch alte Sportwagen wie dieser DKW-Rennwagen ...
... oder das "Raketenauto" von Opel zur Parade vorfuhren, wurde der Wettkampfbetrieb ...
... auf dem verbliebenen AVUS-Teilstück der Berliner Stadtautobahn endgültig eingestellt. (oben: 2021, unten: 1996)
Seitdem ist die AVUS nur noch Autobahn.
Der AVUS-Teil der A115, der am Rasthof in die Stadtautobahn mündet, steht als Gesamtanlage unter Denkmalschutz.
Anlässlich des 100. Geburtstags der AVUS wurde die noch stehende, aber ziemlich heruntergekommene Tribüne ... (Bild von 2018)
... saniert - sie wird nun ...
... anlässlich des Jubiläums wiedereröffnet. Eine zentrale Geburtstagsfeier für die AVUS gibt es in Berlin aber nicht und auch die Sonderausstellung zum 100. Jahrestag ...
... namens "AVUS 100 - ein rasantes Jahrhundert" ist nicht in Berlin, sondern im niedersächsischen Einbeck zu sehen.
Um die 15 Rennfahrzeuge sind dort im Museum "P.S.-Speicher" ausgestellt, sowohl Autos als auch Motorräder.
Zudem gibt es, wie schon 1971 zum 50. Jahrestag, eine Sondermarke der Post.
In Berlin organisierte die Initiative "Avus100" für den 24. September ...
... eine Veranstaltung in der ehemaligen Nordkurve.
Die sanierte Tribüne wird aber nicht mehr lange an der AVUS stehen. Denn die Autobahn wird verlegt, frühestens im Jahr 2023 soll der Umbau losgehen. (Andrea Beu)