

Von wegen typisch deutsch! Wer bei Kartoffeln an langweilige Sättigungsbeilagen denkt, ist auf dem Holzweg. Ob in Peking ...
... oder Pakistan, ...
... in Kanada, ...
... Kabul ...
... oder im Kosovo, ...
... auf der ganzen Welt werden Kartoffeln angebaut und gegessen.
Für die Generalversammlung der Vereinten Nationen war das Grund genug, 2008 zum Internationalen Jahr der Kartoffel zu erklären.
Es gab ein IYP-Sekretariat, das bei der FAO, der Welternährungsorganisation, angesiedelt war. Wofür IYP steht? Natürlich für International Year of the Potato.
Lächerlich? Keineswegs. Die UN wollten so auf die wichtige Rolle der Kartoffel als Grundnahrungsmittel aufmerksam machen.
Kartoffeln werden weltweit auf geschätzten 195.000 Quadratkilometern angebaut. Die bescheidene Knolle sei unter den Ackerfrüchten auf Platz vier, heißt es auf der damals eingerichteten Website potato2008.org.
315 Millionen Tonnen Kartoffeln werden jährlich geerntet, mehr als die Hälfte davon in ärmeren Ländern. Die FAO sieht Kartoffeln als "wichtiges Element" im Kampf gegen Unterernährung und Hunger. Das Bild zeigt einen Imbiss in Pjöngjang (Nordkorea).
"Die Kartoffel produziert schneller nahrhafteres Essen, auf weniger Land und unter härteren klimatischen Bedingungen als jede andere Anbaupflanze", informiert die IYP-Website.
Da ist es kein Wunder, dass die Produktion von Kartoffeln weltweit zugenommen hat: in den letzten zehn Jahren um jeweils etwa 4,5 Prozent. Während der Kartoffelkonsum in Europa allerdings rückläufig ist, legen Schwellen- und Entwicklungsländer zu.
2006 haben die Länder des Südens die reicheren Länder bei der Kartoffelernte erstmals überholt. Heute werden fast ein Drittel aller Kartoffeln in China und Indien geerntet.
Noch liegt Europa (inkl. Russland; das Bild stammt aus Weißrussland) beim Pro-Kopf-Konsum weit vorn. 2005 aßen die Europäer im Durchschnitt 96,15 Kilogramm Kartoffeln. In Nordamerika waren es 57,94 Kilo, in Asien (inkl. Australien und Ozeanien) nur 25,83 Kilo.
Dennoch wurde insgesamt fast die Hälfte der weltweiten Kartoffelproduktion in Asien verspeist.
Ursprünglich kommt die Kartoffel aus Südamerika. Die vermutlich ältesten Spuren stammen von der chilenischen Insel Chiloé und sollen rund 15.000 Jahre alt sein.
Möglicherweise schon im 7. Jahrtausend vor Christus entdeckten die Bewohner der Anden die Kartoffel als Nahrungsmittel.
Nach Europa kam die Kartoffel um 1560 mit den Spaniern, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Anden auf Kartoffeln gestoßen waren.
Ein Spanier berichtete nach einer der ersten Anden-Expeditionen von "Pflanzen mit wenigen blassvioletten Blüten und mehligen Wurzeln", die "von angenehmem Geschmack" seien.
In Quechua, der Sprache der Inka, hieß die Kartoffel "papa". Diesen Namen trägt die Kartoffel in Südamerika noch heute. Übersetzt heißt "Papa" schlicht Knolle.
Die in Spanien verbreitete Bezeichnung "patata" wurde von vielen europäischen Sprachen übernommen. Auch in Deutschland wurden die Erdäpfel zunächst "Batate" genannt.
Im 17. Jahrhundert setzte sich jedoch die Bezeichnung "Kartoffel" durch. Der Name leitet sich ab von im italienischen Wort für Trüffel, tartufolo - wie Trüffel müssen Kartoffeln aus dem Boden gezogen werden.
Andere im Deutschen gebräuchliche Bezeichnungen waren bzw. sind Erdapfel, Herdapfel, Erdbirne, Grundbirne und Erdtoffel.
Noch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts tauchte die Kartoffel in anderen europäischen Ländern auf: in Portugal, Frankreich und Italien, in England, Irland und Schottland, 1588 in Wien, später auch in den Niederlanden und in Deutschland.
Ihren lateinischen Name erhielt die Kartoffel von einem Schweizer Botaniker. Caspar Bauhin nannte die Pflanze "Solanum tuberosum esculentum", zu Deutsch: essbarer knolliger Nachtschatten.
Die Europäer sahen in der Kartoffel zunächst weniger eine Nutzpflanze als eine botanische Besonderheit. Den Adeligen gefielen vor allem die zarten Blüten der Kartoffelpflanze.
Kartoffeln fanden daher nicht im Gemüsebeet, sondern in botanischen Gärten ihren Platz. Dort ergötzte man sich am Duft der "Patata" - feine Nasen erkennen, dass Kartoffelblüten ein Vanille-Aroma ausströmen.
Königin Marie-Antoinette (1755-1793) trug mit Vorliebe einen Kranz von Kartoffelblüten im Haar. Der preußische Kurfürst Friedrich Wilhelm ließ die "bezaubernde Pflanze" in seinem Lustgarten anbauen.
Wenn Kartoffelfrüchte gekostet wurden, dann waren es nicht selten die oberirdischen Kartoffeläpfel. Diese jedoch sind giftig - ein Umstand, der bei der Verbreitung der Kartoffel als Nutzpflanze nicht gerade half.
In Deutschland wurden die ersten Kartoffeln einer Legende zufolge in Oberfranken angebaut, genauer: in Pilgramsreuth, einem Dorf nahe der Stadt Rehau. Dort steht heute ein Denkmal für Hans Rogler. 1647 soll er als erster deutscher Bauer Kartoffeln in die Erde gelegt haben.
Dennoch ist die Verbreitung der Kartoffel in Deutschland vor allem mit dem preußischen König Friedrich dem Großen verbunden. Er setzte die Erdäpfel mit Zwang und Propaganda bei seinen Bauern durch, denn er wusste: ...
... Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich.
Der Legende nach ließ Friedrich von seinen Soldaten Kartoffelfelder anlegen. Um die Neugier der Bauern zu wecken, wurden die Felder rund um die Uhr streng bewacht. Wenn Bauern kamen, um sich die Pflanzen näher anzuschauen oder gar ein paar Kartoffeln zu stehlen, ...
... schauten die Soldaten weg. Allein mit List konnte Friedrich die brandenburgischen Bauern jedoch nicht überzeugen. Der König schimpfte mit seinen Bauern: "Kerls, ihr sollt mehr Kartoffeln anbauen, Preußen soll Kartoffeln essen, das ist was Gutes!"
1756 erließ er seinen ersten "Kartoffelbefehl". Darin hieß es: "Wo nur ein leerer Platz zu finden ist, soll die Kartoffel angebaut werden, da diese Frucht nicht allein sehr nützlich zu gebrauchen, sondern auch dergestalt ergiebig ist, ...
... dass die darauf verwandte Mühe sehr gut belohnt wird." Schlechte Getreideernten in den Jahren 1770 und 1771 halfen bei der Verbreitung der Kartoffel in Deutschland.
Aus dem 18. Jahrhundert stammt das Image der Kartoffel, das "Brot der Armen" zu sein. Damit waren auch die Blüten der Kartoffel nicht mehr attraktiv; die Kartoffelpflanzen verschwanden aus den botanischen Gärten.
Doch die Kartoffel schaffte den sozialen Aufstieg. "Morgens rund, mittags gestampft, abends in Scheiben, dabei soll's bleiben", rühmte Johann Wolfgang Goethe die Knolle.
Und Henriette Davidis schrieb in ihrem legendären Kochbuch von 1844, eine "schmackhafte Kartoffelspeise" sei "manchem lieber als ein feines Gericht".
Als Arme-Leute-Essen war die Kartoffel nirgends so erfolgreich wie in Irland. Schon im 17. Jahrhundert löste sie dort Getreide als wichtigstes Grundnahrungsmittel ab.
Die Kartoffel war billiger, ertragreicher und weniger aufwändig in der Zubereitung. Für Irland schien die Kartoffel das ideale Nahrungsmittel zu sein: Kartoffeln sind relativ anspruchslos und gedeihen praktisch überall.
Allerdings sind Kartoffeln auch anfällig für Schädlinge (wie den Kartoffelkäfer) ...
... und Pilze, die im feuchten, windigen Klima Irlands ideale Bedingungen vorfanden. Die Kraut- und Knollenfäule sorgte Mitte des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern Europas für eine Reihe von Missernten.
In Irland waren die Folgen besonders verheerend. Die Untätigkeit der britischen Regierung war ebenso groß wie die Abhängigkeit der Landbevölkerung von der Kartoffel.
Der britische Premier Russell war ein Anhänger des "laissez-faire" - heute würde man sagen: ein radikaler Neoliberaler. Er glaubte, dass "Almosen" nur dazu führen würden, den Willen der Armen zur Selbsthilfe zu lähmen.
In der großen Hungersnot zwischen 1846 und 1849 starben etwa eine Million Menschen. Wer konnte, wanderte aus. Rund 1,5 Millionen Iren gingen in die USA, nach Kanada, Australien oder England.
Der bereits erwähnte Kartoffelkäfer kommt ursprünglich übrigens aus den USA.
Anders als von der DDR-Propaganda 1950 behauptet, war der Kartoffelkäfer jedoch keine Waffe der USA im Kalten Krieg. Er wurde bereits im 19. Jahrhundert nach Europa eingeschleppt.
Anfang der 1950er Jahre hatte in Westdeutschland jeder Einwohner pro Jahr noch sage und schreibe 170 Kilo Kartoffeln gegessen, Ende der 1960er waren es immerhin noch 102 Kilo. Das war die große Zeit der "Sättigungsbeilage".
Heute liegt der bundesweite Verbrauch pro Kopf und Jahr bei weniger als 70 Kilo.
Regional ist die Vorliebe für Kartoffeln in Deutschland unterschiedlich. Im Nordwesten isst man lieber fest kochende Sorten wie "Linda", "Nicola" und "Sieglinde", in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Thüringen und Sachsen ...
... sind es die vorwiegend fest kochenden Sorten wie "Solara", "Satina" und "Secura". Mehlige Kartoffeln (zum Beispiel "Adretta", "Afra", "Aula" und "Likaria") werden vor allem in Ostdeutschland gern gegessen.
Insgesamt werden in Ostdeutschland mehr Kartoffeln verspeist als im Westen, im Norden mehr als im Süden. Am seltensten kommen Kartoffeln in den Haushalten von Baden-Württemberg und Bayern auf den Tisch.
Die Bedeutung der Kartoffel als Grundnahrungsmittel zeigt sich auch in der unglaublichen Sortenvielfalt - die allerdings durch die Massenproduktion schon wieder gefährdet ist.
Immer wieder wurden neue Sorten entdeckt und gezüchtet. Heute sind über 5000 Sorten bekannt. Etwa 1000 davon werden weltweit angebaut. Für Aufregung sorgte in Deutschland das Unternehmen Europlant, ...
... als es den Sortenschutz für "Linda" zurückzog. Ein "Freundeskreis rettet die Linda" kämpft seither juristisch gegen Europlant, um die Kartoffelsorte zu erhalten.
"Linda" wäre nicht die erste Kartoffelsorte, die aus den Geschäften verschwindet. Neben den bekannten Sorten wie "Sieglinde", "Granola", "Secura", "Solara", "Christa" oder "Nicola" gibt es eine Vielzahl weiterer Kartoffelsorten.
Ende des 19. Jahrhunderts wurden bei einer Kartoffelausstellung mehr als 600 Sorten gezählt. Heute sind in Deutschland nur etwa 180 Sorten zugelassen.
Viele davon sind verschwunden, andere sind noch heute zu bekommen - wenn auch nicht in jedem Supermarkt.
Zum Beispiel die Bamberger Hörnchen.
Diese alte festkochende Kartoffel ist vorzüglich als Salz- oder Pellkartoffel geeignet. Ihr einziger Nachteil ist ihre Form: Säubern oder schälen machen ein wenig mehr Arbeit. Aber es lohnt sich!
Für manchen etwas gewöhnungsbedürftig sind blaue Kartoffeln wie zum Beispiel die schottische Blue Salad Potato.
Diese festkochende Kartoffel aus Schottland ist auch von innen blau. Vom Geschmack her sind die Blue Salad Potatos weitaus weniger exotisch: eine leckere Kartoffel, die nicht nur als Salat, sondern auch als Salz- oder Pellkartoffel gegessen werden kann.
Edzell Blue kommen auch aus Schottland. Sie sind jedoch nur außen blau. Die vorwiegend festkochende Knolle gilt als ertragreich und hat einen guten, "speckigen" Geschmack.
Und so sehen die Blüten der Edzell Blue aus.
Blaue Kartoffeln kommen nicht nur aus Schottland. Diese hier heißt Blauer Schwede, wird aber auch Blue Congo genannt.
Natürlich gibt es auch rote Kartoffeln. Diese heißt ...
... Highland Burgundy, kommt aus Schottland und ist mehligkochend.
Sehr lecker sind auch Roseval, eine festkochende französische Sorte von 1950. Ihre Schale ist glatt und elegant, ...
... ihre Blüte zauberhaft.
Das gilt auch für die Sorte Kerkovske Rohlicky, ...
... eine würzige tschechische Kartoffel.
Von Linda war bereits die Rede.
Linda haben tiefgelbes Fleisch, sind festkochend und sehr lecker.
Ein echter Klassiker ist auch diese Kartoffel: Sieglinde.
Festkochend, kräftiger Kartoffelgeschmack, geeignet als Salat-, Salz- oder Pellkartoffel.
Aus Bayern kommt Gusto.
Immer wieder schön. Gusto sind festkochend, frühreifend und haben wie Sieglinde einen kräftigen Kartoffelgeschmack.
Die Mandelkartoffel - auch Puikula genannt - kommt aus Lappland.
Der Name der vorwiegend festkochenden Sorte kommt von den mandelähnlichen Knollen. Feinschmecker schätzen die Mandelkartoffel als Salz- oder Pellkartoffel.
Der Red Duke of York hat seinen Namen nicht von der Farbe seiner Blüten, ...
... sondern von der Farbe seiner Schale. Im Geschmack ist die festkochende Knolle angenehm cremig, geeignet ist sie als Pürree- oder Salzkartoffel.
Eine nahezu schwarze Schale haben die Shetland Black. Innen haben sie einen violetten Ring.
Geeignet ist die mittelfrühe Sorte als Gratin-, Salz- oder Pellkartoffel.
Aus Irland kommt die Sorte Epicure.
Epicure sind vorwiegend festkochend und haben einen milden, lieblichen Geschmack.
Zum Schluss noch eine bayerische Sorte: Margit.
Als süddeutsche Sorte ist Margit vorwiegend festkochend. Sie dürfte aber auch in anderen Teilen des Landes schmecken. Guten Appetit!
Beim Bioland Bauernhof Karsten Ellenberg bedanken wir uns für die Bilder; dort sind die genannten Kartoffelsorten auch zu beziehen (www.kartoffelvielfalt.de).