

Es ist der tiefe Fall eines Berufsrevolutionärs: Am 29. Juli 1992 wird Erich Honecker in Untersuchungshaft im Krankenhaus der Berliner Vollzugsanstalten in Berlin-Moabit. Da hat er bereits einen langen Weg hinter sich.
Der Sohn eines Bergarbeiters tritt bereits mit zehn Jahren der Kommunistischen Kindergruppe bei. Die Mitgliedschaften im Kommunistischen Jugendverband (KJVD) und in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) schließt sich daran an.
Honecker hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Eine Dachdeckerlehre bei seinem Onkel bricht er ab. Er widmet mit sich von 1928 an voll und ganz der Politik. Honecker wird kommunistischer Funktionär und damit Berufsrevolutionär.
Ein großer Theoretiker ist Honecker nicht. Substanzielles zur Entwicklung der kommunistischen Weltbewegung ist von ihm nicht zu lesen. Reden und Aufsätze sind in mehreren Bänden zusammengefasst. Zudem gibt es so eine Art Biografie, die unter dem Titel "Aus meinem Leben" vom Dietz-Verlag herausgebracht wurde.
Honeckers Geburtshaus im saarländischen Wiebelskirchen, das heute ein Ortsteil von Neunkirchen ist. Dort verbringt Honecker seine Kinder- und Jugendzeit. Erich ist das vierte von sechs Kindern von Wilhelm und Caroline Honecker.
Erich Honecker (vorne rechts) ist Mitglied des Roten Frontkämpferbundes von Wiebelskirchen. Während der Nazizeit wirkt er im Untergrund. 1935 wird Honecker von der Gestapo verhaftet. Er sitzt in Gefängnissen in Berlin und Brandenburg/Havel. Während eines Bombenangriffs im März 1945 gelingt Honecker die Flucht.
In der damaligen sowjetischen Besatzungszone kommt es im April 1946 zur Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED. Honecker stößt zur "Gruppe Ulbricht" und wird Vorsitzender der Freien Deutschen Jugend (FDJ). SED-Mitglied ist er bereits.
Das stalinistische System macht es möglich, dass farblose Funktionäre wie Honecker innerhalb der SED und der FDJ schnell aufsteigen können. Parteichef Walter Ulbricht verfolgt einen strikt pro-sowjetischen Kurs. In der DDR, die am 7. Oktober 1949 gegründet wird, herrscht die sogenannte Diktatur des Proletariats.
Bis 1955 führt Honecker die FDJ. Er ist in dieser Zeit ein treuer Ulbricht-Gefährte. Auch private Turbulenzen - Honecker lässt sich von Edith Baumann scheiden und heiratet die jüngere Margot Feist - übersteht der Saarländer in dieser Zeit. Es ist bereits Honeckers dritte Ehe. Ulbricht nimmt ihn aus der Schusslinie und schickt Honecker zur Schulung nach Moskau.
Dort erlebt er die Abnabelung der KPdSU von Josef Stalin. Nach mehrjährigem Machtkampf setzt sich Nikita Chruschtschow durch. Er hält auf dem XX. KPdSU-Parteitag eine bemerkenswerte Rede. Chruschtschow rechnet mit Stalin ab. Das bestehende System wird in der UdSSR - und damit auch in der DDR - nicht angetastet.
Kurz nach dem Tod Stalins verschärft sich in der DDR die Lage. Am 17. Juni 1953 kommt es zum Aufstand, der mit Hilfe von sowjetischen Truppen niedergeschlagen wird. Ulbricht und seine Getreuen können sich an der Macht halten. Die DDR bleibt ein sowjetischer Satellit.
Nach kurzzeitigen Irritationen bekommt Chruschtschow auch die SED-Spitze, die eine Kritik an Stalin ablehnt, in den Griff. Ulbricht, Honecker und Genossen erkennen, dass sie nur mit Unterstützung Moskaus politisch überleben können.
Am 13. August 1961 schließt die DDR die Grenzen zu Westberlin und zur Bundesrepublik Deutschland. Der Berliner Mauerbau wird Honeckers "Meisterstück". Der 48-Jährige ist mittlerweile Vollmitglied des SED-Politbüros, der eigentlichen Machtzentrale. Honecker ist für Militär- und Sicherheitsfragen zuständig.
Westberlin wird eingemauert. Die SED-Führung will so eine weitere Massenabwanderung von DDR-Bürgern in Richtung Westen verhindern. Familien werden auseinandergerissen. Die unmittelbare Umgebung der Berliner Mauer und der DDR-Westgrenze wird zur Todeszone. Dutzende Menschen sterben bei Fluchtversuchen.
"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten", hatte Ulbricht zuvor gelogen. Nun ist sie Realität. Der DDR-Staats- und SED-Chef nimmt eine Parade ab. Links dahinter Honecker, der nun als Ulbrichts Kronprinz gilt und innerhalb der SED immer mächtiger wird.
Honecker will aber die ganze Macht. In der SED-Spitze eskaliert in den 1960er Jahren ein Streit über die weitere ökonomische Entwicklung der DDR. Ulbricht ist für die weitere Entwicklung der Wirtschaft mit entsprechenden Investitionen. Honecker und seine Anhänger favorisieren die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, also auch eine verstärkte Konsumtion.
Auf dem VII. SED-Parteitag 1967: Ulbrichts Stern sinkt unaufhörlich. Honecker steht - scheinbar - treu an seiner Seite.
Um einen erfolgreichen Machtwechsel hinzubekommen, muss die Sowjetunion ihren Segen dazu geben. Dort ist seit 1964 Leonid Breschnew der starke Mann. Er hat Chruschtschow auf das Altenteil geschickt.
Breschnew lässt Honecker ein paar Wochen zappeln, bevor er sein Ja zum Ulbricht-Sturz gibt. Am 3. Mai 1971 hat es Honecker geschafft. Ulbricht muss auf seinem Feriensitz in Groß Dölln seine Unterschrift unter ein vorbereitetes Rücktrittsprotokoll setzen. Honecker wird Erster Sekretär des ZK der SED, 1976 ist er Generalsekretär. Ulbricht bleibt bis zu seinem Tod DDR-Staatsratsvorsitzender. Er hat aber keine Einfluss mehr.
Kurz danach findet der VIII. Parteitag der SED statt. Honecker hält seine erste große Rede als Parteichef. In der Ostberliner Werner-Seelenbinder-Halle wird die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik beschlossen. Der Lebensstandard soll angehoben werden. Ein riesiges Wohnungsbauprogramm wird aus der Taufe gehoben. Das alles ist allerdings nicht ökonomisch untersetzt.
Honecker geht gnadenlos mit Ulbricht um. Er gratuliert seinem langjährigen Gönner am 30. Juni 1971 zu dessen 78. Geburtag. Ulbricht wird regelrecht vorgeführt: in Pyjama und Filzlatschen wird er der Öffentlichkeit präsentiert.
Ulbricht stirbt am 1. August 1973. Zu diesem Zeitpunkt finden in Ostberlin die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten statt. Diese werden nicht unterbrochen. Die DDR präsentiert sich als weltoffenes Land, dabei ist die Mauer am Brandenburger Tor nur rund zwei Kilometer vom Alexanderplatz entfernt. Honecker ist auf dem Höhepunkt seiner Popularität.
Ulbricht wird erst am 17. September 1973 auf dem Ostberliner Friedhof Friedrichsfelde beigesetzt. Ein großer Staatsakt wird inszeniert.
Honecker profitiert zu Beginn seiner Amtszeit auch von der neuen Ostpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung von Willy Brandt. In Bonn und Ostberlin werden Ständige Vertretungen eingerichtet. Brandts Vertrauter Günter Gaus vertritt die Bundesrepublik in der DDR.
Sommer 1975: In Helsinki findet die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) statt. Bei der Unterzeichung der Schlussakte sitzt Honecker neben US-Präsident Gerald Ford. So nah sollte er nie mehr einem Staatschef der USA kommen. Die Schlussakte beinhaltet auch die Garantie der Menschenrechte in den jeweiligen Staaten.
Im Machtbereich der Sowjetunion gibt es aber keine Hinwendung zur Demokratie. Die Phase einer vorsichtigen Liberalisierung ist in der DDR sehr kurz. Honecker zieht die innenpolitischen Zügel wieder an. Zwischen ihm und seinem Moskauer Chef Breschnew herrscht in den wichtigsten Fragen Übereinstimmung. Wenn nicht, fordert die sowjetische Führung diese ein.
So beginnt im Osten Deutschlands eine neue Eiszeit. Im November 1976 wird der regimekritische Liedermacher Wolf Biermann nach einem Konzert in Köln daran gehindert, in die DDR zurückzukehren. Das ruft Proteste in der DDR-Kulturszene hervor. Viele Künstler gehen in den folgenden Jahren in den Westen.
Nachdem er seine Macht in der DDR gefestigt hat, widmet sich Honecker verstärkt der Außenpolitik. 1978 kommt Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi nach Ostberlin. Die DDR leidet wegen des teureren sowjetischen Öls unter Zahlungsschwierigkeiten. Da kommt der Exzentriker aus Tripolis gerade recht.
Honecker schunkelt 1979 mit der FDJ. Chef des Jugendverbandes ist Egon Krenz, der zu diesem Zeitpunkt bereits 42 Jahre alt ist. Trotz aller Festivals und Kundgebungen: Die DDR befindet sich bereits zu diesem Zeitpunkt in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Honeckers sozialpolitische Maßnahmen sind ernsthaft in Gefahr.
Auch deshalb streckt Honecker seine Fühler in Richtung Bonn aus. Im Dezember 1981 besucht Bundeskanzler Helmut Schmidt die DDR. Neben der ökonomischen Kooperation ist auch die Rüstungsfrage Mittelpunkt der Gespräche. Schmidt ist einer der Hauptbefürworter der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Europa.
Unterredung auf Schloss Hubertusstock. Während des Schmidt-Besuchs platzt in Polen eine politische Bombe: Dort wird am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht verhängt. Die sowjetische Führung hatte der kommunistischen Führung in Warschau mit Einmarsch gedroht, sollte sie die Demokratiebewegung nicht energisch genug bekämpfen. Auch Honecker ist damit einverstanden.
Den Weltfrieden propagieren, aber für militärische Maßnahmen in Polen sein: ein nicht zu lösender Widerspruch im kommunistischen Weltbild. Im Bild: Verabschiedung von Schmidt in Güstrow. Tausende Sicherheitskräfte sind in der mecklenburgischen Stadt zugegen. Die Menschen werden vom Kanzler ferngehalten.
Auch das ist Honecker: Eigentlich ist er im Herbst 1984 zum einem Staatsbesuch in Finnland. Der leidenschaftliche Jäger lässt es sich aber nicht nehmen, im nordeuropäischen Land auch einen Elch zu schießen. Honecker und die Jagd: In der DDR sind ganze Abteilungen damit beschäftigt, dem SED-Chef das Jagen so angenehm wie möglich zu machen.
Wird einmal nicht geschossen, dann greift Honecker zur Angel. Trotz aller zur Schau gestellten Selbstzufriedenheit: Honecker hat seinen politischen Zenit überschritten. Er merkt das allerdings nicht.
Sie verstehen sich prächtig: Erich Honecker und der Machthaber der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik Korea (KDVR), Kim Il-sung. Jetzt trägt das Land die Bezeichnung Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK). Kim, der Großvater des derzeitigen Führers Kim Jong-un, besucht die DDR 1984. Natürlich fährt auch der alte Kim in der DDR mit der Eisenbahn: nach Dresden. Der Bahnhof Dresden-Neustadt erhält dafür eine Bahnsteigverlängerung.
Aber der zweite deutsche Staat braucht Geld. Also muss der erste deutsche Staat ran. Im Juli 1983 besucht Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß die DDR. Der bekennende Kommunistenhasser fädelt den Milliardenkredit für die DDR ein. Bundeskanzler Helmut Kohl gibt dazu seine Zustimmung. Die DDR wäre sonst zahlungsunfähig geworden.
Ein Karl-Marx-Orden für das Ministerium für Staatssicherheit 1985: Honecker mit seinem "Freund", Oberbewacher Erich Mielke. Der Stasi-Krake wird von Honecker gehätschelt. Er verschlingt Unsummen erwirtschafteten Geldes, das für notwendige Investitionen nicht eingesetzt werden kann.
Eberhard Diepgen bringt kein Geld, denn sein Westberlin wird ebenfalls von Bonn finanziell unterstützt. Aus anderen Gründen natürlich. Der Regierende Bürgermeister trifft Honecker im Februar 1988 im Ostteil der Stadt.
Die DDR dämmert ihrem Ende entgegen. Innenstädte verfallen, Putz und Dachziegel fallen herab. Aber es wird kräftig gefeiert: Erich und Margot Honecker - sie ist Ministerin für Volksbildung - beim Umzug zum 750. Geburtstag von Berlin im Juli 1987. Honeckers letzten Jahre als DDR-Staats- und SED-Chef sind von Realitätsverdrängung geprägt.
Sie sind Tradition: Honeckers Rundgänge anlässlich der Leipziger Messe. Der Kommunist lässt sich gerne mit Vertretern des Kapitalismus ablichten. Hier spricht Honecker mit dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), Otto Wolff von Amerongen. Die DDR dürstet regelrecht nach Devisen.
Auch mit Vertretern der SPD tauscht sich Honecker aus. Dazu gehört 1985 der spätere niedersächsische Ministerpräsident und Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Abnickveranstaltung in der Volkskammer: Ohne große Diskussion wird der Volkswirtschaftsplan (hier der für 1986) auf den Weg gebracht. Er wird natürlich immer übererfüllt. Fast jeder DDR-Bürger weiß, dass die propagierten Kennziffern nur Hirngespinste sind. Das für Wirtschaftsfragen zuständige Politbüromitglied Günter Mittag (unten links) erstickt jegliche Diskussionen im Keim. Er weiß dabei Honecker hinter sich.
Dabei gibt es selbst in der Staatsführung warnende Stimmen. Gerhard Schürer, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission beim Ministerrat der DDR, fordert ein Umlenken. Er warnt vor der Zahlungsunfähigkeit der DDR. Die DDR-Betriebe sind marode. Die Umweltzerstörung nimmt immer größere Ausmaße an. Honecker ignoriert den Bericht. Der kleingeistige SED-Chef nennt Schürer einen "Saboteur".
Im September 1987 wird Honeckers Wunsch Wirklichkeit: Er besucht die Bundesrepublik Deutschland. Empfang durch Helmut Kohl vor dem Bonner Kanzleramt. Dort ertönt auch erstmals die Nationalhymne der DDR. Dem CDU-Politiker ist sein Unbehagen anzusehen.
Honecker hat für diese Reise kämpfen müssen. Der neue erste Mann in der UdSSR, Michail Gorbatschow, ist lange dagegen. Er befürchtet einen deutsch-deutschen Alleingang. Das Verhältnis Honeckers zum KPdSU-Generalsekretär ist spannungsgeladen. Er lehnt die Aufforderung des Russen zu Reformen in der DDR ab.
Die Gespräche Honeckers mit Kohl sind von Gegensätzen geprägt. Dennoch gibt es danach Erleichterungen im innerdeutschen Reise- und Postverkehr. Kohl spricht über Freiheit, Menschenrechte und die gemeinsame deutsche Geschichte, Honecker über Sozialismus und Kapitalismus, die wie Feuer und Wasser seien.
Etwas entspannter verläuft Honeckers Gespräch mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker.
Beide kennen sich bereits persönlich. Von Weizsäcker hat sich bereits 1983 in seiner Eigenschaft als Regierender Bürgermeister Westberlins mit Honecker getroffen.
Honecker besucht auch seine Heimat. Im saarländischen Neunkirchen wird großes Wiedersehen gefeiert. Rechts im Bild ist der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine, damals noch Mitglied der SPD-Spitze.
In Wuppertal erhält Honecker von Rockmusiker Udo Lindenberg eine - laut Lindenberg - "nicht ganz billige Gitarre". Das Lied "Sonderzug nach Pankow" wird der SED-Chef wohl nicht gespielt haben. Der Udo und der Honni: der pure Gegensatz. Honecker präsentiert sich bei diesem Termin steif und nuschelt etwas von Schalmei.
Im Sommer des turbulenten Jahres 1989 ist Honecker aus Gesundheitsgründen wochenlang nicht zu sehen. Bei der Domweihe in Greifswald am 11. Juni ist er noch zugegen. Überall brodelt es im Land, doch für Honecker ist die Welt in Ordnung: "Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs' noch Esel auf."
Großer Empfang zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 - es sollte der letzte DDR-Geburtstag sein. Brüderliche Küsse zwischen Honecker und Gorbatschow, obwohl sich beide Politiker nicht viel zu sagen haben. Die Situation in der DDR ist gespannt. Honecker laufen die Menschen weg. Zwischen Ungarn und Österreich gibt es ein großes Loch im Eisernen Vorhang.
Ein letztes Mal spricht Gorbatschow Honecker und der SED-Führung ins Gewissen - umsonst. In der DDR gebe es keinen Reformbedarf, heißt es nur.
Honecker lässt sich auch vom 20 Jahre jüngeren KPdSU-Chef die Feierlaune nicht verderben. "Totgesagte leben länger", wirft er auf dem Schönefelder Flughafen einem Team der DDR-Sendung "Elf99" entgegen. Seine Umgebung lacht. Nur noch hohle Sprüche: Derweil blutet das Land aus.
Noch einmal gibt es auf der Ostberliner Karl-Marx-Allee eine Militärparade zum Republik-Geburtstag. Honecker, der auch Chef des Nationalen Verteidigungsrates der DDR ist, lässt Panzer an sich vorbeifahren. Noch einmal genießt er den Stechschritt der Soldaten der Nationalen Volksarmee.
Dann ist abrupt Schluss: Die SED-Herrschaft bröckelt. Hunderttausende Menschen gehen in der DDR auf die Straße und fordern Reformen. Zudem verlangen sie, dass der in der Verfassung verankerte Führungsanspruch der SED gestrichen wird. Die Demonstranten prangern zudem Fälschungen an den Ergebnissen der Kommunalwahlen vom Mai 1989 an. Honeckers Tage an der Spitze der DDR sind gezählt.
Am 18. Oktober 1989 verliert Honecker alle seine Ämter - aus "gesundheitlichen Gründen". Egon Krenz, der kurz zuvor die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung in der Volksrepublik China gelobt hatte, wird SED-Generalsekretär. Später wird er DDR-Staatsratsvorsitzender. Wenige Wochen später geht auch Krenz. Die SED gerät vollständig in die Defensive.
Bemerkenswert: Neben Günter Mittag spricht sich mit Erich Mielke das zweite Politbüromitglied, das am engsten mit dem SED-Chef zusammenarbeitet, für Honeckers Absetzung aus. Der Stasi-Chef versucht so, seinen Kopf zu retten. Ein paar Tage später ist auch der bei den DDR-Bürgern verhasste Mielke weg.
Und von Honecker gibt es keine Bruderküsse mehr zu sehen.
Krenz und Politbüromitglied Günter Schabowski versuchen zu retten, was zu retten ist. Sie scheitern auf ganzer Linie. Das Volk hat genug von der SED-Herrschaft. Schabowski, der Chefredakteur des Parteiorgans "Neues Deutschland" und Berliner SED-Chef war, rechnet in den darauffolgenden Jahren mit der DDR, seiner Partei, Honecker, Krenz und sich selbst schonungslos ab.
Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 befördert den Untergang der DDR. Die meisten Ostdeutschen kommen zum ersten Mal nach Westberlin und in die Bundesrepublik. Die DDR haucht elf Monate später ihr Leben aus.
Was passiert nun mit Honecker? Anfang Dezember 1989 wird gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Vorwurf: Machtmissbrauch und Korruption. Blick auf Honeckers Jagdsitz in Drewitz bei Malchow.
Die Jagdsaison ist für Erich Honecker für immer vorbei.
Blick in das Innere des Honeckerschen Anwesens. Im DDR-Fernsehen nimmt man zu dieser Zeit auch die Waldsiedlung in Wandlitz auseinander. Dort wohnten die SED-Politbüromitglieder, abgeschnitten vom Volk.
Die Honeckers stehen Anfang 1990 ohne Bleibe da. Sie müssen ihr Haus in Wandlitz verlassen. Erich Honecker ist im Januar kurzzeitig in Haft. Nach seiner Entlassung gibt der evangelische Pfarrer Uwe Holmer dem Ehepaar Asyl in Lobetal in der Nähe von Berlin. Der Atheist Honecker begibt sich unter das Dach der Kirche.
Beschämend ist dabei, dass die SED-geführte Koalitionsregierung von Ministerpräsident Hans Modrow (hier mit Wirtschaftsministerin Christa Luft) sich nicht in der Lage sieht, Honeckers Sicherheit zu gewährleisten.
Zwei Jahre später machen Erich und Margot Honecker einen Spaziergang auf dem Gelände der chilenischen Botschaft in Moskau. Dorthin sind sie geflüchtet, weil Russlands Präsident Boris Jelzin auf deutschen Druck hin mit Ausweisung drohte.
Der Sozialist Clodomiro Almeyda ist Chiles Botschafter in Russland. Er gehörte zu den Chilenen, die nach dem Putsch gegen die Regierung von Präsident Salvador Allende 1973 Zuflucht in der DDR fanden.
Zuvor war Honecker in sowjetischer Obut in Beelitz. Von dort war er mit seiner Frau nach Moskau gebracht worden. Nach diplomatischem Tauziehen verlassen beide Ende Juli 1992 die chilenische Botschaft. Almeyda wird von seinem Posten abberufen. Honecker fliegt zurück nach Deutschland. Dort liegt ein Haftbefehl gegen ihn vor.
Nach der Rückführung begibt sich Honecker dann Ende Juli in Untersuchungshaft in die JVA Berlin-Moabit. Er ist wegen des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze angeklagt. Dem ehemaligen SED-Chef wird die vorsätzliche Tötung von Flüchtlingen in vier Fällen vorgeworfen.
Honecker bekommt natürlich den Haftbefehl zugestellt. Er schreibt den Vermerk "Stimmt nicht" an den Rand des Papiers. Während seiner Haftzeit schreibt er die "Moabiter Notizen", in denen Honecker seine Sicht der Dinge darlegt. Während des Prozesses lässt er überwiegend seine Anwälte reden.
Wiedersehen im Gerichtssaal: Auch Mielke ist angeklagt. Seit dem Sturz Honeckers haben sich die beiden ehemaligen starken Männer der DDR nicht mehr viel zu sagen.
Gruß an die während des Prozesses anwesenden Anhänger. Der an Leberkrebs leidende Honecker gibt sich bis zuletzt unbeugsam - und unbelehrbar.
Wegen seiner schweren Erkrankung wird der Prozess gegen Honecker eingestellt. Seine letzte Lebensstation ist Chile. Im Januar 1993 fliegt Honecker nach Santiago. Dort lebt seine Tochter Sonja mit ihrer Familie. Margot Honecker ist bereits zuvor in das südamerikanische Land ausgereist.
Erich Honecker war kein charismatischer Politiker. Er besaß allerdings genug Machtwillen, um innerhalb des Parteiapparates aufzusteigen. Zudem lässt ihn politisches Geschick und Rücksichtslosigkeit an die Spitze der DDR gelangen. Helmut Schmidt nannte Honecker einmal einen mittelmäßigen Politiker. Er war Repräsentant eines undemokratischen Systems, das zum Scheitern verurteilt war.
Am 29. Mai 1994 stirbt Erich Honecker. Seine Frau Margot (Foto vom 25. September 2011) nimmt die Urne mit seiner Asche mit nach Hause. Sie bleibt in Chile. Dort lebt sie von einer bescheidenen Rente. Sie hält Verbindung zu Gesinnungsgenossen und ist ab und zu auf Kundgebungen und kommunistischen Treffen zu sehen.
Auch an der Beerdigung von Luis Corvalan nimmt sie teil. Der langjährige Chef der chilenischen Kommunisten stirbt im Juli 2010.
Margot Honecker praktiziert weiter den proletarischen Internationalismus. Hier trifft sie im Juli 2008 den nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega. Ihn und seine Sandinisten hat die DDR in den 1980er Jahren unterstützt.
Die alte Dame begibt sich noch auf Reisen. In Kuba nimmt Margot Honecker 2011 an der Seite von Präsident Raul Castro an einer Militärparade teil. Für ein paar Tage genießt Erich Honeckers Witwe wieder den Sozialismus.
Am 6. Mai 2016 stirbt auch sie im Exil in Chile.
Und ihr verstorbener Mann ist nur noch ein Fall für das Wachsfigurenkabinett. Bei Madame Tussauds in Berlin steht er neben Willy Brandt.