Die Ruhe vor dem Sturm Wann sich Menschen für einen Seitensprung entscheiden


Fremdgehen geschehe in den meisten Fällen nicht aus dem Nichts, sagt die Expertin.
(Foto: dpa)
Niemand möchte gerne betrogen werden, und doch scheinen viele Menschen die Anzeichen für einen Seitensprung in ihrer Partnerschaft zu ignorieren. Dabei, sagt Sexualtherapeutin Dr. Beatrice Wagner, lässt sich der relativ genau vorhersagen - und verhindern.
Treue steht bei den meisten Menschen ganz oben auf der Wunschliste der Eigenschaften für einen Partner oder eine Partnerin. Ganze 99 Prozent erachten Treue als besonders wichtig, ergab eine Befragung des Instituts Norstat von 2024 im Auftrag des "Playboys".
Dem gegenüber stehen die Daten über Fremdgänger. Etwa jeder vierte Deutsche war schon einmal untreu. Die Gründe dafür sind weniger vielfältig, als man vermuten würde - und unterscheiden sich zwischen den Geschlechtern leicht.
Drei Gründe für Seitensprünge
"Der Hauptgrund, den ich festgestellt habe, ist die sexuelle Unzufriedenheit", sagt die Sexualtherapeutin Beatrice Wagner im Gespräch mit ntv.de. "Der Klassiker ist, dass die sexuelle Lust ungleich verteilt ist und derjenige mit der größeren Lust irgendwann unzufrieden ist." Für manche sei es mit einem einmaligen Seitensprung getan, andere landen regelmäßig in fremden Betten.
Frauen kämpfen in Beziehungen etwas häufiger als Männer mit dem Problem, sich vom Gegenüber nicht mehr gesehen zu fühlen. Sie sehnen sich nach Aufmerksamkeit. "Oftmals fühlt sich einer auch zurückgesetzt, oder erfährt keine Zuwendung und sucht sich diese dann woanders", sagt die Therapeutin.
"Der dritte Grund ist, dass man sich auseinandergelebt hat", erklärt Wagner. Manche verlieben sich neu, weil ein Vakuum in der aktuellen Partnerschaft entsteht. Andere Menschen werden spannender, viele seien auf der Suche nach dem aufregenden Gefühl, das ganz zu Beginn von Liebesbeziehungen entsteht. Ein Kribbeln im Bauch, das sich langsam ausbreitet und uns für Tage und Wochen wie elektrisiert fühlen lässt. Ein Gefühl, das gerade in Langzeitbeziehungen irgendwann abhandenkommen kann.
Kündigen sich Seitensprünge an?
Tatsächlich geschieht ein Fremdgehen in den meisten Fällen nicht aus dem Nichts. "Wenn der Partner oder die Partnerin sich beklagt, Probleme lösen will und das Thema immer wieder anspricht, dann ist Alarmstufe rot", sagt Wagner. Gefährlich wird es dann, wenn das Beklagen aufhört. "Dann ist die Entscheidung gefallen", erklärt die Sexualtherapeutin. "Denn dann hat man für sich eine Lösung gefunden, weil man den inneren Widerstand gegen einen Seitensprung aufgegeben hat."
Ab diesem Moment beschäftige man sich eher mit dem Gedanken, wann und wo sich eine Gelegenheit ergeben könnte, statt mit der Konfliktlösung in der Partnerschaft. Auf der nächsten Konferenz vielleicht? Nach einem Abend mit Freunden? Diese Stille im täglichen Streiten sei trügerisch. "Der ewige Streit hört zunächst auf, der unzufriedene Partner wirkt zufriedener", sagt Wagner. Mittel- oder langfristig entwickele sich allerdings ein Parallelleben.
In welchen Situationen gehen Menschen fremd?
Das passiert in manchen Lebensphasen häufiger als in anderen. "Wenn man eine gewisse Anzahl an Jahren zusammen war, die Kinder flügge werden und man plötzlich merkt, dass man wieder mehr Zeit hat, und dann merkt, dass die Ehe eingeschlafen ist", beschreibt Wagner ein häufiges Szenario.
Da steige in vielen das Bedürfnis nach einem Gefühl der Lebendigkeit auf. Und auch ein realistischer Blick in den Spiegel verrate oftmals: "Ich werde auch nicht jünger. Jetzt habe ich noch Chancen, zu Hause passiert nichts mehr, und das soll es jetzt gewesen sein?", beschreibt die Therapeutin das Innenleben vieler Patienten und Patientinnen.
Aber auch deutlich früher im Leben gebe es ein Hoch an Seitensprüngen - und das treffe viele Frauen in einer vulnerablen Zeit. "Nach einer Schwangerschaft gehen viele Männer fremd, weil sie sich vernachlässigt fühlen", so Wagner. "Das ist so gemein, weil die Frauen sich um das Kind kümmern und oft gar nicht anders können." Viele Männer frustriere das, da sie nur noch als Versorger, Hausmeister oder Elternteil gesehen werden, aber nicht mehr als Mann.
Was nach einem Seitensprung geht - und was nicht
Doch wie reagiert man nach einem Seitensprung? Muss man es dem Partner oder der Partnerin beichten? Nicht unbedingt, sagt Wagner. "Die allgemeine Lesart geht dahin, dass man nach einem einmaligen Ausrutscher oder nach einer kurzen Sache, die beendet ist, nichts sagt", so die Therapeutin. Das gelte nur, wenn das Fremdgehen nicht Resultat grundlegender Probleme in der Beziehung gewesen sei. "In so einer Situation wäre der Schaden, den man der Partnerin oder dem Partner zufügt, einfach zu groß."
Anders sieht es aus, wenn es ernsthafter ist und man nicht gewillt ist, die neue sexuelle Freiheit aufzugeben. "Wenn ich es dann nicht sage, habe ich ja keine richtige Beziehung mehr", so Wagner. Da gebühre es der Fairness, dem Partner die Wahrheit zu sagen und somit auch die Entscheidung über den weiteren gemeinsamen Weg zu überlassen.
Ist die Beziehung noch zu retten?
Ob das Gegenüber einen Seitensprung verzeihen kann, ist fragwürdig und einzelfallabhängig. Verzeihen vielleicht ja, wieder vertrauen eher nein. "Es wird anders als vorher", gibt Wagner zu bedenken. Bestenfalls können Paare eine neue Art von Vertrauen aufbauen. "Sie können Themen vielleicht freizügiger ansprechen, nicht mehr die Bedürfnisse und Wünsche des anderen ignorieren", so die Therapeutin. Daraus könne sich eine neue Vertrauensbasis entwickeln.
Nicht immer gelingt das. Herausfordernd wird es, wenn sich die Situationen des Fremdgehens wiederholen. Taucht eine unbekannte Nummer auf dem Handydisplay auf? Was passiert während der nächsten Geschäftsreise? Wichtig sei es, keine lückenlose Offenheit zu fordern, sagt die Therapeutin. "Das ruft beim anderen nur einen Trotz hervor. Besser ist es, die Sorgen offen anzusprechen und auf Verständnis und Entgegenkommen des Partners zu setzen", so Wagner. Klappt das nicht, sollte man bei sich bleiben und lieber einen Schlussstrich ziehen.
Quelle: ntv.de