Mehr Marketing statt Mineralität Geologieprofessor zweifelt an Sommeliers und Winzern
26.10.2025, 13:00 Uhr Artikel anhören
Bewerten Sie die Klarheit und Reinheit des Weins: Ist er trübe oder matt, spricht vieles für eine mindere Qualität. Ist er kristallklar, mit kräftiger Farbe, bekommt er die Höchstwertung.
(Foto: imago images/Shotshop)
Leidenschaftliche Weintrinker dürfen den Titel seines neuen Buches nicht nur als Aufforderung verstehen, sondern auch als Ironie: "Taste the Limestone, smell the Slate" ("Schmeck den Kalk, riech den Schiefer!"). Jahrzehnte hat sich der Brite Alex Maltman als Geologieprofessor an der Universität Aberystwyth mit dem Gestein der Welt beschäftigt. Am Ende seiner Karriere kommt er zu dem nüchternen wie ernüchternden Schluss, dass man in Weinen nichts davon schmecken kann: weder Schiefer noch Basalt, Granit, Feuerstein oder Vulkanfels. Für die oft gepriesene "Mineralität" des Weins gebe es keine wissenschaftliche Erklärung. Dafür erkennt Maltman eine ökonomische: das Weinmarketing.
ntv.de: Neulich im Restaurant, ein Pärchen - er bestellt einen deutschen Weißwein, lässt einschenken, nippt, schließt die Augen und schwärmt: "Diese Mineralität!" Professor Maltman, wissen Sie, was er meint?
Alex Maltman: Nein.
Gar nicht?
(lacht) Na ja, er will den anderen zu verstehen geben, dass er sich auskennt. Manchen imponiert das - vor allem anderen Männern. Und er will sagen, dass da etwas ist, das mehr oder weniger nach Stein schmeckt.
Unmöglich?
Steine schmecken nach nichts. Trotzdem machen sich manche Menschen ausgiebige Vorstellungen von mineralischen Geschmacksnoten. Ich möchte ihnen das nicht ausreden, aber ich weise darauf hin, dass sie es nicht so ernst meinen können.
Vielleicht meinen sie ein bestimmtes Mundgefühl statt konkrete Aromen?
Das mag sein. Tatsächlich kann man einen Wein ja im Mund als rau und hart oder frisch und kühl empfinden - was auch zu Vergleichen verleitet: als lecke man vielleicht an einem Fels oder an einem Tongefäß oder als trinke man einen Schluck Mineralwasser. Mineralität als Metapher ist vollkommen okay. So wie viele andere Vergleiche. Sagt man, ein Wein schmecke nach Johannisbeeren, Kirschen oder Zitronen, weiß jeder, dass die Früchte nicht enthalten sind. Diese Unterscheidung vermisse ich in puncto Mineralität.
Was stört Sie konkret?
Wenn ausgewiesene Kenner behaupten, Wein von der Mosel schmecke oder rieche zum Beispiel nach Schiefer - und wenn sie sogar glauben, den Geschmack von grauem und rotem Schiefer unterscheiden zu können. Woanders werden solche Auffassungen über Basalt, Kalk, Granit, Löß oder Vulkangestein verbreitet. Tatsächlich werden diese Aromen herbeigeredet und -geschrieben. Sie sind schon allein deshalb unmöglich, weil alles Gestein verwittert und sich nicht in Wasser löst. Wäre es wirklich im Wein, wären steinige Partikel im Glas. Es versteht sich von selbst, dass diese weder durch die Pflanze noch durch die Fermentation bis in den fertigen Wein wandern können.
Ist die Wein-Sprache vieler Sommeliers also felsenfester Quatsch?
Wenn man sich vom Mythos der Mineralität mitreißen lässt, leider ja. Aber es sind nicht nur Sommeliers, die so reden. Verkäufer, Tester und nicht zuletzt Winzer machen es auch. Vor allem verblüfft mich, dass ihre mineralischen Fantasien klingen, als hätte die Menschheit die Fotosynthese noch nicht entdeckt. Seit ungefähr 200 Jahren wissen wir, dass sich alle Pflanzen von Licht, Kohlendioxid und Sauerstoff, Wasser und Nährstoffen im Boden, vornehmlich im Humus, ernähren. Gesteinsmaterial spielt für diesen Prozess keine Rolle.
Sie haben Mineralwasser erwähnt - das offenkundig Mineralien enthält. Warum also nicht auch der Wein?
Ein Grundproblem dieser Diskussion liegt in der Verwechslung von geologischen Mineralen, also Grund- oder Sedimentgestein - auf Englisch sagen wir "bedrock" - und mineralischen Nährstoffen, den sogenannten Mineralien wie Kalium, Kalzium, Schwefel oder Phosphor. Letztere sind wasserlöslich und befinden sich deshalb nicht nur im Mineralwasser, das genau genommen "Mineralienwasser" heißen müsste, sondern selbstverständlich auch im Wein. Ins Wasser gelangen die Mineralien, weil sie sich Jahre, Jahrhunderte und manchmal Jahrtausende im Fluss befinden. In die Reben gelangen sie durch die Wurzeln, was ein komplizierter Prozess mit viel geringeren Dosen ist.
Kann man diese Mineralien schmecken?
Umgeben vom Zucker, der Säure und den Gerbstoffen der Trauben halte ich es für unmöglich, Mineralien aus einem Wein herauszuschmecken. Einfluss haben sie trotzdem. Kalium zum Beispiel beeinflusst den pH-Wert der Rebe. Eine höhere Konzentration soll den Wein weich und runder wirken lassen. Zugleich sagt das überhaupt nichts über die geologische Herkunft aus, da dieselben Mineralien nahezu überall auftreten. Auch lassen sie sich gezielt im Weinkeller beimischen.
Was ist mit Salz? Salzigkeit ist in Weinbeschreibungen immer häufiger zu hören - statt Mineralität.
Tatsächlich ist Halit das einzige Gestein, das wir schmecken können und das sich in Wasser löst. Im Deutschen heißt es auch Steinsalz, chemisch ist es Natriumchlorid. Wer aber annimmt, dass der Wein Salz aus dem Boden zieht, ist ebenfalls auf einer falschen Fährte: Während Chlorid in winzigen Mengen nötig ist, benötigt die Rebe kein Natrium - im Gegenteil: Es kann ihr schaden.
Im Abgang eher holzig? Oder fruchtig? Gar salzig? Die Wein-Sprache kennt viele Facetten.
(Foto: IMAGO/Panthermedia)
Die Wurzeln werden also versuchen, es zu blockieren. Keine Rebe nimmt so viel Salz durch ihre Wurzeln auf, dass es sich auf den Geschmack der Trauben überträgt und dann bis zur Fermentation und bis ins Glas durchhält. Eher würden die Pflanzen wegen Übersalzung eingehen. Die zunehmende Versalzung von Böden, etwa in Australien, ist eine Folge des Klimawandels. Die Bildung salziger Aromen hat unterdessen andere Ursachen.
Wie erklären Sie sich den Salzgeschmack, den man manchmal vorwiegend nach einem Schluck Weißwein und Rosé auf den Lippen hat?
Als Geologe kann ich ihn nicht erklären. Generell kann ich sagen, dass Pflanzenwurzeln nur Ionen aufnehmen, keine vollständigen Moleküle, die Aromen oder Geschmack transportieren. Was wir als salzig empfinden, ist nach meiner Einschätzung ein Produkt anderer Prozesse der Weinbereitung. Ich tippe auf winzige Mengen anderer Verbindungen wie Bernsteinsäure, die einem Wein einen leicht salzigen Geschmack geben. Fest steht: Keine dieser Verbindungen stammt aus dem Boden.
Mineralwasser kann auch nach Schwefel schmecken, auf gut Deutsch nach faulen Eiern. In der kultivierten Wein-Sprache wird diese Note als "flintig" bezeichnet, weil sie an Feuerstein erinnert, der auf Englisch "flintstone" heißt.
Über das Gestein, das wir Feuerstein nennen, sollte man wissen, dass es enorm hart ist, sich nicht entzündet, nicht brennt und ebenfalls weder Duft noch Geschmack hat. Dass die schwefligen Aromen von Weinen wie Chablis oder Pouilly-Fumé mit Feuerstein-Vorkommen im Burgund oder an der Loire in Verbindung gebracht werden, liegt an der Erfahrung, die die Menschheit mit Feuersteinen gemacht hat. Aber nicht als Keilwaffe, sondern als Anzünder, der Metalle Funken schlagen lässt, sodass ein Feuer entsteht. In diesem Moment können Verunreinigungen am Feuerstein einen Geruch freisetzen. Mir ist nicht bekannt, dass so etwas im Weinberg passiert oder zur Weinbereitung zählt. Schweflige Aromen im Wein und Feuerstein-Vorkommen im Weinberg verleiten wieder zu Annahmen und Vergleichen, aber haben nichts miteinander zu tun.
Ist es dann auch Quatsch, Vulkanböden für rauchige und schweflige Aromen im Wein verantwortlich zu machen?
Die Vorstellung, man könne Rauch schmecken, weil ein Vulkan vor unendlich langer Zeit gequalmt hat, ist ein weiteres Beispiel für die menschliche Fantasie. Abgesehen davon, dass die wenigsten einen rauchenden Vulkan gesehen und noch weniger einen gerochen haben, werden die meisten an brennendes organisches Material wie Holzkohle denken. Das hat mit den geologischen Substanzen, die in den Kratern hochkochen, gar nichts zu tun.
Das klingt sehr ernüchternd ...
Es entspricht der nüchternen Erkenntnis, dass der Begriff der Mineralität in der Wein-Sprache substanzlos ist.
Warum wird sie trotzdem so lebhaft bemüht?
Ich kann nur vermuten, dass es um das Charisma und die Erhabenheit von großen, schweren und uralten Gesteinen geht. Minerale wie Granit, Basalt, Schiefer, Kalk, Löss oder Tuff, die aus unserer Sicht schon immer da waren, bringen schließlich etwas Großartiges, etwas Neues und immer wieder Junges hervor: den Wein einer Region! Es ist eine Art Ursprungsfolklore, die eine unverwechselbare Beziehung zum Mutterland suggeriert - ohne dafür politische und damit immer auch ideologisch gefärbte Geschichten zu bemühen. Solche Werbung erzeugt einen enormen Anspruch.
Wie würden Sie für Wein aus einer bestimmten Region werben?
Mit dem Boden, den wir auch die Auflage nennen. Sie kann wahrlich sehr unterschiedlich sein, manchmal schon auf wenigen Metern. Das wäre unbedingt eine Erwähnung wert, aber ich kenne kein Weinmarketing, das den Humus und die Mikroorganismen in der Auflage oder die Intensität der UV-Strahlung oder die Hefen in der Luft thematisiert.
Dabei sind sie die wichtigsten Faktoren für den Weingeschmack, die von der Natur bereitgestellt werden - und die jeden Tag einen Einfluss haben können.
Also bleibt nichts für die Steine?
Das habe ich nicht gesagt (lacht). Ihr wichtigster Beitrag, allerdings nur in verwitterter Form, ist, die Wurzeln mit Wasser zu versorgen. Wir müssen also über die Durchlässigkeit, die Speicherung von Wasser und das Gleichgewicht daraus sprechen. Ich habe keinen Zweifel, dass diese Prozesse sehr wichtig sind für die Reifung der Trauben und die Bildung von Aromavorstufen.
Mit Alex Maltman sprach Peter Littger
Quelle: ntv.de
