Panorama

"Steinchen im Schuh" Papst Franziskus über Feinde und Verschwörer

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Bevor andere seine Geschichte erzählen, hat er sie lieber selbst erzählt: Papst Franziskus.

Bevor andere seine Geschichte erzählen, hat er sie lieber selbst erzählt: Papst Franziskus.

(Foto: IMAGO/Independent Photo Agency Int.)

Sein Papsttum neigt sich dem Ende entgegen, da holt er zu einem Rundumschlag im Vatikan aus. Franziskus entwirft ein Sittenbild, wie man es eher in Romanen von Dan Brown erwarten würde und blickt auf eine Welt voller Hinterlist, Lügen - und einer Verschwörung, um ihn aus dem Amt zu jagen.

Es ist tatsächlich der Papst selbst, der hier die Liste der Verschwörer benennt. Im Italienischen sagt man dazu, sich die "Steinchen aus den Schuhen holen": Im konkreten Falle sind es aber keine Steinchen, sondern Felsbrocken.

In einem Interview-Buch mit dem spanischen Journalisten Javier Martinez-Brocal spricht Papst Franziskus über seinen Vorgänger, Papst Ratzinger, und sein Verhältnis zu ihm. Dabei wird schnell klar, dass ein Mann ganz oben auf der Liste seiner Gegner steht: Erzbischof Georg Gänswein, der frühere Privatsekretär des deutschen Papstes Benedikt XVI. In ihm sieht Franziskus den Dreh- und Angelpunkt seiner innervatikanischen Gegner.

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Gänswein, so schreibt Franziskus, fehle es an "Anstand und Menschlichkeit": Einen härteren Vorwurf kann man einem katholischen Bischof wohl nicht machen. Franziskus erinnert dabei an die Veröffentlichung des Buches von Gänswein "Nichts als die Wahrheit", welches nichts anderes sei als ein Angriff von Gänswein gegen ihn. In dem Buch beklagte sich Gänswein über seine Beurlaubung durch Papst Franziskus.

Nun erklärt sich Papst Bergoglio. Er sei vielfach für die einfache Zeremonie der Beerdigung seines deutschen Vorgängers kritisiert worden, als hätte er Ratzinger herabwürdigen wollen. Dabei sei es Gänswein gewesen, der die ganze Zeremonie entworfen habe, von A bis Z. Dann setzt Papst Franziskus hinzu: Seine eigene Beerdigung werde noch sehr viel einfacher stattfinden. Er habe das Beerdigungsprotokoll im Vatikan grundlegend geändert. Der verstorbene Papst werde in Zukunft nicht mehr - in einem offenen Sarg auf edlen Kissen gebettet - den Gläubigen zu einem letzten Abschied gezeigt, sondern sein Sarg werde verschlossen bleiben, "wie bei jedem anderen Christenmenschen auch". Sein Leichnam soll auch nicht im Vatikan beigesetzt werden, verfügte Papst Franziskus, sondern in der Basilika Santa Maria Maggiore. Mit dem Pomp der doppelten Zeremonie sei jetzt Schluss.

Machtspielchen

Ein Intrigant und Machtspielchenspieler - laut Franziskus: Georg Gänswein.

Ein Intrigant und Machtspielchenspieler - laut Franziskus: Georg Gänswein.

(Foto: dpa)

In dem Buch erklärt der Papst, warum er Erzbischof Gänswein die prestigereiche Position als "Präfekt des Päpstlichen Hauses", als Zeremonienmeister des amtierenden Papstes, im Februar 2020 entzogen und ihn auf die Rolle als Betreuer von Papst Ratzinger zurückgestuft hatte: Franziskus hatte den Eindruck, dass die Kreise um Gänswein den emeritierten Papst gegen ihn, dem amtierenden Papst, immer wieder in Stellung brachten. "Dabei hat Papst Benedikt mich immer wieder verteidigt", wenn man versucht habe, die beiden gegeneinander auszuspielen. Bis in die letzten Stunden, schon auf dem Sterbebett, so Franziskus, habe man noch versucht, ihn von seinem Vorgänger fernzuhalten.

Franziskus bestätigt mit diesen Worten den Verdacht, den viele Beobachter des Vatikans seit dem Rücktritt von Benedikt XVI. hatten: Der Schattenpapst war eine große Belastung für den amtierenden Papst. Franziskus aber klagt nicht seinen Vorgänger an, sondern die Kreise um dessen Privatsekretär. Als Beispiel für das Intrigenspiel gegen ihn erwähnt er ein Foto, welches Kardinal Müller 2017 mit dem emeritierten Papst zeigt, nachdem der Papst Müller gerade von der Aufgabe als Präfekten der Glaubenskongregation entbunden hatte: eines der wichtigsten Ämter im Vatikan. Es ist das "Ministerium zur Überwachung der Glaubensreinheit", welches auch über Fälle von Missbrauch durch Priester urteilt. Bevor Ratzinger 2005 Papst wurde, war er unter Papst Johannes Paul II. jahrzehntelang der Chef dieses Amtes.

Wer, wenn nicht Gänswein?

Das Foto des freundlichen Händeschüttelns des geschassten deutschen Kurienkardinals, Wortführers der konservativen Franziskus-Gegner, mit dem emeritierten Papst, vermittelte eine deutliche Botschaft: Es sollte eine ideelle Einheit der beiden suggerieren, und zwar gegen den argentinischen Reformer-Papst. Und wer, wenn nicht Gänswein, konnte das organisiert haben? Ähnlich der Fall eines Buches des konservativen Kardinals Robert Sarah, zur Zeit des Rücktritts von Ratzinger erschienen, in dem dieser die Ehelosigkeit der Priester strikt verteidigt. Auch das sei ein Versuch gewesen, so sieht es Franziskus, Ratzinger gegen ihn ins Feld zu führen, denn Sarah und Ratzinger traten dabei als Co-Autoren auf. Doch dessen Name sei missbräuchlich genutzt und danach gestrichen worden. Der Verdacht: Wer, wenn nicht Gänswein, könnte dahinterstehen?

Georg Gänswein

Georg Gänswein, geboren am 30. Juli 1956 in Riedern am Wald (Südschwarzwald), studierte zunächst in Freiburg (1976-79) und dann in Rom an der Päpstlichen Universität Gregoriana (1979-1980) katholische Theologie und Philosophie.

1984 wurde er zum Priester geweiht und ab 1995 war im Vatikan tätig. Schon ein Jahr nach seiner Ankunft, ab 1996, wurde er direkter Mitarbeiter von Joseph Ratzinger in der Glaubenskongregation. 2003 wurde Gänswein Ratzingers Privatsekretär, einen Monat vor seiner Abdankung machte Papst Benedikt ihn noch im Januar 2013 zum Bischof.

Nach dessen Rücktritt blieb Gänswein Präfekt des Päpstlichen Hauses, auch unter Papst Franziskus, bis er 2020 von diesem dauerhaft "beurlaubt" wurde.

Nach dem Tod von Papst Ratzinger am 31. Dezember 2022 wurde Gänswein Anfang Juli 2023 zu seinem neuen "alten Arbeitgeber", und zwar in seine Heimatdiözese Freiburg, zurückgeschickt - ohne vom Vatikan weitere Aufgaben zu erhalten.

Beispiele, wie man Papst Ratzinger gegen ihn missbraucht habe, gibt es genug, so Franziskus. Dabei habe er nur den Kampf Ratzingers gegen den Missbrauch fortgeführt. Es gab sogar den Versuch "einiger Kardinäle", ihn, den gewählten Papst, wegen "Häresie" (Abfall vom rechten Glauben, Anm.d.Red.), aus dem Amt zu entfernen: "Eine Verschwörung" gegen ihn, so der Papst. Weil er angeblich die Homo-Ehe kirchlich zulassen wollte. Dabei war es ihm alleine um die Anerkennung ziviler Verbindungen gegangen, nicht um eine kirchliche Trauung gleichgeschlechtlicher Paare. Eine solche ist weiterhin verboten. Seit Anfang 2024 dürfen sich gleichgeschlechtliche Paar kirchlich segnen lassen, können aber dennoch nicht als Ehepaar anerkannt werden. Auch gegen seinen treuen Kardinalstaatssekretär Pietro Paolin (seine Rolle entspricht einem Regierungschef), habe man intrigiert, man wollte ihn in den Skandal um Geheimdokumente und Finanzmissbrauch, die sogenannten "Vati-Leaks", hineinziehen. Ratzinger habe sich in all den Fällen immer genau informiert und dann ihm, Franziskus, recht gegeben, sich nicht missbrauchen lassen: "Ratzinger war ein Ritter" edler Gesinnung, aber sein Sekretär Gänswein, der "hat mir die Dinge schwierig gemacht".

Selten hat man eine innerkirchliche Kritik so deutlich gehört. In Papst Franziskus' Worten schwingt Bitterkeit mit. Was viele nicht sehen wollten: Ratzinger und er hätten sich immer gegenseitig unterstützt. So habe er 2005 im Konklave die Wahl von Ratzinger direkt unterstützt. Die 40 Stimmen, die damals auf ihn entfallen seien, hätten die Wahl Ratzingers verhindern sollen, weil dieser ja eine Zweidrittelmehrheit der Kardinäle benötigte. Man habe dort für ihn gestimmt, um Ratzinger zu verhindern und um dann einen anderen Kardinal zu wählen, weder ihn noch Ratzinger, erzählt Papst Franziskus über die Ränkespiele bei der Wahl seines Vorgängers. Er selbst aber habe zur Wahl Ratzingers aufgefordert, deswegen sei der Deutsche dann Papst geworden.

Eines ist sicher: Der Konflikt im Vatikan geht in eine neue Runde. Zu heftig und zu persönlich sind die Vorwürfe gegen den Erzbischof Georg Gänswein, als dass dieser dem Papst nicht mit gleicher Münze heimzahlen dürfte und seine Version mitteilen wird.

Quelle: ntv.de

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