Corona-Maßnahmen am Ziel vorbei? Shutdown wirkt nur bei "Party-Generation"
24.11.2020, 19:43 Uhr
Das stillgelegte Nachtleben wirkt vor allem bei den 20- bis 29-Jährigen, bringt aber insgesamt zu wenig.
Ein Blick in die Statistik zeigt, dass der Teil-Shutdown nur bei den 20- bis 30-Jährigen Wirkung zeigt. Bei allen anderen steigen die Zahlen, vor allem bei Schülern und sehr alten Menschen. Kann so das Lockdown-Ziel jemals erreicht werden?
Der seit Anfang des Monats geltende Teil-Shutdown ist nicht vergeblich, aber er wirkt nicht so stark, wie erhofft. Der steile Anstieg der Neuinfektionen wurde zwar gestoppt, die Zahl der täglich registrierten Fälle bleibt aber auf einem hohen Niveau. Aktuell liegt die 7-Tage-Inzidenz bundesweit bei rund 150, bis Ende November sollte der Wert eigentlich unter 50 gedrückt werden. Dass das nicht mal ansatzweise zu schaffen ist, war schon frühzeitig absehbar, doch erst jetzt reagieren die Bundesländer mit einer Verlängerung und etwas schärferen Maßnahmen. Ob so das Ziel in absehbarer Zeit erreicht werden kann, ist zweifelhaft. Warum, zeigt ein Blick in die Statistik.
Ruft man beim RKI die gemeldeten Inzidenzen nach dem Alter in der Woche vor Beginn des Teil-Shutdowns ab und vergleicht sie mit den Werten der vergangenen Woche, sieht man sehr deutlich, dass die bisher geltenden Maßnahmen fast ausschließlich bei den 20- bis 30-Jährigen greifen. Bei den Jüngeren und Älteren ist die Ansteckungsrate dagegen sogar gestiegen.
Viele neue Fälle bei Über-80-Jährigen
Besonders besorgniserregend ist, dass sich der Wert bei den Menschen, die älter als 80 Jahre sind, fast verdoppelt hat und die Inzidenz zuletzt bei 240 registrierten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche lag. In dieser Altersgruppe ist die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu sterben am höchsten. Dass es sich dabei nicht um einen statistischen Ausreißer handelt, sieht man an den absoluten Zahlen, die innerhalb von drei Wochen von rund 6000 auf über 10.400 angewachsen sind.
Damit gehören die Über-80-Jährigen jetzt zu den Gruppen mit den meisten Covid-19-Fällen. Und so überraschen traurige Meldungen wie die der "Hessenschau" wenig, wonach Hessen im November bisher zwei Drittel aller Corona-Toten in Seniorenheimen zählte. Das RKI bestätigt im Lagebericht vom 17. November, "besonders hohe" Zahlen von Infizierungen und Todesfällen in Pflegeeinrichtungen. Dies wiederum stehe "im Einklang mit der Anzahl der berichteten Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen."
Was ist mit den Schulen?
Problematisch sind auch die deutlich gestiegenen Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen. Außer bei den Über-80-Jährigen kletterten die Werte in kaum einer anderen Altersgruppe so stark an wie bei ihnen. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass das Infektionsgeschehen an Schulen beziehungsweise auf dem Schulweg zunimmt. Dafür spricht vielleicht auch der Anstieg bei der Eltern-Generation. Es könnte sein, dass ihre Kinder sie anstecken -Virologe Christian Drosten erwartet so eine Entwicklung.
Möglich ist aber auch, dass sich die Kinder und Jugendlichen in ihrer Freizeit, zu Hause oder bei anderer Gelegenheit anstecken. Ähnlich ist es bei den Eltern: Infizieren sie sich privat, bei der Arbeit, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder fangen sie sich das Virus bei ihren Kindern ein? Nicht umsonst spricht das RKI von einem zunehmend diffusen Infektionsgeschehen, bei dem drei Viertel aller Fälle nicht zurückverfolgt werden können.
Offiziell liest sich das so: "Bundesweit gibt es in verschiedenen Landkreisen Ausbrüche, die mit unterschiedlichen Situationen in Zusammenhang stehen. So werden zum Beispiel Covid-19-bedingte Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen gemeldet, aber auch in Schulen und im beruflichen Setting. Zusätzlich kommt es in zahlreichen Landkreisen zu einer zunehmend diffusen Ausbreitung von Sars-CoV-2-Infektionen in die Bevölkerung, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar sind. Das genaue Infektionsumfeld lässt sich häufig nicht ermitteln."
Maßnahmen greifen offenbar kaum
Wie soll man in so einer Situation zielgerechte Maßnahmen aussuchen, ohne alles dichtzumachen? Dass der Teil-Shutdown bei den 20- bis 29-Jährigen offenbar am stärksten wirkt, ist keine Überraschung, schließlich sind sie besonders mobil und im Nachtleben sehr aktiv. Insofern zeigen geschlossene Bars, Restaurants, Kinos oder Fitnesscenter die gewünschte Wirkung. Aber auch der Rückgang bei den jungen Erwachsenen ist kaum als großer Erfolg zu bezeichnen, da sich die Inzidenzen in dieser Altersgruppe nach wie vor um die 200 oder deutlich darüber bewegen.
Die bisherigen Corona-Maßnahmen greifen also überwiegend ins Leere. Ein starker Rückgang der Inzidenzen unter 50 scheint kaum erreichbar zu sein, solange nicht auch alle anderen Altersgruppen erreicht werden. Ob die jetzt beschlossene leichte Verschärfung bis zum 20. Dezember die Werte "weihnachtsreif" bekommen, steht noch in den Sternen.
Neue Maßnahmen ausreichend?
Die Verlängerung alleine dürfte angesichts der bisherigen Shutdown-Statistik kaum ausreichen. Die Beschränkung auf maximal fünf Personen aus zwei Haushalten in geschlossenen Räumen könnte etwas bringen, vorausgesetzt die Menschen halten sich freiwillig daran - kontrollieren kann man das nicht. Und weil nach dem 20. Dezember bis ins neue Jahr wieder zu zehnt ohne Haushaltsbeschränkung gefeiert werden darf, muss hinter diese Maßnahme ein großes Fragezeichen gesetzt werden.
Am ehesten erscheinen die geplanten Schnelltests für Schulen oder Pflegeheime, Krankenhäuser und andere gefährdete Einrichtungen sinnvoll zu sein, deren Einführung auch viele Experten schon länger fordern. Doch so schleppend wie die Antigen-Tests bisher zum Einsatz kommen, könnte hier eine Wirkung erst deutlich verzögert einsetzen.
Pessimistische Weihnachts-Prognose
Der Covid-19-Simulator der Universität Saarbrücken schaut jedenfalls eher pessimistisch in die nahe Zukunft. Bliebe es wie bisher bei einer Reproduktionszahl (R) von kaum niedriger als 1, errechnet er für Deutschland am 21. Dezember eine Inzidenz von ungefähr 120. Ob die zusätzlichen Maßnahmen daran groß etwas ändern können, erscheint fraglich. Selbst wenn man im Simulator R ab dem 1. Dezember auf optimistische 0,8 setzt, würde die Inzidenz an Heiligabend bundesweit immer noch bei 75 liegen.
Quelle: ntv.de