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Bald ältestes Land der Welt Südkorea kämpft gegen sein Aussterben

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In Südkorea wurden 2022 nur 249.000 Kinder geboren.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

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Südkorea überaltert und stirbt aus, hier werden so wenige Babys geboren wie nirgendwo sonst auf der Welt. Mit viel Geld will die Regierung Paare zum Kinderkriegen überreden - die aber entscheiden sich eher für Karriere statt Nachwuchs. Schon jetzt fehlen wichtige Arbeitskräfte.

Egal, wohin man in Südkorea schaut: überall sind alte Menschen: Sie sitzen in den Parks der Hauptstadt Seoul, vertreiben sich die Zeit mit traditionellen Brettspielen. Auf den Straßen sammeln sie Papier, Pappe und Plastik, um sich ihre schmale Rente aufzubessern.

Südkorea hat die am schnellsten alternde Bevölkerung der Welt. Das Durchschnittsalter der Südkoreaner liegt bei 43,9 Jahren. Bis 2050 wird es sich laut Prognose auf 58,5 Jahre erhöhen. Bis 2045 wird Südkorea laut einer Berechnung der Bank of Korea Japan als älteste Gesellschaft der Welt überholt haben.

"Den ähnlichen Trend sehen wir in allen Industrienationen, in Deutschland ganz genauso, in Korea aber sehr viel komprimierter. Es passiert alles in sehr viel kürzeren Abständen", sagt Florian Pölking, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Koreastudien an der Freien Universität Berlin, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".

Niedrigste Geburtenrate überhaupt

Dass Südkorea so schnell altert, liegt daran, dass dort zu wenige Babys zur Welt kommen. Das ist schon seit etwa 20 Jahren so. Südkorea hat die niedrigste Geburtenrate weltweit. Nur rund eine Viertelmillion Babys wurden vergangenes Jahr geboren. Pro Frau sind das im Schnitt 0,78 Kinder. 2021 lag der Wert noch bei 0,81. Vergleichbare Länder - selbst die mit generell niedrigen Fertilitätsraten - stehen besser da: China hat 1,18 Geburten pro Frau, Spanien 1,29, Japan 1,31 und in Deutschland kamen im Schnitt 1,48 Babys pro Frau zur Welt. Um eine stabile Population aufrechtzuerhalten, muss die Rate bei 2,1 liegen. Da liegt Südkorea weit drunter.

Der ostasiatische Staat wird älter und schrumpft. Bis 2100 sollen laut Prognosen nur noch etwa halb so viele Menschen im Land leben: 24 statt wie jetzt knapp 50 Millionen Menschen. In den 1960er Jahren sah das noch anders aus. Weil die Bevölkerung Südkoreas explodierte, startete die Regierung ein Programm zur Geburtenkontrolle - mit Erfolg.

Die staatlich verordnete Kleinfamilie sei aber nicht der entscheidende Grund für Südkoreas niedrige Geburtenrate. Vielmehr gebe es mit dem gestiegenen Bildungsniveau von Frauen "eine größere Rate, die eine Karriere anstreben und dafür Familienwünsche und Kinderwünsche zurückstecken", erklärt Florian Pölking. Als zweiten wichtigen Faktor sieht er die stark gestiegenen Kosten für Erziehung und Ausbildung von Kindern. Eltern investieren viel Geld, um ihren Nachwuchs optimal auszubilden: Um die 250.000 Euro fallen dafür bis zum 18. Lebensjahr an, inklusive der obligatorischen Nachhilfe neben dem Schulunterricht, berichtet Pölking im Podcast.

Ausbildung und Mieten sind teuer

Das Land hat in Relation zu dem relativ niedrigen Einkommen eines der teuersten Bildungssysteme der Welt. Südkorea liegt mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 24.600 US-Dollar pro Jahr etwas unter dem Durchschnitt der OECD-Länder, die Bevölkerung verdient weniger als im Nachbarland Japan oder Deutschland.

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Gehören zu Seouls Stadtbild dazu: Senioren, die koreanisches Schach spielen.

Zu den Ausbildungskosten kommen noch die in den letzten fünf bis zehn Jahren immens gestiegenen Kosten für Immobilien, Lebensmittel oder Energie, erläutert der Experte. Zusätzlich müssten die älteren Generationen auch für ihre Eltern, Großeltern und Urgroßeltern-Generation sorgen.

Paaren fehlt häufig schlicht das Geld für ein Baby - und auch die Zeit für eine Familie: Die Arbeitstage der Südkoreaner sind extrem lang. Seit 2018 wurde die maximale Wochenarbeitszeit auf 52 Stunden verkürzt - 40 Stunden plus maximal 12 Überstunden. In Deutschland sind maximal 48 Wochenstunden erlaubt. Die Südkoreaner arbeiten durchschnittlich 1915 Stunden jährlich, zeigen Zahlen der OECD für 2021. Das sind 199 Stunden mehr als der Durchschnitt und 566 mehr als in Deutschland.

Und es sollen noch mehr werden: Südkoreas Regierung will Unternehmen im Extremfall sogar 69 Wochenstunden erlauben. Das Argument: Berufstätige Mütter sammeln dadurch mehr Überstunden an, die sie später für ihre Familie nutzen können. "Es stehen auch Forderungen im Raum, diese Grenze auf bis zu 102 oder 120 Stunden zu erhöhen. Die Idee dahinter ist, dass das den koreanischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Möglichkeit geben soll, über freiwillige Mehrarbeit mehr zu verdienen", berichtet Florian Pölking im "Wieder-was-gelernt"-Podcast. Die Proteste dagegen seien groß. Gewerkschaften kritisieren solche langen Arbeitszeiten von frühmorgens bis spät in die Nacht als gesundheitsgefährdend. Junge Arbeitnehmer sehen ihre ohnehin schon schlechte Work-Life-Balance in Gefahr.

Schwangere verlieren Jobs

In Südkorea gibt es zwar Gesetze für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aber sobald Frauen schwanger werden, sind sie faktisch raus aus dem normalen Berufsleben. Sie werden in unattraktive Jobs versetzt oder ihnen wird sogar gekündigt.

Dazu kommt, dass Frauen in Südkorea ohnehin schon durchschnittlich 30 Prozent weniger verdienen als Männer, trotz gleichwertiger Ausbildung oder Qualifikation. Dieser Gender Pay Gap ist der höchste unter den Industriestaaten. Sie haben es auch schwerer, aufzusteigen. Im Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums zur Gleichstellung in Arbeitsmarkt, Politik, Bildung und Gesundheit landet Südkorea immer wieder weit hinten, vergangenes Jahr auf Platz 99 von insgesamt 146 untersuchten Ländern.

Kein Wunder also, dass viele junge Südkoreanerinnen gar keine Kinder mehr bekommen wollen. Mehr als die Hälfte der Paare möchten nach der Heirat keine Eltern werden. Viele Frauen wollen nicht mehr zu Hause bleiben, um sich ganz traditionell um Kinder und Haushalt zu kümmern. Männer sehen sich unter Druck, weil sie nach der Heirat für ihre Familie sorgen müssen.

Auch das Heiraten wird für viele Südkoreaner immer unattraktiver: 2021 gab es 193.000 Hochzeiten, so wenige wie nie. "Ich verstehe nicht, warum ich heiraten und dann Verpflichtungen eingehen muss, zum Beispiel in den Ferien oder an Geburtstagen die Eltern beider Seiten zu besuchen", erzählt eine der Stars der beliebten TV-Reality-Show "Living Together Without Marriage". Arbeit und Leben ist den jungen Menschen laut Präsidialausschuss wichtiger als Ehe und Kinder.

Babybonus für Eltern

Die niedrige Geburtenrate und die Überalterung sind ein großes Problem. Dem Land fehlen jetzt schon Arbeitskräfte. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wird in den nächsten 30 Jahren voraussichtlich um ein Drittel zurückgehen, in den kommenden 50 Jahren um mehr als die Hälfte.

Die Regierung versucht seit einigen Jahren gegenzusteuern und hat in den vergangenen 16 Jahren bis zu 200 Milliarden Dollar in die Hand genommen, um Paare dazu zu bringen, mehr Kinder zu bekommen. Sie hat die Kinderbetreuung ausgebaut, ein Kindergeld eingeführt und eine Geburtsprämie sowie die monatliche Zulage für Eltern von Kindern unter einem Jahr aufgestockt.

Seit März bekommen junge Eltern umgerechnet knapp 500 Euro monatlich, mehr als doppelt so viel Geld wie bisher. Und nächstes Jahr soll die Baby-Finanzspritze dann noch mal auf umgerechnet fast 700 Euro pro Monat erhöht werden. Das sei aber immer noch viel zu wenig angesichts der hohen Bildungskosten, kritisieren Experten, Eltern bräuchten Unterstützung gerade auch für die älteren Kinder.

Unternehmenskultur muss sich ändern

Bisher sind die staatlichen Maßnahmen ohne Erfolg geblieben. Von den Finanzspritzen würden vor allem verheiratete Paare profitieren, kritisiert Florian Pölking. Genau dieses traditionelle Familienbild müsse sich aber ändern, damit sich mehr Menschen für Kinder entscheiden. "Maßnahmen, die gezielter auf die gesellschaftlichen Realitäten der jüngeren Generation abzielen, sind möglicherweise eher erfolgversprechend - gerade was Single-Mütter und unverheiratete Paare mit Kinderwunsch angeht. Dazu müsste es aber Maßnahmen geben, die eine Veränderung in der Unternehmenskultur oder in der gesamtgesellschaftlichen Sichtweise auf diese Arten der neuen Familienstrukturen bringen."

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In den vergangenen 40 Jahren sei die kulturell-gesellschaftliche Entwicklung Südkoreas von der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung überholt worden. In nur wenigen Jahrzehnten wandelte es sich von einem armen Land zu einer modernen Industrienation.

Momentan sieht es nicht danach aus, als würden sich in Südkorea neue Familienbilder abseits der traditionellen Ehe durchsetzen und bald bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen für Frauen bestehen. Der neue konservative Präsident Yoon Seuk-yol wird von seinen Kritikern als frauenfeindlich beschrieben. Sein neuestes Projekt: Er will das Ministerium für Geschlechtergleichstellung und Familie abschaffen, das in den vergangenen Jahren vieles in Sachen Gleichstellung bewirkt hatte. Das hilft sicher auch nicht dabei, die Geburtenrate nach oben zu treiben.

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

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Quelle: ntv.de

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