Panorama

Digitalisierung im Krankenhaus Was hindert Pflegekräfte am Ausstieg?

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Am Uniklinikum Essen wird mit einer elektronischen Patientenakte gearbeitet.

Am Uniklinikum Essen wird mit einer elektronischen Patientenakte gearbeitet.

(Foto: Universitätsmedizin Essen)

Die Zahl der Menschen, die in Deutschland gepflegt werden müssen, wächst stetig. Dagegen sinkt die Zahl der Pflegefachkräfte. Am Universitätsklinikum in Essen sieht sich Pflegedirektorin Schmidt-Rumposch vor der Herausforderung, "das bestehende Personal vor Ort zu halten". Leicht ist das nicht.

ntv.de: Weniger Pflegekräfte führen immer öfter zu Schwierigkeiten bei der Patientenversorgung. Wie lässt sich da an eine bessere Patientenversorgung denken?

Andrea Schmidt-Rumposch: Man merkt schon, dass weniger Pflegefachpersonen zur Verfügung stehen. Freie Stellen kriegt man nicht mehr zeitnah eins zu eins besetzt. Und deswegen muss man fragen, was können nachhaltige Wege zur Entlastung des bestehenden Pflegepersonals sein? Das gilt vor allem bei pflegefernen Tätigkeiten, damit Pflegende tatsächlich mehr Zeit für die direkte Patientenversorgung, für den direkten Patientenkontakt haben. Pflege, das ist Mensch-zu-Mensch-Kontakt. Und das soll auch so bleiben.

Aber wo genau setzen Sie an?

Digitalisierung kann den Fachkräftemangel abmildern. Beispielsweise kann sie bürokratische Abläufe vereinfachen und beschleunigen, indem man die Voraussetzung schafft, dass Pflege generell weniger dokumentiert und vor allem nicht alles in Papierform dokumentiert, was dann immer wieder auch noch übertragen werden muss. Wir sehen die elektronische Patientenakte als Grundvoraussetzung. Und dann haben wir uns den Pflegeprozess angeschaut, den wir ja erheben müssen. Nicht nur die Anamnese, sondern auch die Risikoerfassung von Patienten und auch die Evaluation. Schnell war für uns klar, dass wir das alles auch digitalisieren wollen. Alle haben zeitgleich Zugriff auf die komplette Akte eines Patienten oder einer Patientin, das ist auch für die Patientensicherheit ein Pluspunkt. Seit 2019 benutzen Pflegefachpersonen bei uns Tablets zur Pflegedokumentation und auch bewusst Fotografien in der Wunddokumentation und somit ist keine Aktensuche mehr nötig.

Wie viel Zeit wird durch diese Prozesse dann für die tatsächliche Pflege frei?

Ob jetzt in der Akte oder digital, dokumentieren muss man Pflege so oder so. Aber bei der digitalen Akte ist eine Kurve oder ein Formular eben nicht voll und man muss ein neues anfangen. Die Wunddokumentation ist vielleicht ein gutes Beispiel. Da haben wir jetzt ein Forschungsprojekt, es heißt KIADEKU und das haben unsere Pflegefachpersonen initiiert. Dafür haben wir BMBF-Förderung bekommen. Dabei geht es um eine korrekte Einschätzung von Dekubitus und Inkontinenz assoziierter Dermatitis – zunächst einmal um die Festlegung der Wundart. Für die Klassifizierung muss nur noch etwas angeklickt werden. Normalerweise ist die Dekubitus-Dokumentation sehr zeitaufwendig, denn die Größe und Tiefe der Wunde müssen eingeschätzt werden, sind da Wundinfektionen, wie ist der Wundrand? Das wird in der Praxis helfen, wenn dieser Prozess weniger Zeit in Anspruch nimmt. Den größeren Hebel hat man aber bei Tätigkeiten im Service und Logistikbereich, also im kompletten Bestellwesen. Bei der Entlastung in pflegefernen Tätigkeiten gibt es bei uns, aber auch generell in Deutschland, noch sehr, sehr viel Luft nach oben.

Wie könnten digitale Lösungen noch aussehen?

Bei uns sind bedürftige Patienten in der Klinik. Das heißt, wir brauchen pflegerelevante Daten zu Dekubitus und Sturz. Wir haben eine Bettensensorik im Einsatz, sodass Pflegefachpersonen Bewegungsprofile erhalten. Daraus können sie mögliche Risiken ableiten und ihre Parameter anhand dieser Profile mit der Grundlage pflegerische Expertise datenbasiert sehr viel treffsicherer vornehmen. Und es gibt natürlich Monitoring, beispielsweise wenn man unter anderem Körpertemperatur und Blutdruck erfasst. Diese Daten werden automatisch in die Akte übergeleitet. Das ist ein Stück Entlastung im Pflegealltag, weil es nicht mehr händisch übertragen werden muss. Wenn Patienten entlassen werden, brauchen einige eine Nachversorgung und auch da haben wir eine digitale Plattform, die dafür den geeigneten Ort findet. Dazu waren früher endlose Telefonate zwischen dem Pflegedienst und dem Sozialdienst nötig.

Inwiefern ist bei solchen Projekten Kostendruck leitend?

Der Bundesverband Pflegemanagement zeichnete Andrea Schmidt-Rumposch als Pflegemanagerin des Jahres aus.

Der Bundesverband Pflegemanagement zeichnete Andrea Schmidt-Rumposch als Pflegemanagerin des Jahres aus.

(Foto: Universitätsmedizin Essen)

Natürlich hängen an der elektronischen Akte oder dem digitalen Pflegeprozess auch Kosten. Aber wir brauchen die elektronische Akte und wir brauchen auch die Prozesse der verschiedenen Gesundheitsprofessionen gleichermaßen digital. Wir wollen das ganzheitlich sehen, wollen den maximalen Nutzen daraus ziehen und auch ein Stück mehr Patientensicherheit ermöglichen. Einzelne Projekte sind meistens durch Förderung erst mal refinanziert. Wenn Evidenz und Nutzen wissenschaftlich nachgewiesen sind, kann ein Projekt später auch in die Regelversorgung übergehen und muss dann auch normal mit in die Wirtschaftsplanung eingebaut werden.

Aber spart es auch Ausgaben ein?

Bei den digitalen Projekten, mit denen wir arbeiten, geht es im Großen noch gar nicht darum, was sparen wir an anderer Stelle ein, sondern wir gucken tatsächlich, wie können wir leistungsfähig bleiben? Wie können wir unseren Versorgungsauftrag weiterhin sicherstellen? Und wir müssen ganz dringend nach Lösungen suchen, mit denen wir das bestehende Personal vor Ort halten, damit es der Klinik nicht den Rücken kehrt, nicht aus dem Beruf aussteigt. Es geht in erster Linie also gar nicht darum, was wir an Personal oder an irgendwelchen anderen Kosten einsparen können. Im Moment muss man erst mal Geld in die Hand nehmen.

In Umfragen wünschen sich Beschäftigte mehr Zeit für die Pflege unmittelbar am Patienten. Und natürlich eine angemessene Bezahlung. Aber auch wertschätzenden und respektvollen Umgang miteinander und verbindliche Dienstpläne. Wie versuchen Sie, dieses Umfeld herzustellen?

Ich bin jetzt 35 Jahre in der Pflege und ganz ehrlich: Das ist ein verantwortungsvoller, abwechslungsreicher und total erfüllender Beruf. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Ich kann nachvollziehen, dass Pflegefachpersonen sagen, ich will Zeit für die direkte Patientenversorgung und ich will meine Arbeit vernünftig und in Ruhe machen. Dafür müssen die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert werden. Da ist jeder Arbeitgeber gefragt. Es ist sehr viel über Pflege gesprochen worden, aber nicht mit der Pflege. Wir haben 2021 und 2022 bereits Interviews mit 200 Pflegefachpersonen geführt, weil wir unsere Teams als interprofessionelle Teams ansehen und das auch so leben wollen. Fast 40 Prozent der Kolleginnen und Kollegen hatten eigene Ideen zu ihrem Arbeitsumfeld. Nach der Auswertung gab es zwei Workshops, einen zu Gesundheits- und Zeitmanagement und einen zu Kommunikation und Wertschätzung. Daraus haben sich Anforderungen ergeben, bei denen wir dachten, die kann man zeitnah umsetzen – ganz einfache Sachen, wie der Wunschdienstplan. Das ist in den Pflegeteams ein Riesenthema. Da gab es die Frage, ob man das im System nicht einfach digital andocken kann. Und das haben wir jetzt ab dem nächsten Monat. Eine andere Idee war ein Innovationswettbewerb für die Pflege. Den werden wir jetzt in diesem Jahr wieder durchführen, aber nicht nur für die Pflege, sondern für alle Gesundheitsfachberufe.

Im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit können ausländische Pflegekräfte dazukommen? Wie sehen Sie das?

Wenn man auf die Demografie schaut, ist klar: Es gibt immer mehr Menschen, die pflegerisch versorgt werden müssen und immer weniger Pflegefachpersonen, die das leisten können. Ambulant und stationär zusammen liegt die Versorgungslücke bis 2035 bei 500.000 Personen. Wie viele junge Erwachsene gehen in den nächsten Jahren in den Pflegeberuf? Das werden immer weniger, denke ich. Und deswegen glaube ich schon, dass die internationale Pflege ein Baustein sein muss. Aber eben nur einer von mehreren. Wir arbeiten nur mit Ländern und Agenturen zusammen, die das Gütesiegel Faire Anwerbung haben. Und wir holen nicht nur ausgebildete internationale Pflegefachpersonen hierher, sondern integrieren sie anteilig mit in unsere Ausbildung. Ein kleines Team kümmert sich um die Integration, wir bieten parallel noch ein Jahr begleitend einen Sprachkurs an und haben immer Paten für die jeweilige Person auf Station.

Bei Hebammen gibt es inzwischen eine akademisierte Ausbildung, sollte das in allen Pflegeberufen so sein?

Ich glaube gar nicht, dass wir 100 Prozent akademische Ausbildung brauchen. Die Empfehlung des Wissenschaftsrats liegt bei 10 bis 20 Prozent. Wenn wir diesen Anteil in den Kliniken haben, dann haben wir schon viel geschafft, bisher kommen wir nicht über zwei bis drei Prozent hinaus. Aber es ist wichtig, dass wir unsere Ausbildung stärken, von der Pflegefachassistenz über die generalistische Ausbildung bis zum Bachelorstudium Grundständige Pflege, aber auch im Masterstudiengang mit erweiterter Pflegepraxis. Wir machen damit gute Erfahrungen, dass wir international übliche Abschlüsse einsetzen und ich glaube, dass das deutschlandweit ganz anders verankert sein muss. Und natürlich brauchen wir eigentlich eine Gesundheitsreform, in der es nicht nur den Perspektivwechsel zur Prävention gibt, sondern eine neue Verteilung von Aufgaben und Verantwortungsbereichen. Wer macht was mit welcher Kompetenz? Pflege sollte eigenständig in ihrem Ressort, in dem sie ausgebildet ist, auch agieren können. Und nicht, dass eine andere Berufsgruppe darüber entscheidet, was die Pflege macht. Ich glaube, das ist einer der wichtigen Hebel.

Mit Andrea Schmidt-Rumposch sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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