Grünen-Klatsche, Bovi macht's Bremen-Wahl bringt vier Überraschungen

Zwei Städte, rund 463.000 Wahlberechtigte, ein Bundesland: Im Stadtstaat Bremen geht die Wahl mit einem überraschend deutlichen Sieg der SPD zu Ende. Auch wenn das Ergebnis von Landesthemen geprägt ist, hält es spannende Erkenntnisse für die Bundespolitik bereit.
1. Die SPD hat ihre Hochburg zurück
Er selbst habe mit einem "Kopf-an-Kopf-Rennen" gerechnet, sagt ein bestens gelaunter Bremer Bürgermeister, Andreas Bovenschulte, am Wahlabend. Das Ergebnis aber ist gar nicht eng: 4,9 Prozentpunkte können die Sozialdemokraten laut infratest dimap-Prognose zulegen. Damit ist die Partei, die seit 77 Jahren im Stadtstaat regiert, vier Jahre nach der Niederlage gegen die CDU wieder stärkste Kraft an der Weser. Bovenschulte kann es sich nun aussuchen: weitermachen mit Grünen und Linken oder eine Koalition mit den Christdemokraten. Ein theoretisch mögliches Bündnis mit der FDP scheitert an deren fehlender Kompatibilität mit Grünen und Linken.
Mit ihren Stimmenzuwächsen siegte die Bremer SPD deutlich gegen den Bundestrend. Dort liegt die SPD laut RTL/ntv-Trendbarometer bei 18 Prozent. In Bremen aber ging es vor allem um Landesthemen, wobei das Grünen-Ergebnis auch zeigt, dass ein schwaches Ansehen der Bundespartei auch regional durchschlagen kann. So aber kann sich die SPD bei ihrem "Bovi" bedanken, wie Bovenschulte in Bremen genannt wird. Der 57-Jährige erfreute sich guter persönlicher Zustimmungswerte und kann nach seinem musikalischen Wahlkampf, in dem er schon einmal mit Gitarre oder als Hornbläser auftrat, weiter fröhliche Töne anschlagen.
2. Die Grünen verlieren deutlich
Anfang des Jahres näherten die Grünen in Bremen sich noch der 20-Prozent-Marke. Jetzt der Einbruch: 11,9 Prozent bedeuten 5,5 Punkte weniger als beim Wahlergebnis von 2019 - eine deutliche Niederlage. Doch woran lag es? An der umstrittenen Verkehrspolitik und den schlechten persönlichen Werten der Spitzenkandidatin Maike Schäfer? An der Trauzeugen-Affäre von Robert Habecks Staatssekretär Patrick Graichen? Oder an der anhaltend großen Kritik am Gebäudeenergiegesetz (GEG), das ab 2024 den Neueinbau von Öl- und Gasheizungen verbieten soll?
Alles zusammen, lautet die Antwort. Die Grünen sind in den Bundesumfragen auf 16 Prozent abgestürzt - Schäfer machte auch keinen Hehl daraus, dass der "Input aus dem Bund" nicht hilfreich gewesen sei. Der Schaden könnte sich aus Parteisicht in Grenzen halten: Die Chancen zur Regierungsfortsetzung sind gut. Mit neuem Personal könnte sich die Partei Bremen wieder etablieren. Doch die Perspektive ist nicht gut: Kommen die Grünen nicht aus der Krise, drohen im Herbst in Bayern und Hessen empfindliche Verluste. Der grüne Traum, eventuell gar die Regierungsführung in Hessen zu übernehmen, verblasst.
3. Die Linke lebt
Der heimliche Wahlsieger des Abends ist klar die Linkspartei: Im Bund und allen Ländern geht es seit Jahren nur abwärts für die Partei, die wegen anhaltender Personal- und Richtungsstreits - insbesondere um Sahra Wagenknecht und um die Haltung zu Russland - ums Überleben ringt. In Bremen aber gelingt der Linken ein zweistelliges Ergebnis und auch die Regierungsbeteiligung könnte bleiben.

Grünen-Spitzenkandidatin Schäfer musste am Wahlabend vor allem Fragen nach einem möglichen Rücktritt beantworten.
(Foto: IMAGO/Eibner)
Das Ergebnis zeigt aber auch, wie sehr diese Wahl von Landesthemen bestimmt war: Spitzenkandidatin Kristina Vogt konnte als Wirtschaftssenatorin überzeugen. Die Linke präsentierte sich pragmatisch und orientiert an den Problemen der Menschen. Bovenschulte würde gerne mit dem soliden Koalitionspartner weitermachen. Dieses Bild hatte Vogt auch partout nicht stören wollen und sich Auftritte von Linken-Prominenz aus der Bundespartei verbeten. Dennoch dürfte auch im Karl-Liebknecht-Haus im fernen Berlin das Ergebnis mit Wohlwollen aufgenommen worden sein: Eine Partei links der Ampelparteien kann unter bestimmten Voraussetzungen durchaus erfolgreich sein.
4. Die Alternative zur Alternative für Deutschland profitiert
Ein Plus von 7,1 Prozentpunkten spült die rechtskonservative Partei Bürger in Wut nahe an die 10-Prozent-Marke. In Bremerhaven, wo die Partei in der Kommunalpolitik verankert ist, holt sie nach Prognosen gar mehr als 20 Prozent. Doch die Geschichte von BiW kann nicht erzählt werden, ohne die von der Bremer AfD zu erwähnen: Die durfte an der Bürgerschaftswahl nicht teilnehmen, weil sie wegen schwerer Zerwürfnisse nicht in der Lage war, eine regelkonforme Kandidatenliste vorzulegen.
Nachwahlbefragungen zufolge stammt rund die Hälfte der BiW-Wähler aus dem AfD-Lager. Weitere Stimmen kommen von CDU und SPD. Die BiW positioniert sich als Protestpartei. Das Ergebnis in Bremen zeigt, wie weit entfernt die CDU davon ist, konservative Protestwähler zurückzuholen. Die BiW hat nun vier Jahre Zeit, um sich dauerhaft als lokale Alternative zur Alternative für Deutschland zu etablieren.
Und so gar nicht überraschend ...
... waren die Ergebnisse von CDU und FDP. Die Christdemokraten haben ähnlich stark wie vor vier Jahren abgeschnitten, konnten aber in einer strukturell linksliberalen Stadt nicht anstinken gegen einen beliebten Landesvater vom Typ Kümmerer. Dass sie nur knapp unter dem Ergebnis der CDU in den Bundesumfragen (29 bis 30 Prozent) geblieben sind, spricht ebenfalls für ein solides Resultat. Für die Christdemokraten unter Parteichef Friedrich Merz stellt sich die Frage, ob sie ihre Wählerschaft trotz schwacher Regierungsparteien schon ausmobilisiert hat. Zumindest konnte die Partei auch in Bremen nicht davon profitieren, dass die Arbeit des Senats mehrheitlich schlecht bewertet worden ist.
Für die FDP verläuft der Wahlabend glimpflich: Mit dem Wiedereinzug in die Bürgerschaft ist das maßgebliche Ziel erreicht. Aussichten auf eine Regierungsbeteiligung gab es ohnehin nicht. Hauptsache drin, ist derzeit das Motto der Liberalen bei Landtagswahlen. Die Woche startet gut für Parteichef Christian Lindner.
Quelle: ntv.de