
Schiitische Milizen greifen den IS im Irak an.
(Foto: REUTERS)
Schiitische Milizen rücken von Westen auf Mossul vor. Offiziell sollen sie der irakischen Armee und den Kurden nur dabei helfen, den IS zu vernichten. Doch hinter den Milizen steht der Iran, ein Spieler mit problematischer Rolle in der Region.
Aus jedem Wort dieser Zeile spricht Angst: "Gefährlicher Vorstoß von Terrorgruppen auf Tal Afar", heißt es bei "Yeni Safak", einer regierungstreuen Zeitung aus der Türkei. Dann ist von zu erwarteten Massakern an "mindestens 60.000" Menschen, überwiegend sunnitischen Turkmenen, die Rede. Ankara fühlt sich für diese aus historischen und religiösen Gründen verantwortlich.
Was ist geschehen? Mit der Terrorgruppe, vor der türkische Medien warnen, ist nicht etwa der selbsternannte Islamische Staat (IS) gemeint, sondern eine Organisation namens Haschid-Schaabi. Die auch als "Volksmobilmachungskräfte" bezeichneten schiitischen Milizen haben am Wochenende eine Offensive auf die irakische Stadt Tal Afar im Westen der irakischen Metropole Mossul begonnen. Das Ziel ist eigenen Angaben zufolge, den Belagerungsring der offiziellen irakischen Streitkräfte und der kurdischen Peschmerga um die Stadt zu schließen und den IS in Mossul zu vernichten.
Doch nicht nur die Türkei fürchtet, dass bei dem Vorstoß auch Zivilisten zu Schaden kommen könnten. Die Vereinten Nationen werfen Haschid Schaabi Übergriffe auf Sunniten bei früheren Angriffen vor. Allein bei der Einnahme Falludschas im Sommer haben sie demnach mehr als 640 Männer und Jugendliche verschleppt und mindestens 50 erschossen oder zu Tode gefoltert.
Befeuert wird die Sorge noch aus einem weiteren Grund: In irakischen und westlichen Militärkreisen ist nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters bis zuletzt darüber gestritten worden, ob der Belagerungsring um Mossul überhaupt geschlossen werden soll. Eine offene Flanke wäre zwar Rückzugsweg für den IS, sie würde womöglich aber vielen Zivilisten in der Stadt einen verheerenden Häuserkampf ersparen.
Hat sich die Miliz über Absprachen hinweggesetzt? Und falls ja, warum? Über diese Fragen herrschte zunächst noch Unklarheit.

Mossul als Pfeiler einer schiitische Landbrücke: "Das untergräbt die Staatlichkeit in Bagdad erheblich."
(Foto: n-tv.de / stepmap.de)
Mit der Offensive von Haschid Schaabi, einer Dachorganisation von rund 40 kleineren schiitischen Milizen, rückt so auch wieder ein Spieler im Nahen Osten in den Blick, der zwar von westlichen Experten, Fachpolitikern und Geheimdiensten immer aufmerksam beobachtet wurde, in der öffentlichen Debatte aber eher eine Nebenrolle einnahm: der Iran.
Haschid Schaabi wird zwar offiziell von der Regierung des Iraks unterstützt, wird aber Berichten zufolge von iranischen Spezialkräften beraten. In der Praxis dürfte Haschid Schaabi damit Teheran näher stehen als Bagdad. Und der Iran spielt im Nahen Osten aus westlicher Perspektive eine ausgesprochen problematische Rolle.
Auch der Iran wird Kriegsverbrechen bezichtigt
Dass der Iran keine sonderlich große Aufmerksamkeit bekommen hat, hat laut Omid Nouripour, dem außenpolitischen Sprecher der Grünen mit Wurzeln im Iran, vor allem einen Grund: "Der Blick richtet sich gerade vor allem auf Aleppo. Dort sind die Russen deutlich sichtbarer als die Iraner", sagt Nouripour n-tv.de. "Die Aufmerksamkeit für die Russen in Syrien kann auch nicht groß genug sein, weil sie die bunkerbrechenden Bomben werfen."
Nouripour fügt allerdings hinzu: "Bei all den Kriegsverbrechen der Russen muss man berücksichtigen: Vieles davon gilt auch für den Iran. Die Iraner sind mit Spezialeinheiten dabei, sie sind mit Kanonenfutter dabei, sie haben afghanische Flüchtlinge zwangsrekrutiert und in den Kampf geschickt." Wie Moskau stützt Teheran das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad.
Über die Rolle des Iran im Irak sagt Nouripour zwar: "Sie tun dort auch Gutes. Manch ein Vorstoß des selbsternannten Islamischen Staates hätte sich ohne die Iraner nicht aufhalten lassen, auch die Befreiung von Tikrit wäre ohne ihre Hilfe nicht geglückt." Das Problem sei aber: "Die Iraner vertiefen durch ihre schiere Präsenz und ihre Propaganda die konfessionellen Konflikte. Das ist mittel- und langfristig der Tod für den Irak."
Der Iran ist so einerseits Partner des Westens. Er bekämpft den IS jedoch nicht selbstlos, sondern fürchtet, dass die Organisation sich auch im eigenen Land festsetzen könnte. Das ändert freilich nichts daran, dass die Attacken von Teherans Stellvertretern der Anti-IS-Koalition nutzen. Abgesehen vom gemeinsamen Feind IS wird die Partnerschaft auch dadurch deutlich, dass seit dem Abschluss des Atomabkommens mit dem Iran im vergangenen Jahr eine Normalisierung der Beziehungen zu beobachten war. Andererseits agiert das Land aber sowohl in Syrien als auch im Irak als Gegenspieler westlicher Interessen.
Ist Teheran gefährlicher als der IS?
Der frühere israelische Verteidigungsminister Mosche Jaalon behauptet in einem Gastbeitrag für die "Los Angeles Times" kürzlich gar, dass der Iran letztlich gefährlicher für die Region sei als der IS. Den Umgang des Westens mit der Führung Teherans beschrieb er vor diesem Hintergrund als von Grund auf falsch. "Das Atomabkommen hat zwar die Gefahr einer iranischen Nuklearwaffe herausgezögert", sagt Jaalon. "Aber die vielfältige Bedrohung eines militarisierten und messianischen Irans ist viel problematischer für westliche Interessen als die sunnitischen Schergen und Mörder in Rakka und Mossul." Jaalon fügt hinzu, dass der Iran sich zwar an die Abmachung des Atomabkommens halte, dafür jetzt aber alle denkbaren anderen Möglichkeiten nutzte, um seine Macht in der Region auszubauen.
Nouripour hält diese Sicht zwar für überzogen und will das Atomabkommen und den Wunsch nach einer Normalisierung der Beziehungen nicht grundsätzlich infrage stellen, in einigen Punkten stimmt Jaalon aber durchaus zu. "Durch die Normalisierung der Beziehungen bekommen die Iraner Geld. Davon geht auch ein relevanter Teil in die Kriegskasse des Landes", sagt Nouripour. Er fügt jedoch hinzu: "Wenn ich die Wahl zwischen zwei ganz schlechten Varianten habe, nehme ich die ohne Atombombe."
Was will der Iran in Syrien und dem Irak abgesehen davon, sich den IS vom Leib zu halten, erreichen? In erster Linie geht es um alte Rivalitäten und den Kampf um die Vorherrschaft im Nahen Osten mit der schiitischen Führung in Teheran einerseits und dem sunnitischen Könighaus in Riad andererseits. Beide Seiten setzen darauf, dass das jeweils andere System bald kollabiert. So kommen sie einer friedlichen Lösung nicht näher.
Iran untergräbt Bagdads Staatlichkeit
Durch diese (etwas grobe) Schablone lässt sich auch das Engagement Teherans im Irak erklären. Der Iran päppelte über Jahre den früheren Ministerpräsidenten des Landes, Nuri al-Maliki, der sich allein darum bemühte, die Interessen der Schiiten im Land zu vertreten. Maliki ist wiederum eng verbunden mit den schiitischen Milizen im Irak und heute der mächtigste Gegenspieler seines Nachfolger Haider al-Abadi.
Der Iran will seinen Einfluss auf den Irak nicht aufgeben und unterstützt Maliki und die Milizen weiterhin. "Das untergräbt die Staatlichkeit in Bagdad erheblich", sagt Nouripour und fügt hinzu: "Die Milizen versprechen Bagdad viel, doch sie halten nicht immer Wort."
Das ist verheerend für den Irak. Der IS konnte in dem Land schließlich nur deshalb derart erstarken, weil er von Sunniten, die sich von Bagdad vernachlässigt fühlten, geduldet oder gar unterstützt wurde. Solange sich dieser konfessionelle Riss durchs Land zieht - Ministerpräsident Abadi versucht bisher vergeblich ihn zu kitten -, werden islamistische Terroristen im Irak weiterhin verhältnismäßig leichtes Spiel haben.
Nouripour zeichnet deshalb ein düsteres Bild von der Zukunft des Landes: "Die Befreiung Mossuls hätte die Geburtsstunde sein können für eine Versöhnung im Irak und ein massiver Schlag gegen die dschihadistische Szene. Doch es sieht so aus, als würde am Ende dieser Geschichte stehen: Mossul wurde befreit, aber die Ängste der Leute vor ihren Befreiern haben sich bestätigt."
In Syrien geht es dem Iran laut Nouripour über die Rivalität mit Saudi-Arabien hinaus auch noch um eine Landbrücke zur Hisbollah im Libanon. Die Hisbollah ist eine schiitische Partei mit eigener Miliz, die aus dem Widerstand gegen die israelische Invasion in den 1980er Jahren hervorging. Etliche Staaten und Organisationen stufen sie als Terrororganisation ein – darunter die USA, die EU und die Arabische Liga. Nouripour sagt: "Die Hisbollah ist für Teheran ein Faustpfand im Streit mit Israel und damit auch mit uns und dem gesamten Westen."
Quelle: ntv.de