Politik

Entscheidung in Großbritannien Der Schicksalswahlkampf hat begonnen

David Cameron in Yorkshire: Mehr Jobs, mehr Unternehmen, das Defizit halbiert - das stimmt nur zum Teil.

David Cameron in Yorkshire: Mehr Jobs, mehr Unternehmen, das Defizit halbiert - das stimmt nur zum Teil.

(Foto: REUTERS)

Weniger Arbeitslose, eine gute Konjunktur - eigentlich müsste David Cameron der Wahl im Mai entspannt entgegensehen. Das Gegenteil ist der Fall: Der britische Premier kämpft um sein politisches Überleben. Sein Sieg wäre eine Niederlage für Europa.

Vier Monate vor den Unterhauswahlen hat der Wahlkampf in Großbritannien begonnen. Bei einem Auftritt in Yorkshire stellte Premierminister David Cameron ein Anzeigenmotiv seiner konservativen Partei vor, das gleich für Ärger sorgte.

Auf dem Plakat behaupten die Tories, sie hätten das Defizit halbiert. Die sozialdemokratische Labour-Opposition warf den Konservativen prompt vor, die Wahrheit zu verdrehen. Tatsächlich hat die britische Regierung das Defizit nur im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt um die Hälfte reduziert. Korrekterweise wird das Defizit allerdings in absoluten Zahlen gemessen. Auf der Wahlwerbung der Konservativen müsste es daher heißen: Wir haben das Defizit um ein Drittel gesenkt. Exakt dies hatte Cameron noch vor einem Monat im Unterhaus gesagt.

Labour-Chef Ed Miliband will David Cameron ablösen.

Labour-Chef Ed Miliband will David Cameron ablösen.

(Foto: REUTERS)

Trotz dieser Unwahrheit müsste das wirtschaftliche Klima der britischen Regierung im Wahlkampf eigentlich nutzen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei sechs Prozent, so niedrig wie seit sechs Jahren nicht. Im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften in Europa wächst die britische Wirtschaft geradezu rasant, wenngleich zuletzt etwas langsamer als ursprünglich erwartet. Das wiederum liegt vor allem am Sparkurs der Regierung.

Labour konzentriert sich im Wahlkampf daher auf die Sparpolitik und die steigenden Lebenshaltungskosten. Den strikten Sparkurs will die Partei etwas lockern, wobei sie ängstlich darauf achtet, nicht in die Schulden-Ecke gestellt zu werden. Auch Labour werde nach den Wahlen Kürzungen vornehmen müssen, betonte Schatten-Finanzminister Ed Balls am Donnerstag in einem Beitrag für den "Guardian"; dies solle allerdings sozial gerechter und auch langsamer geschehen, als von den Tories geplant.

Prognosen so gut wie unmöglich

Wahlkampf mit Obama

Der britische Wahlkampf ist auch ein Duell von ehemaligen Mitarbeitern von US-Präsident Barack Obama. Labour-Chef Ed Miliband hat den Mann verpflichtet, der Obama 2008 ins Weiße Haus gebracht hat: David Axelrod. Der Amerikaner hat für Miliband eine Strategie entwickelt, in der "Hope" und "Change" erneut die Schlüsselbotschaften sind. Ironischerweise werden die britischen Konservativen ebenfalls von einem früheren Obama-Mitarbeiter beraten: Sie haben Jim Messina unter Vertrag, der 2012 den Wahlkampf des US-Präsidenten geleitet hat.

Mit dieser Strategie ist Labour bislang zwar erfolgreich - aber nicht so sehr, dass ein Wahlsieg wirklich sicher scheint. Selbst der frühere Labour-Premierminister Tony Blair glaubt offensichtlich nicht daran. Dem "Economist" sagte er, dass 2015 eine Wiederholung all jener Wahlen bringen könne, "bei denen eine traditionelle Linkspartei mit einer traditionellen Rechtspartei konkurriere, mit dem traditionellen Ergebnis". Auf die Frage, ob er damit eine Sieg der Tories meine, sagte Blair: "Ja, das ist es, was passieren wird." Später versuchte er, sich zu korrigieren. Seine Bemerkungen seien "missinterpretiert" worden, twitterte Blair. Er unterstütze seine Partei sowie Parteichef Ed Miliband und gehe von einem Labour-Sieg aus.

Auf den ersten Blick geben die Umfragen Blairs Dementi recht: Labour liegt in den meisten Erhebungen seit Monaten stabil vorn. Eine Umfrage für den "Observer" etwa sieht die Konservativen bei 29 Prozent, Labour bei 33 Prozent, die mitregierenden Liberaldemokraten wie auch die Grünen bei 6 Prozent. 19 Prozent gehen an die europafeindliche "UK Independence Party", kurz Ukip, die bei den Wahlen von 2010 noch bei 3 Prozent dümpelte. Wegen des Mehrheitswahlsystems haben solche Umfragen allerdings nur begrenzte Aussagekraft: Für britische Politiker führt der Weg ins Parlament allein über ihren Wahlkreis. Die Mitglieder kleinerer Parteien haben es dabei ungleich schwerer, einen Sitz im Unterhaus zu erlangen.

Nigel Farage und seine Partei Ukip haben die politische Landschaft in Großbritannien aufgemischt.

Nigel Farage und seine Partei Ukip haben die politische Landschaft in Großbritannien aufgemischt.

(Foto: REUTERS)

Die kleinen Parteien sind es, die Prognosen für die Wahl im Mai so gut wie unmöglich machen: "Die Wahl von 2015 ist die am stärksten unvorhersehbare seit Menschengedenken", sagt der Politologe Robert Ford. Ukip etwa dürfte ihre Präsenz im Unterhaus deutlich ausbauen - bislang hat die Partei lediglich zwei Abgeordnete im Parlament, Überläufer aus den Reihen der Konservativen, die später bei Nachwahlen bestätigt wurden. Die Partei liegt am rechten Rand des politischen Spektrums, zieht aber auch klassische Labour-Wähler an.

Siegt Cameron, verlässt das Königreich die EU

Für Labour kann das gefährlich werden, denn in Schottland werden die Sozialdemokraten mit großer Sicherheit viele Sitze an die eher linke Scottish National Party verlieren. Bislang hat die SNP nur sechs Abgeordnete im Unterhaus. Als Folge der allgemeinen Politisierung im letztlich gescheiterten Unabhängigkeitsreferendum dürften die weitaus meisten der 59 schottischen Sitze im britischen Parlament an SNP-Vertreter gehen - auf Kosten von Labour.

Wahrscheinlich ist, dass es nach der Wahl keinen klaren Wahlsieger geben wird: Entweder Labour oder die Konservativen werden sich Koalitionspartner suchen müssen. Dafür kommen vor allem die Regionalparteien aus Wales, Schottland und Nordirland infrage, aber auch die Grünen-Abgeordnete aus Brighton (sofern sie die Wiederwahl schafft) und die Liberaldemokraten - denn trotz des Absturzes der Partei dürften ein paar Libdems den Sprung ins Parlament schaffen. Ukip dagegen fällt als potenzieller Partner für die Konservativen aus; zu sehr haftet Parteichef Nigel Farage der Ruf eines ebenso exzentrischen wie radikalen Politclowns an.

Dennoch hat Ukip dafür gesorgt, dass Europa ein großes Thema im Wahlkampf ist. Die Partei strebt den Austritt Großbritanniens aus der EU an, was auch in den Reihen der Konservativen auf Sympathien stößt. Bereits vor zwei Jahren sah Cameron sich gezwungen, für 2017 ein Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft anzukündigen. Gewinnen die Tories die Wahl, wird dieses Referendum stattfinden. Aktuelle Umfragen sagen ein knappes Ergebnis voraus. Da die großen Parteien diesen Wahlkampf allerdings aus Angst vor ihren Wählern den überwiegend euroskeptischen Medien überlassen werden, dürfte das Ergebnis klar sein: Gewinnt Cameron die Wahl im Mai, ist der britische Austritt aus der Europäischen Union so gut wie besiegelt.

Quelle: ntv.de

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