Waffenruhe für Terroristen Der "unverzeihliche" Deal mit dem IS
31.08.2017, 13:49 Uhr
(Foto: REUTERS)
Im syrisch-libanesischen Grenzgebiet kommt es zu einem aufsehenerregenden Abkommen: einer Waffenruhe mehrerer Kriegsparteien mit dem IS. Einige Länder in der Region sind empört. Die USA reagieren mit Waffengewalt.
General Joseph Aoun weiß wohl um die Tragweite seiner Entscheidung. Als er am Mittwoch vor die Presse tritt, sagt der Kommandeur der libanesischen Armee: "Ich hatte zwei Optionen. Entweder kämpfe ich weiter und erfahre nie vom Schicksal der Soldaten, oder ich füge mich den Umständen und finde es heraus." Aoun fügt hinzu: "Ihre Seelen sind meine Verantwortung."
Der General hat sich den Umständen gefügt. Er hat Anfang der Woche einer Waffenruhe zugestimmt. Nicht mit irgendwem, sondern mit dem selbsternannten Islamischen Staat (IS). Es ist die erste offiziell verkündete Waffenruhe mit der Terrormiliz. Und sie führt nun in der gesamten Region zu heftigen Verwerfungen.
Der Waffenruhe ging die Verschleppung libanesischer Soldaten voraus. Der IS hatte bereits 2014 den syrisch-libanesischen Grenzort Arsal überfallen und insgesamt 30 Mitglieder der libanesischen Sicherheitskräfte entführt. Die Dschihadisten ließen einige von ihnen laufen, andere töteten sie. Das Schicksal von neun Männern blieb bis zur Waffenruhe ungeklärt.
In den Tagen vor dem Deal gingen die libanesische Armee, die libanesische Miliz Hisbollah und die syrische Armee in der Grenzregion zwischen Syrien und dem Libanon in einer koordinierten Offensive gegen den IS vor. Sie nahmen die Dschihadisten praktisch von syrischer und libanesischer Seite in die Zange. Ein Sieg zeichnete sich ab.
Statt märtyrerhaft bis zu ihrem Tode zu kämpfen, bot der IS die Waffenruhe an. Dem Libanon versprach die Terrormiliz unter anderem Gewissheit über das Schicksal der entführten Soldaten. Genau genommen, den exakten Standort, wo die Männer verscharrt wurden. Im Gegenzug forderten sie freies Geleit ins syrische Deir ez-Zor - neben Rakka die letzte prestigeträchtige Hochburg des IS. Die Hisbollah besiegelte den Deal. Und am Montag machten sich mehr als 300 IS-Kämpfer aus der Nähe von Asral in Bussen auf den Weg nach Abku Kamal, einem syrischen Ort im Governements Deir ez-Zor in unmittelbarer Nähe der Grenze zum Irak. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Und der Konvoi sollte sein Ziel nicht erreichen.
Luftangriff bremst Konvoi
Die Anti-IS-Koalition unter Führung der USA war entsetzt angesichts des Deals: "Unverzeihlich", twitterte Brett McGurk, US-Sondergesandter der Koalition. "IS-Kämpfer sollten auf dem Schlachtfeld getötet werden, nicht mit Busses durch Syrien an die irakische Grenze transportiert werden ohne die Zustimmung des Irak." In einem weiteren Tweet McGurks heißt es: "Unsere Koalition wird sicherstellen, dass diese Terroristen nie den Irak betreten oder aus den Überresten von dem verschwinden, was sie ihr Kalifat nennen."
Die Anti-IS-Koalition schlug zu, bevor der Konvoi IS-Gebiet erreichte. Jets der Koalition zerstörten eine Brücke und griffen den Highway an. Den Konvoi selbst zerstörten sie nicht.
Was bedeutet der Deal für Moskaus Narrativ?
Auch im Irak war die Empörung gewaltig. Präsident Haider al-Abadi nannte den Deal eine "Beleidung des irakischen Volkes". Der Irak kämpfe ja auch gegen die Islamisten, statt sie einfach nach Syrien zu vertreiben. Die irakische Armee hat gerade in einem monatelangen Kampf mit hohem Blutzoll die IS-Hochburg Mossul von den Dschihadisten befreit. Jetzt versucht sie die letzten kleineren Stellungen des IS im Norden des Landes zu erobern.
Wie ein Brandbeschleuniger für die Wut Baghdads dürften die Worte des libanesischen Präsidenten Michel Aoun wirken, der am Mittwoch offiziell den Sieg gegen den IS im Libanon verkündete. Der Nummer Eins in Beirut dürften schwierige diplomatische Gespräche bevorstehen, nicht nur mit der Führung des Irak. Libanon ist schließlich Teil der Anti-IS-Koalition und handelt jetzt offensichtlich nicht in deren Sinne.
Die Waffenruhe untergräbt womöglich aber auch das Narrativ des syrischen Machthabers Assads und seines stärksten Verbündeten Russlands. Moskau intervenierte 2015 in dem Bürgerkrieg. Der Kreml gab als Grund an, dort gegen Terroristen vorgehen zu wollen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Welchen Zweck hat die Waffenruhe und vor allem das freie Geleit für Hunderte IS-Kämpfer? In letzter Konsequenz bedeutet der Deal mit großer Wahrscheinlichkeit, dass sich die USA oder ihre Verbündeten um die Dschihadisten kümmern müssen – nicht Assad oder Russlands Präsident Wladimir Putin.
Quelle: ntv.de