Politik

Renk-Managerin Susanne Wiegand "Die Bundeswehr bestellt nur in homöopathischen Dosen"

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Ein Kampfpanzer der Bundeswehr vom Typ Leopard 2 auf einem Übungsplatz.

Ein Kampfpanzer der Bundeswehr vom Typ Leopard 2 auf einem Übungsplatz.

(Foto: picture alliance/dpa)

Ist die Zeitenwende auch bei der Rüstungsindustrie angekommen? Zum Teil, sagt Renk-Chefin Susanne Wiegand. Die Branche werde heute anders wahrgenommen, Mitarbeiter würden im Bekanntenkreis nicht mehr verschweigen, wo sie beschäftigt sind. Auch bei den staatlichen Aufträgen laufe einiges pragmatischer - aber: "Die Quote dessen, was wir für die Bundeswehr machen, ist nicht gestiegen."

ntv.de: Deutschland hat sich dreißig Jahre lang von Freunden umgeben gefühlt. Das ist nicht mehr so, und das prägt auch die an diesem Freitag beginnende Münchner Sicherheitskonferenz. Wenn die MSC "Alarm schlägt", spiegelt sich das in Ihren Auftragsbüchern wider?

Susanne Wiegand: Zwischen der Stimmung auf der MSC und unseren Auftragsbüchern gibt es keine Verbindung. Wir nehmen immer in unterschiedlichen Formaten an der Konferenz teil. Aber Ihre Frage zielt darauf ab, wie stark wir als Zulieferer der Rüstungsindustrie davon abhängen, wie bedroht sich der Westen fühlt. Leider ist die Bedrohung real, dieser Verantwortung sind wir uns sehr bewusst.

Susanne Wiegand ist die Chefin der Renk Group AG, einem Unternehmen, das unter anderem Getriebe für Panzer und Fregatten herstellt. Renk hat Standorte in Augsburg, Rheine und Hannover, außerdem in der Schweiz, in Großbritannien, in den USA und in Indien.

Susanne Wiegand ist die Chefin der Renk Group AG, einem Unternehmen, das unter anderem Getriebe für Panzer und Fregatten herstellt. Renk hat Standorte in Augsburg, Rheine und Hannover, außerdem in der Schweiz, in Großbritannien, in den USA und in Indien.

(Foto: RENK Group)

Als im vergangenen Jahr meine Schwester, eine Lehrerin im Ruhrgebiet, zum ersten Mal Panels der Sicherheitskonferenz gestreamt hat, weil es sie interessierte, dachte ich: Jetzt ist das Thema Sicherheit in der Breite der Bevölkerung angekommen. Oder war das nur eine Welle, die schon wieder abebbt?

Obwohl die Ukraine schon seit 2014 im Krieg ist, kam mit der großangelegten Invasion Russlands 2022 der Wake Up-Call, als sich in Deutschland alle fragten: Oh Gott, was ist da los? Die Zeitenwende-Rede des Kanzlers, das Sondervermögen - all das machte die Gesellschaft aufmerksam. Aber jetzt, nach zwei Jahren Krieg, werden die Menschen müde. Sie sehen: Das kostet Geld, es gibt kein Fortkommen, eine Lösung ist nicht in Sicht. Das ist gefährlich, weil viele im Land denken: "Jetzt muss dieser Spuk aber mal vorbei sein und wir können wieder weitermachen wie bisher."

Und das wird nicht kommen?

Was bedeutet es, nach drei Jahrzehnten konsequenter Abrüstung die Bundeswehr wieder wehrhaft zu machen? Das heißt: Wir werden Einschnitte in anderen Bereichen machen müssen. Diese Konsequenz scheint nicht breitflächig in der Gesellschaft angekommen zu sein, auch weil sie unpopulär ist. Es ist erforderlich, in den nächsten Jahren deutlich mehr in die Rüstung zu investieren. Boris Pistorius spricht im Zusammenhang mit der Bundeswehr inzwischen von "Kriegsfähigkeit" und setzt einen anderen Ton in der Debatte. Das finde ich richtig. Denn sonst dringt es nicht durch.

Seit letztem Jahr gibt es die Nationale Sicherheitsstrategie.

Ja, und wir haben auch angefangen, unser Verhältnis zu China zu definieren. Aber ich vermisse dazu eine konsequente und nachhaltige Kommunikation in die Gesellschaft. Die Menschen müssen verstehen, dass es nicht egal ist, ob Putin in der Ukraine die Oberhand behält. Wir brauchen eine glaubhafte Abschreckung, um Russland davon abzuhalten, weitere Angriffe zu wagen. Es gibt Menschen, die sagen, die zwei Jahre Unterstützung für die Ukraine hätten nichts gebracht, wir sollten jetzt aufhören. Das sagen diese Menschen nicht, weil sie dumm sind, sondern weil ihnen Wissen fehlt, um zu verstehen, was die Konsequenz daraus wäre. Hier muss klar in der Kommunikation nachgelegt werden.

Wenn wir auf Ihr Unternehmen schauen: Sie wollen investieren, dafür braucht man auch mehr Fachkräfte. Wie macht sich die öffentliche Debatte da bemerkbar? Das Wachsen der Rüstungsbranche?

Positiv wie negativ. Um Fachkräfte sind wir im Wettbewerb mit vielen anderen Unternehmen. Finden wir die jetzt schnell genug? Ich bin ein ungeduldiger Mensch, wir haben eine relevante Zahl an offenen Stellen und müssen sehen, dass wir sie besetzt kriegen.

Und positiv?

Ja, durchaus. Und daran erkenne ich, dass wir in der Rüstungsindustrie heute anders wahrgenommen werden. Zum einen ist die Rüstungsindustrie raus aus der Schmuddelecke. Menschen aller Altersgruppen und unterschiedlichster Qualifikationen interessieren sich für uns. Bei uns bewerben sich Menschen, die sagen: Ich gehe bewusst in die Rüstungsindustrie, denn was dort produziert wird, wird jetzt gebraucht. Diese Menschen möchten etwas Sinnhaftes machen. Das ist eine völlig neue Entwicklung und spiegelt den Wandel im Ansehen unserer Branche in der Gesellschaft wider. Zum anderen erfahren die vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Branche endlich die Anerkennung, die sie verdienen. Wir beschäftigen durchweg hervorragend ausgebildete Mitarbeitende, die an sehr anspruchsvollen Produkten und Technologien arbeiten. Diese Menschen haben in den letzten zwanzig, dreißig Jahren wenig Wertschätzung erfahren, manche wollten unter Freunden gar nicht sagen, wo sie genau arbeiten. Das ist vorbei.

In der Rüstungsdebatte geht es stark um Zeit: Die Ukraine braucht sehr dringend Munition. Bis vor zwei Jahren war Schnelligkeit kaum ein relevanter Faktor. Wie funktionierte das vor dem 24. Februar 2022?

Wir waren an Budgets gewöhnt, die immer kleiner wurden, an Schrumpfungs-Szenarien. Da ging es nicht um Wachstum, Produktivität und Effizienz. Zugleich sind wir Deutschen ja Meister im Perfektionieren. Also haben wir die Mangelverwaltung perfektioniert. Es gab begrenzte Mittel und Rüstung war nicht wirklich gewollt. Wenn Liefertermine nicht eingehalten wurden, hat das niemanden gestört.

Man hat sich über Verzögerungen gefreut im Ministerium?

"Ihr braucht länger? Dann fließt ja auch kein Geld ab." So in etwa waren die Reaktionen. Eine Verzögerung wurde kaum sanktioniert. Es gab weder die Mechanismen noch die Instrumente oder den Anreiz, besonders effizient oder schnell zu sein. Ohnehin ging es meist um niedrige Stückzahlen. Da war kein Druck im System.

Was hat das mit dem System gemacht?

Wenn man über Jahrzehnte so arbeiten muss, überlegt man sich auf Lieferantenseite immer: Wie kann ich Kapazitäten abbauen? Und auf der Bestellerseite: Wie kann ich noch ein Formular und noch eine Genehmigungsschleife einbauen, damit alles noch ein bisschen länger dauert und die Ausgaben ins nächste Jahr geschoben werden? Beides ist für das, was wir jetzt brauchen, die völlig falsche Prägung.

Was kann die Branche umprägen?

Mit der geänderten geopolitischen Bedrohungslage müssen wir lernen zu wachsen, wie Skalieren geht und wie wir eine industrielle Kleinserienproduktion aufbauen. Experten aus der Automobilbranche wechseln inzwischen in die Rüstungsindustrie, denn diese Menschen wissen, wie Serienproduktion auf hohem Niveau funktioniert. Das sind interessante Transfers, finde ich. Wir haben bei Renk zwei Kollegen eingestellt, die zuvor in der Automobilindustrie gearbeitet haben. Die sagen: "Ich finde es cool, was ihr macht, und ich glaube, ich kann euch helfen." Auch in anderen Unternehmen der Branche sehe ich solche Transfers, für mich ist das ein gutes Zeichen.

Trotzdem hakt es noch im System. Die Rüstungsbranche sagt: Wir wollen liefern, aber wir kriegen aus der Politik keine Aufträge. Die Politik sagt: Wir wollen ja beauftragen, aber die Branche kann nicht liefern. Wer ist Henne und wer ist Ei?

Waffen sind sehr komplexe Systeme, die bestellt man nicht im Onlineshop. Die technische Komplexität erfordert ein enges Miteinander zwischen Bundeswehr, Beschaffungsbehörde und Industrie. Deshalb sage ich immer, dass das ganze Finger Pointing nichts bringt. Wir müssen jetzt alle gemeinsam an einem Strang ziehen.

Allerdings war Renk nie allein auf die deutsche Mangelwirtschaft angewiesen, Sie exportieren auch viel. War die deutsche Haltung speziell im internationalen Vergleich?

Das ist für mich schwer zu beurteilen. Aber ich würde sagen, vom Ausland wurde schon etwas mehr Vertrags- und Umsetzungsdisziplin erwartet. Wir haben aber auch mit Kunden zu tun, die nie eine Friedensdividende hatten - die USA etwa oder Israel. Diese Staaten haben immer Geld für Rüstung ausgegeben und ihre Verteidigungsbudgets nach oben angepasst. Wir hatten es also dabei mit Ländern zu tun, die - anders als Deutschland - nie so naiv waren zu glauben, man sei für immer von Freunden umgeben, die Energie aus Russland sei billig und führe nicht zu Abhängigkeiten. Insofern würde ich schon sagen, dass Deutschland da ein bisschen speziell ist.

Verteidigungsminister Pistorius hat im April 2023 bemerkenswerte Sätze gesagt. "Dem Faktor Zeit ordnen wir ab jetzt alles unter" zum Beispiel, und das "gilt ab sofort". Merken Sie das schon?

Meines Erachtens laufen manche Dinge bereits pragmatischer und beschleunigter, beispielsweise dank des Beschaffungsbeschleunigungsgesetzes sowie des Erlasses von Staatssekretär Zimmer. Das geht in die richtige Richtung. Aber ist das jetzt der bahnbrechende Durchbruch? Nein, ist er nicht.

Was fehlt aus Ihrer Sicht?

Alles dem Faktor Zeit unterzuordnen, bedeutet, Prioritäten zu setzen. Weil die Uhr tickt. Wie lange braucht Russland laut den Experten, um die Bestände wieder aufzufüllen und sich einen nächsten Schritt zu trauen? Acht Jahre werden da genannt, manchmal auch fünf Jahre oder gar nur drei. Wenn es drei Jahre sind, dann wissen wir, dass wir uns nicht fünf Jahre Zeit lassen dürfen. Da tickt eine Uhr, denn in Russland läuft die Produktion - und wir diskutieren noch.

Dieser Fokus auf Zeit kommt also noch nicht bei Ihnen an?

Wenn wir jetzt Verträge verhandeln, dann laufen bestimmte Dinge etwas pragmatischer. In homöopathischen Dosen. Aber dass jetzt mehr Geschäftsvolumen ankommt, kann ich für Renk nicht bestätigen. Die Quote dessen, was wir für die Bundeswehr machen, ist nicht gestiegen. Ganz konkret beim Leopard-2-Panzer: Da gibt es einen Rahmenvertrag für 123 Leoparden. Was hat Deutschland bisher abgerufen? Genau die 18 Stück, die wir in die Ukraine abgegeben haben. Nicht einen mehr. Ist das Zeitenwende, konsequent umgesetzt? Finde ich nicht.

Mit Susanne Wiegand sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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