Alle gegen Alle Die ganz vergiftete Koalition
29.10.2015, 16:31 Uhr
Halten sie noch zwei Jahre miteinander durch? SPD-Chef Gabriel, Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Seehofer.
(Foto: REUTERS)
Offene Drohungen, Gerüchte über Koalitionsbruch und Kanzler-Sturz: Die Flüchtlingskrise sorgt für Ärger zwischen CDU, CSU und SPD. Die Stimmung zwischen den vermeintlichen Partnern war nie schlechter.
Jaja, der gute Himbeergeist, damals im Januar 2014. Die Minister der Großen Koalition waren gerade erst vereidigt, da beschnupperten sich die Mitglieder der noch jungen Bundesregierung erstmals bei einer Kabinettsklausur im brandenburgischen Meseberg. Auch jener Himbeergeist soll damals zu späterer Stunde im Schlosskeller durchaus zur allgemeinen Vergnüglichkeit beigetragen haben. Doch die Euphorie, der Zauber des Anfangs, er ist schnell gewichen. Die Auseinandersetzungen im Zuge von Edathy-Affäre, Mindestlohn und PKW-Maut haben für Nüchternheit gesorgt.
Die Flüchtlingskrise dürfte in den vergangenen Wochen das letzte bisschen Überschwänglichkeit fortgespült haben. Spätestens seit der jüngsten Drohung von CSU-Chef Horst Seehofer an die Adresse der Kanzlerin ist die Stimmung unterkühlt. Plötzlich ist von einem Ende der Koalition die Rede, von einem möglichen Abzug der CSU-Minister. Ebenso hartnäckig halten sich Gerüchte, wonach Wolfgang Schäuble als Übergangskanzler bereit stünde. Stehen der europaweit als stabil geltenden deutschen Politik turbulente Zeiten bevor?
Tatsächlich sind ein Ende der Koalition, der Sturz der Kanzlerin und Neuwahlen höchst unwahrscheinlich. Doch eines lässt sich kaum leugnen: Die Koalition, die vor knapp zwei Jahren ihre Arbeit antrat, steckt in ihrer größten Krise. Wie die drei Parteien übereinander sprechen, die im Dezember 2013 den Koalitionsvertrag unterzeichnet haben, zeigt: Die Stimmung zwischen den Koalitionären ist gar nicht gut, sie ist bisweilen sogar giftig. Von Partnern kann zurzeit keine Rede sein.
"Witzfigur Seehofer"
Öffentlich geben sich die Vertreter der Regierungsparteien gern staatsmännisch. Die Lage sei zu ernst für parteitaktische Spielchen, das verkündet man öffentlich gern und oft. Doch tatsächlich ist das Misstrauen groß und die Stimmung untereinander schlecht, selbst zwischen den Schwesternparteien. "Seehofer wird nicht mehr ernst genommen, ich frage mich, wie lange sich die CSU eine solche Witzfigur an der Spitze noch leisten will", sagt ein baden-württembergischer CDU-Bundestagsabgeordneter n-tv.de.
Unionsabgeordnete spielen den Streit in der eigenen Fraktion herunter. "Ich finde es kein schlechtes Zeichen, wenn es auch mal raucht im Karton", sagte etwa CDU-Politiker Armin Schuster. Gern verweisen Unionspolitiker auf die große Bandbreite an Meinungen in einer Volkspartei. Beliebt sind auch Ablenkungsmanöver, etwa in Form von Sticheleien gegen die SPD. "Von denen kommt im Moment erstaunlich wenig", sagt ein CDU-Abgeordneter.
Und die SPD? Die Sozialdemokraten werden in diesen Tagen nicht müde, darauf hinzuweisen, dass sich die Kanzlerin zurzeit stärker auf die SPD verlassen könne als auf ihre eigene Partei. Den offenen Streit in der Union verfolgt man genüsslich. Seehofers Ultimatum zeige vor allem die Orientierungslosigkeit der Union, sagt Parteivize Ralf Stegner n-tv.de. Über einen möglichen Bruch der Koalition oder einen Übergangskanzler Schäuble sagt er: "Die SPD wird keine politische Instabilität in Deutschland riskieren. Wir sorgen aktuell dafür, dass die Bundesregierung angesichts dieser riesigen Herausforderungen handlungsfähig ist und verantwortlich handelt."
"Wir brauchen die CSU nicht"
Für die Genossen sind die regelmäßigen Vorwürfe aus Bayern an die Adresse der Kanzlerin dankbare Vorlagen. Bei jeder Kritik Seehofers können sie wieder in dieselbe Kerbe hauen: auf die SPD ist Verlass, die Union wackelt. Und überhaupt, sollen die Bayern doch drohen. Notfalls ginge es doch auch ohne sie. Der Außenpolitiker Niels Annen sagt etwa bei n-tv: "Wir brauchen die CSU nicht, um zu regieren in Berlin. Wir haben auch mit der CDU gemeinsam eine Mehrheit." Tatsächlich kämen CDU und SPD gemeinsam auf 448 der insgesamt 631 Sitze.
Wie lange bleibt es beim Aufschaukeln, wann kommt es zum großen Knall? Andere Vertreter aus den Reihen der Koalitionspartner sind angesichts der Lage zwar besorgt, äußern sich aber sachlicher und weisen die Spekulationen um einen Bruch zurück. CSU-Fraktionsvize Hans-Peter Friedrich bekräftigte, seine Partei werde die Koalition nicht verlassen. SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles sagte bei einer Veranstaltung: "Wir müssen das miteinander durchstehen. Einseitig Aufkündigen - das halte ich nicht für zielführend." CDU-Vizechefin Julia Klöckner spielt den Koalitionsstreit herunter. "Ich glaube, da gab es schon andere Herausforderungen in unserem Land. Und wenn eine Koalition deshalb zerbrechen sollte, ich glaube, dann hätte die Politik eine Riesen-Glaubwürdigkeitskrise", sagte sie in der ARD.
Am Sonntag treffen sich Seehofer, Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel zum Krisengipfel. Alle drei werden versuchen, für ihre jeweiligen Interessen das Größtmögliche herauszuholen. Gleichzeitig gilt es, dass sich im Anschluss alle Beteiligten in die Augen schauen können – durchhalten, zumindest noch für zwei Jahre. Am Ende will doch niemand daran schuld sein, dass eine Bundesregierung mitten in der Legislaturperiode zerbricht. In diesem Punkt dürfte es bei allem Streit Konsens geben.
Quelle: ntv.de