US-Handels- auch ein Drogenkrieg Diese Einfuhrregel führt zur Fentanyl- und Temu-Schwemme
09.02.2025, 13:01 Uhr Artikel anhören
In der dritten Woche seiner zweiten Amtszeit hat Donald Trump erstmals den Zoll-Hammer geschwungen.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
In seiner dritten Woche als Präsident hat Donald Trump die drei wichtigsten Exportländer der USA mit Zöllen belegt. Mexiko und Kanada werden davon vorübergehend befreit, mit China liegt die US-Regierung weiter im Clinch. Trumps engster Wirtschaftsberater spricht von einem "Drogenkrieg".
Zölle und Deals sind die politischen Lieblingsinstrumente von Donald Trump. Das hat der US-Präsident in dieser turbulenten Woche einmal mehr unter Beweis gestellt. Trump belegte die drei größten Exportländer der Vereinigten Staaten mit Zöllen: Kanada, Mexiko und China. Doch noch bevor die Zölle gegen Amerikas nördlichen und südlichen Nachbarn in Kraft traten, steckte Trump das scharfe Instrument vorerst wieder ein.
Zunächst kündigte Trump nach einem Gespräch mit Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum an, die geplanten Strafzölle für einen Monat auszusetzen. Genauso lief es mit Kanada. Trump telefonierte mit Ministerpräsident Justin Trudeau und legte die angekündigten Zölle für mindestens einen Monat auf Eis. Zölle ankündigen, Deal machen, Zölle aussetzen. Das ist offenbar Trumps Prinzip.
Der Deal mit Mexiko sieht folgendermaßen aus: Präsidentin Sheinbaum erklärte sich dazu bereit, 10.000 Soldaten an die Grenze zu schicken, um "den Drogenhandel von Mexiko in die Vereinigten Staaten zu unterbinden". Von Trudeau bekam der US-Präsident im Gegenzug für die Zollpause eine ähnliche Zusage. Kanada habe zugesichert, seine Grenze zu den USA besser zu sichern, um der "tödlichen Plage von Drogen wie Fentanyl endlich ein Ende zu setzen", schrieb Trump in seinem eigenen Online-Netzwerk Truth Social. Trudeau kündigte zudem an, dass Kanada die mexikanischen Drogenkartelle auf die Terrorliste setzt und man gemeinsam mit den USA eine "Spezialeinheit gegen das organisierte Verbrechen, den Handel mit Fentanyl und Geldwäsche ins Leben rufen" wird.
Über 110.000 Drogentote pro Jahr
In den vergangenen Jahrzehnten haben Drogen die USA regelrecht überflutet. Die Zahl der Toten durch eine Überdosis ist in die Höhe geschnellt. "Im Jahr 2000 waren es knapp über 17.000, im Jahr 2023 dann über 110.000", berichtet Roland Peters, US-Korrespondent von ntv.de, im Podcast "Wieder was gelernt". Zum Vergleich: Jährlich gibt es in den USA knapp über 40.000 Verkehrstote. Das ist zwar auch ein weltweiter Spitzenwert, die Zahl der jährlichen Drogentoten aber fast dreimal so hoch. "Die Hauptursache sind synthetische Opioide. Das Schmerzmittel Fentanyl macht davon einen Anteil von ungefähr 80 Prozent aus", erklärt Peters.
Immerhin: Seit August 2023 gibt es keinen weiteren Anstieg der Drogentoten in den USA. Die Zahlen sind um ungefähr 20 Prozent zurückgegangen. Das liegt daran, dass die Dosierung der Tabletten inzwischen oftmals weniger stark ist, wie aus vereinzelten Zoll-Beschlagnahmungen hervorgeht. Außerdem spielt das Gegenmittel Naloxon eine große Rolle für den Rückgang. Das Notfall-Nasenspray war zuvor kaum verfügbar, wird mittlerweile aber immer häufiger bei einer Überdosis eingesetzt.
Das alles mag eine Entwicklung in die richtige Richtung sein. Die Vereinigten Staaten haben aber immer noch ein gravierendes Drogenproblem. In keinem Land ist die Sterberate durch den Konsum von Opioiden und illegalen Mitteln so hoch wie in den USA. Das sei auch der Grund für die Zölle, macht Peter Navarro deutlich. "Die USA führen einen Drogenkrieg, keinen Handelskrieg", sagt Trumps engster Wirtschaftsberater. "Jedes Jahr sterben so viele Amerikaner wie nie zuvor, allein durch Fentanyl. Das ist ungefähr die gleiche Zahl, etwa 75.000 pro Jahr, die während des Super Bowls im Superdome sitzen werden. Das sind mehr als die Zahl der Soldaten, die wir im Vietnamkrieg verloren haben. Und das geschieht Jahr für Jahr."
Chinesische Onlineriesen profitieren von Zoll-Schlupfloch
Die "Vorläuferchemikalien", wie es Navarro nennt, stammen aus China. Laut der US-Anti-Drogenbehörde DEA ist China "die Hauptquelle für chemische Substanzen im Zusammenhang mit Fentanyl, die in die Vereinigten Staaten geschmuggelt werden".
Diese gelangten bislang in der Regel über kleinere Paketsendungen in die USA. Die Fentanyl-Schmuggler nutzten ein bestimmtes Zollgesetz aus: Die De-minimis-Regel sorgte dafür, dass kleinere Paketsendungen mit einem Warenwert von maximal 800 US-Dollar nicht verzollt wurden. Online-Versandhändler profitierten besonders stark von dem Zoll-Schlupfloch. Die billigen chinesischen Onlineriesen wie Shein und Temu fluten mit Billigprodukten inzwischen regelrecht den amerikanischen Markt. Allein Temu hat voriges Jahr Pakete mit einem Warenwert von etwa 30 Milliarden Dollar in die USA verschickt, berichtet Reuters.
Anfang der Woche hat Trump die Regel aufgehoben, zumindest für Lieferungen aus China wurden von einem Tag auf den anderen ungeachtet des Warenwerts Zölle fällig. Am Freitag hob der US-Präsident die Entscheidung dann bereits wieder auf, um dem Handelsministerium die nötige Zeit zu geben, die Anordnung auch umzusetzen. Die kurzfristige Änderung hatte zu Beginn der Woche für Chaos und Störungen beim Zoll, den Post- und Zustelldiensten gesorgt.
Die USA wollen mit der Aufhebung der De-minimis-Regel zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Einerseits die Fentanyl-Schwemme begrenzen, andererseits das Handelsdefizit mit China reduzieren. "Die USA importieren wesentlich mehr aus China, als sie exportieren. Das heißt, es fließt Geld aus der Wirtschaft ab. Trump klagt oft: Wir müssen unsere Handelsdefizite mit unseren Partnern verringern. Dies könnte ein Baustein sein, um das zu erreichen", analysiert US-Korrespondent Peters.
1,5 Milliarden Pakete pro Jahr
Die De-minimis-Regel basiert auf einer fast hundert Jahre alten Zollregel. Das Smoot-Hawley-Zollgesetz wurde im Jahr 1930 erlassen, um die US-Industrie zu schützen. Über 20.000 Produkte wurden mit drastischen Zöllen belegt. Aber es gab zu wenig Personal, um die Einfuhren zu kontrollieren. Um die Zollbeamten zu entlasten, wurde die De-minimis-Ausnahme eingeführt: 1930 betrug der Zollfreibetrag 1 Dollar, 1962 wurde dieser auf 10 Dollar, später in Etappen bis auf 200 Dollar erhöht. Bis es unter Barack Obama die letzte Erhöhung gab - seit 2016 liegt die Freigrenze bei 800 Dollar pro Lieferung.
Der hohe Zollfreibetrag wird fleißig ausgenutzt: Allein vorletztes Jahr wurden etwa eine Milliarde Pakete in die USA versendet, die unter den Freibetrag fallen - doppelt so viele wie 2019. Warenwert insgesamt: 54,5 Milliarden Dollar. Inzwischen sind die Zahlen noch weiter gestiegen. Schätzungen zufolge erreichen täglich 4 Millionen Pakete die USA. Das sind gut 1,5 Milliarden pro Jahr. 90 Prozent aller Lieferungen aus dem Ausland fallen unter die De-minimis-Regel.
USA zum Drogen-Umschlagplatz geworden
Der chronisch überlastete Zoll kann nur einen Bruchteil dieser Lieferungen kontrollieren. Trotz der Paketflut wurden in den vergangenen Jahren jedoch mehrere Tonnen Drogenlieferungen beschlagnahmt. Das gibt einen Hinweis darauf, wie groß die Fentanyl- und Drogenschwemme wirklich ist. "Berge von Turnschuhen, Werkzeugen und Toastern, die sich in den Zolllagern stapeln, sind das perfekte Versteck für zufällige Kisten mit Fentanyl-Zutaten", heißt es in einer Reuters-Reportage über den Fentanyl-Schmuggel.
Die Änderung des US-Handelsgesetzes im Jahr 2016 habe "die Logistik des internationalen Drogenhandels verändert". Seitdem sind die USA zum "Umschlagplatz für in China hergestellte Chemikalien" geworden. Zu viele Pakete, zu wenige Kontrollen möglich, Versanddokumente fälschen geht vergleichsweise einfach - das sind gute Bedingungen für Drogenkartelle.
Kartelle werben Chemie-Studenten an
Ob Trumps Zölle wirken, ist unklar. China hat bereits Gegenzölle eingeführt - auf Kohle, Flüssigerdgas, Öl und Landwirtschaftsmaschinen. Gut möglich, dass sich beide Staaten mit Zöllen ähnlich hochschaukeln wie 2018. Roland Peters erwartet, dass Trump mit Zöllen weder den Handels- noch den Drogenkrieg gewinnen kann. "Die zehn Prozent Preisaufschlag werden keinen großen Unterschied machen. Die Produkte sind so günstig, dass sie auch weiterhin attraktiver sein werden als die vieler US-Händler."
Und auch die Drogenkartelle haben sich längst breiter aufgestellt und ihre Produktion diversifiziert. "Es gibt Berichte darüber, wie die Kartelle in Mexiko an Universitäten angehende Chemiker anwerben, damit sie die Grundstoffe für Fentanyl selbst herstellen können", erzählt Peters im Podcast und macht deutlich: "Die tödliche Opioidkrise hat viele Dimensionen. Zölle allein werden als Gegenmittel nicht ausreichen, auch wenn Trump das behauptet."
Darüber hinaus ist es alles andere als sicher, dass die Zölle den Vereinigten Staaten wirtschaftlich helfen. Im Gegenteil. Nach Berechnungen des Ifo-Instituts könnten die Exporte der USA um bis zu 22 Prozent sinken, wenn es zu einem anhaltenden Zollstreit mit China, Kanada und Mexiko kommt. Den geringsten negativen Effekt von allen vier Staaten müsste demnach China befürchten.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de