"Nichts als Gesichtswahrung" EU-Flüchtlingshilfe in der Kritik
24.04.2015, 07:34 Uhr
Italiens "Mare Nostrum"-Mission wurde eingestellt - die Nachfolgemission soll nun mehr Geld erhalten.
(Foto: dpa)
Mehr Geld für die Seenotrettung und das Vorgehen gegen Schleuser sind die wichtigsten Beschlüsse der EU zur Flüchtlingsfrage. Doch Hilfsorganisationen geht das nicht weit genug. Sie sprechen von halbgaren Lösungen und kritisieren vor allem das Einsatzgebiet.
Nach dem Sondergipfel zur Flüchtlingskrise hat sich scharfe Kritik an den Beschlüssen der EU geregt. Das Treffen am Donnerstag in Brüssel sei "eine Gesichtswahrungs-, keine Lebensrettungsoperation" gewesen, erklärte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die Hilfsorganisation Oxfam sprach von einer vertanen Chance. Besonders kritisiert wurde, dass das Einsatzgebiet der EU-Überwachungsmissionen auf See nicht ausgedehnt wurde, worüber Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut beraten will.
Hier finden Sie einen Überblick über die Gipfelbeschlüsse.

Amnesty-Aktivisten demonstrieren vor dem Kanzleramt für eine andere Flüchtlingspolitik.
(Foto: imago/IPON)
"All die Worte und Ressourcen, die auf dieses Problem verwendet werden, legen nahe, dass die EU-Oberhäupter es ernst meinen mit dem Retten von Leben auf hoher See", erklärte der Europa-Chef von Amnesty, John Dalhuisen. "Aber die Wahrheit ist, dass sie das Problem weiter nur halbwegs angehen." Wenn das Einsatzgebiet der EU-Seemissionen nicht ausgeweitet werde, "werden Migranten und Flüchtlinge weiter ertrinken".
Bei dem EU-Gipfel war beschlossen worden, die Mittel für die EU-Überwachungsmissionen auf See zu verdreifachen. Der "Triton"-Einsatz vor Italien hat damit rund neun Millionen Euro pro Monat zur Verfügung - ebenso viel wie dem im November eingestellten italienischen Seenotrettungseinsatz "Mare Nostrum" zur Verfügung stand. Dieser reichte aber bis vor die Küste Libyens, von wo aus sich die meisten Flüchtlinge derzeit auf den Weg nach Europa machen. Hauptaufgabe von "Triton" und des "Poseidon"-Einsatzes vor Griechenland ist zudem der Grenzschutz und nicht die Seenotrettung.
Kritik an Einsatzgebiet
Oxfam erklärte, die Gipfelbeschlüsse seien "vollkommen unzureichend". Die Seemissionen müssten "ein klares Mandat, als oberste Priorität Leben zu retten", bekommen, forderte der Leiter der Oxfam-Programme in Italien, Alessandro Bechini. Außerdem dürfe es keine geografischen Beschränkungen für die Seenotrettung geben. Oxfam kritisierte, vor allem arme Länder müssten die Flüchtlingskrise bewältigen, während die EU keinen fairen Beitrag leiste.
Merkel hatte nach dem Gipfel gesagt, über die Frage des Einsatzgebiets müsse aus ihrer Sicht erneut gesprochen werden - offenbar hatte es Widerstand bei anderen Staaten gegeben. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, das Mandat von "Triton" brauche "nicht diskutiert zu werden". Bei der Notwendigkeit von Seenotrettung gebe es "keine geografischen oder politischen Grenzen".
Im Mittelmeer kamen nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration seit Jahresbeginn bereits mehr als 1750 Flüchtlinge ums Leben. Der Sondergipfel war angesetzt worden, nachdem allein in der Nacht zum Sonntag vor der libyschen Küste rund 800 Flüchtlinge ertrunken waren.
Hollande strebt UN-Mandat an
Libyen ist nicht nur ein wichtiges Transitland für Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten, es kämpft auch selbst mit einer Massenflucht. "Die Eskalation des bewaffneten Konflikts in Libyen hat mehr als eine halbe Million Menschen aus ihren Häusern vertrieben", heißt es in einem Bericht der Hilfsorganisation Roter Halbmond, der sich auf die Zeit von Mitte Mai 2014 bis Anfang April 2015 bezieht.
Die EU will den Menschenschmuggel nun stärker bekämpfen. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini soll dazu Pläne erarbeiten. Frankreichs Präsident François Hollande kündigte an, sein Land werde eine Resolution beim UN-Sicherheitsrat einbringen, damit die Schiffszerstörung mit militärischen Mitteln autorisiert werde. Dazu wollte er am Freitag ein Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin führen.
Die Chefin der Grünen-Bundestagsfaktion, Katrin Göring-Eckardt, sagte dem ZDF, schuld an den Tragödien im Mittelmeer sei die europäische Abschottungspolitik. Um Schlepper zu bekämpfen, müsse "man denen schlicht und ergreifend die Geschäftsgrundlage entziehen und einen sicheren Weg nach Europa schaffen". Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach von der CDU, sagte, wer die EU-Außengrenzen komplett öffnen wolle, müsse den Menschen auch erklären, was dies bedeute.
Quelle: ntv.de, mli/AFP