"Rosinenpicken wird es nicht geben" EU-Politiker kontern Mays Brexit-Rede
18.01.2017, 07:18 Uhr
Zurück in Downing Street No. 10: May nach ihrer Rede zum Brexit.
(Foto: dpa)
Mit ihrer Brexit-Rede provoziert die britische Regierungschefin Theresa May trotzige Reaktionen. Schottland hält ein neues Referendum in Sachen Unabhängigkeit für "sehr wahrscheinlich", EU-Politiker feuern verbal zurück.
Lange war ihre Rede erwartet worden, jetzt hat die britische Premierministerin Theresa May gesprochen – sie will einen harten Brexit und das Vereinigte Königreich aus dem Binnenmarkt der EU herausführen. Die Reaktionen im In- und Ausland sind kontrovers. Die schottische Regierungschefin, Nicola Sturgeon, brachte erneut eine Abstimmung über die Unabhängigkeit ihres Landes ins Spiel. Trotz gegenteiliger Beteuerungen Mays wächst zudem die Angst vor einer festen Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland. Aus Brüssel und Berlin kamen mahnende bis wütende Stimmen.
Die EU sei für die Austrittsverhandlungen gerüstet, twitterte Ratspräsident Donald Tusk. Er sprach von einem "traurigen Vorgang in surrealistischen Zeiten". Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel sagte: "Rosinenpicken wird es nicht geben." Wer am EU-Binnenmarkt teilhaben wolle, müsse Teil der Gemeinschaft sein, so der SPD-Politiker. "Damit zu drohen, Großbritannien in ein dereguliertes Steuerparadies zu verwandeln, wird nicht nur dem britischen Volk schaden, sondern ist auch eine kontraproduktive Verhandlungstaktik", schrieb der Europaabgeordnete Guy Verhofstadt auf Twitter.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte Widerstand gegen die Pläne Mays an. Gefragt, ob der Brexit-Kurs der britischen Regierung ein zweites Referendum unausweichlich mache, sagte sie der BBC: "Ich glaube das ist sehr wahrscheinlich der Fall". Die Mehrheit der Schotten hatte sich beim Brexit-Referendum im vergangenen Juni für einen Verbleib Großbritanniens in der EU ausgesprochen. Auch von der irischen Insel kamen besorgte Stimmen. Der nordirische Sinn-Fein-Abgeordnete John O'Dowd warnte der BBC zufolge vor einer festen Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland, sollte Großbritannien aus dem Binnenmark und der Zollunion austreten. Dort floriert der Handel dank der offenen Grenze.
Bütikofer erwartet schwere Konflikte
Der europäische Grünen-Chef Reinhard Bütikofer erwartet schwere Konflikte zwischen Brüssel und London. "Mit dem Zuckerguss freundlicher Worte, um die sie sich bemühte, kann Frau May nicht verdecken, dass sie eine radikale Politik verfolgt." SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach sich für konstruktive Verhandlungen aus.
Der CDU-Europapolitiker David McAllister hält einen zügigen Brexit für möglich. "Das ist ambitioniert, aber das kann man in zwei Jahren unter Dach und Fach bringen", sagte der Europaabgeordnete. Für das neue Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien werde es dann wohl Übergangsregeln geben müssen.
Bei ihrer Rede am Dienstag hatte May für einen harten Brexit geworben. Wenn Großbritannien nicht mehr im EU-Binnenmarkt sei, müsse ihr Land nicht mehr "enorme Summen zum EU-Haushalt" beitragen, so May. Stattdessen wolle sie einen umfassenden Freihandelsvertrag mit der Europäischen Union schließen. Die Zahl der EU-Einwanderer müsse reduziert werden, sagte May. Sie überforderten Schulen, Infrastruktur, Wohnungsmarkt und drückten die Löhne. Zugleich warnte sie die EU scharf: Sollten Großbritannien auf dem Weg zu einem Freihandelsabkommen Steine in den Weg gelegt werden, könne das Land einen zerstörerischen Wettlauf um niedrige Steuersätze für Unternehmen in Gang setzen.
Das zuletzt schwer angeschlagene Pfund erholte sich während und nach der Grundsatzrede. Es legte um rund zwei Prozent bis auf 1,2390 US-Dollar zu. Damit wurden Verluste zuvor mehr als wettgemacht. Noch im Januar steht eine weitere wichtige Brexit-Entscheidung an. Das höchste britische Gericht muss klären, ob das Parlament seine Zustimmung geben muss, bevor die Regierung den EU-Austritt förmlich bekannt gibt. May will die Scheidung von der EU bis Ende März in Brüssel einreichen. Sollten die Parlamentarier mitbestimmen dürfen, könnte das den Zeitplan durcheinanderbringen. Ein genauer Termin für das Gerichtsurteil steht noch nicht fest.
Quelle: ntv.de, vpe/dpa