Sicherheit aus dem Bauch heraus Extremisten abschieben oder festsetzen?
05.10.2014, 14:09 Uhr
Vor einer Kundgebung des salafistischen Predigers Pierre Vogel beten die Teilnehmer auf der Straße.
(Foto: imago/Christian Mang)
Deutschland will sich selbst schützen, aber gleichzeitig Reisende in den Islamischen Staat aufhalten. Wer zur Ausreise und wer zum Bleiben gezwungen wird, scheint von ganz banalen Dingen abzuhängen.
Erhan A. weiß selbst nicht so recht, was er eigentlich will. Der 22-Jährige saß schon einmal an einem türkischen Busbahnhof in der Provinz Hatay, 25 Kilometer vor der syrischen Grenze. Seine Kontakte beim IS hatten ihm gesagt, in welchen Bus er steigen muss, um sich dem Kalifat anzuschließen. Doch in letzter Minute brach Erhan A. ab. Er stieg nicht in den Bus und wurde kein Kämpfer. Stattdessen kehrte er nach Deutschland zurück, genauer gesagt nach Kempten im Allgäu, wo er aufgewachsen ist. Ob von Erhan A. eine Gefahr ausgeht, kann niemand mit Sicherheit sagen. In einem Interview mit dem SZ-Magazin sagt er, er könne sich vorstellen, seine eigene Familie umzubringen. Außerdem findet er, man müsse Homosexuelle eigentlich töten. Gleichzeitig sagt er, er würde niemals absichtlich gegen ein deutsches Gesetz verstoßen.
Der Fall ist einer von wahrscheinlich hunderten, die Deutschland vor ein Dilemma stellen: Was macht man mit so einem Mann, der in Deutschland ein Problem ist, in der Türkei aber vielleicht ein noch größeres? Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kündigte am vergangenen Donnerstag ein neues Gesetz an: Gewaltbereite Islamisten sollen ihren Personalausweis abgeben, damit sie das Land nicht verlassen können. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) will Erhan A. aber "so schnell wie möglich" abschieben: "Im Vordergrund steht die Sicherheit in Deutschland", sagte er dem Bayerischen Rundfunk am vergangenen Freitag.
Eine Kehrtwende?
De Maizières Position ist durch eine UN-Resolution gedeckt, die nicht einmal zwei Wochen alt ist. Darin heißt es, die Staaten müssten alles in ihrer Macht stehende tun, um die Ausreise von Terroristen zu verhindern. Denn der Islamische Staat kann im Irak und in Syrien auch deswegen immer weitere Städte unter seine Kontrolle bringen, weil er massenhaften Zulauf von verwirrten jungen Männern aus dem Westen bekommt.
Allein aus Deutschland sollen über 450 Personen in den Terrorstaat gereist sein, insgesamt gibt es wohl 9000 ausländische Kämpfer, von denen 3000 aus Westeuropa stammen. Nun soll schnell ein neues Gesetz her, das es den Behörden erlaubt, Personalausweise zu konfiszieren. Damit sollen Extremisten daran gehindert werden, in Staaten wie die Türkei zu reisen: Man kommt ohne Reisepass dorthin und dann relativ leicht über die Grenze nach Syrien oder den Irak.
Der Bundesinnenminister will den Plan nicht als Kehrtwende verstanden wissen, sondern als ein neues Mittel in der Strategie, Islamisten hierzulande unter Kontrolle zu behalten. Das Landeskriminalamt Bayern gab der ARD-Sendung "Monitor" allerdings die Auskunft, die Behörden hätten in der Vergangenheit das Gegenteil versucht: Nämlich die Ausreise von radikalisierten Islamisten durch "ausländerrechtliche Maßnahmen" zu beschleunigen. Der Bundesinnenminister bestreitet das.
Problem in die Türkei verschoben
Die angekündigte Abschiebung von Erhan A. zeigt: Eine klare Linie gibt es nicht, selbst nicht in den geplanten Gesetzen des Innenministers. Auf Anfrage von n-tv.de antwortet das Ministerium mit einem Verweis auf die Absichten der möglichen Täter: Personen, bei denen "Hinweise auf eine Ausreiseabsicht sowie die Planung konkreter Gewalttaten im Ausland bestehen", sollen an der Ausreise gehindert werden. Bei anderen Gefährdern "ergreifen die Länder andere gefahrenabwehrende Maßnahmen", wozu die "Überprüfung des Aufenthaltsstaus" gehören kann – also auch die Abschiebung. Dass es aber die gleichen Menschen sind, von denen eine Gefahr im Inland und im Ausland ausgeht, darauf geht das Ministerium in seiner Antwort nicht ein. Wer in welche Kategorie fällt, ist eine Einzelfallentscheidung und scheint oft aus dem Bauch heraus beantwortet zu werden.
Die einzig erkennbare Regel für diese Zweifelsfälle ist diese: Wer deutscher Staatsbürger ist, den können die Behörden nicht abschieben. Deutsche werden also in ihrer Heimat überwacht. Erhan A. ist aber Türke. Das Problem mit der Überwachung verschiebt Bayern darum gerne in die Türkei. Der Mann werde "den Sicherheitsbehörden" übergeben, heißt es. Dass die Türkei in der Vergangenheit den Islamischen Staat im Kampf gegen die Kurden sogar unterstützte, scheint keine Rolle zu spielen.
Wo und in welcher Weise Erhan A. den Heiligen Krieg auskämpfen will, war ihm offenbar lange selbst nicht klar. Landesinnenminister Herrmann sagt: "Wer die Gewalttaten in Syrien und im Irak auch noch verherrlicht, dem müssen wir den Handlungsspielraum einschränken. In diesem Fall sage ich: Ab in die Türkei!" Damit ist Erhan A. allerdings nur eine der zwei Möglichkeiten genommen, zum Terroristen zu werden.
Quelle: ntv.de