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Heftiger Streit um Haushaltsloch Frankreich droht Sturz in die Unregierbarkeit

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Weder Bayrou (l) noch Macron gelang es, im Haushaltsstreit zwischen den politischen Lagern zu vermitteln.

Weder Bayrou (l) noch Macron gelang es, im Haushaltsstreit zwischen den politischen Lagern zu vermitteln.

(Foto: picture alliance / SIPA)

Frankreichs Premierminister stellt die Vertrauensfrage - überstehen wird er sie kaum. Es geht aber um weit mehr als um den Sturz Bayrous. Mit seinem enormen Haushaltsdefizit steht Paris nicht nur wirtschaftlich vor einem Scherbenhaufen, sondern auch politisch vor einer Katastrophe.

Die politische Lage der Fünften Republik ist so zerfahren wie vielleicht noch nie. Frankreich droht nach nicht einmal einem Jahr schon der nächsten Regierungssturz. Dann müsste Emmanuel Macron sich zum siebten Mal einen neuen Regierungschef suchen seit seinem Amtsantritt als französischer Präsident 2017. Der amtierende Premierminister François Bayrou, Vorsitzender der Mitte-Partei Mouvement démocrate, wird der Nationalversammlung am Montagnachmittag die Vertrauensfrage stellen. Das zentristische Lager von Macron und Bayrou hatte sich zuvor mit den linken und rechten Parteien im Streit über Haushaltspläne verworfen.

Bayrou plant, die immens steigende Staatsverschuldung Frankreichs durch Einsparungen in Höhe von 44 Milliarden zu dämpfen. Linke wie Rechte laufen gegen den Budgetplan Sturm. Sie kündigten bereits an, am Montag gegen den Fortbestand der Regierung zu stimmen. In der Geschichte der Fünften Republik hat ein Regierungschef noch nie eine von ihm gestellte Vertrauensfrage verloren. Eine weitere traurige Premiere. Bayrous Amtsvorgänger Michel Barnier ging als Regierungschef mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte ein. Gerade einmal drei Monate im Amt, stürzte ihn die Nationalversammlung durch ein Misstrauensvotum - ebenfalls im Streit um den Staatshaushalt.

Einem Misstrauensvotum möchte Bayrou offenbar mit seiner Offensive zuvorkommen. Die nächste Abstimmung über den Haushalt im Parlament hätte dafür eine Gelegenheit geboten. Zu großen Zugeständnissen an die anderen Parteien ist Bayrou nicht bereit. Kritiker des Premierministers mutmaßten, es sei für Bayrou nun ein geeigneter Moment, einigermaßen unbeschadet das Amt zu verlassen - um dann 2027 zum vierten Mal bei der Präsidentschaftswahl anzutreten. Bayrou dementierte die Vorwürfe in einem Interview mit RTL Frankreich. Es sei "nicht sein Ziel", das Ende der Regierung herbeizuführen, um seine Chancen im kommenden Präsidentschaftswahlkampf zu erhöhen, sagte er.

Sozialisten wollen nur 22 Milliarden Euro einsparen

An anderer Stelle betonte Bayrou, angesichts der leeren Haushaltskassen stehe "das Schicksal Frankreichs" auf dem Spiel. Sollte seine Regierung gestürzt werden, werde es zu einem Politikwechsel kommen. Die Folge wäre aus seiner Sicht eine "laxere" Politik. Die Haushaltsvorschläge der Sozialisten bedeuteten etwa, "dass wir nichts tun", um die Staatsschulden zu reduzieren. Fast allen Franzosen sei bewusst, "dass ein verschuldetes Land ein Land ist, das keine Souveränität und keine Freiheit mehr hat", so Bayrou. Die Sozialisten in hatten einen Gegenentwurf zu Bayrous Haushalt vorgelegt, der eine Reduzierung des Staatsdefizits um rund 22 Milliarden Euro vorsieht und dabei stärker als Bayrou auf höhere Steuern und weniger auf Einsparungen setzt.

Bayrou zielt mit seinem Budgetplan auf das Doppelte - 44 Milliarden will er sparen durch den Abbau von Stellen im Öffentlichen Dienst, der Senkung der Sozialausgaben und dem Einfrieren der Gehälter von Staatsbediensteten und Pensionen. Zudem sollen eine "Solidaritätsabgabe" für Gutverdiener eingeführt und zwei Feiertage abgeschafft werden. Gewerkschaften in Frankreich riefen wegen der Sparpläne der Regierung bereits zu Massenprotesten auf. Besonders die Abschaffung der Feiertage löste in Frankreich Empörung aus; zumindest diesbezüglich zeigte sich Bayrou zuletzt gesprächsbereit.

Frankreichs Schuldenstand dürfte sich in diesem Jahr auf mehr als 116 Prozent der Wirtschaftsleistung summieren. Die EU-Obergrenze liegt eigentlich bei 60 Prozent. Das alles wirkt sich negativ auf Frankreichs Kreditwürdigkeit aus, was wiederum die Schuldenaufnahme des Landes teurer macht. Während Frankreich beim Schuldenstand noch hinter Italien und Griechenland liegt, ist es bereits Spitzenreiter beim Schulden machen. In diesem Jahr wird der Staatshaushalt ein Defizit von bis zu 5,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufweisen. Das entspricht einem Fehlbetrag von rund 180 Milliarden Euro und ist das höchste jährliche Haushaltsdefizit in der EU. Selbst die drastischen und umstrittenen Sparpläne der Regierung Bayrou sehen im kommenden Jahr noch ein Defizit von 4,6 Prozent vor und erst für das Jahr 2029 wieder einen Haushalt, der das EU-Ziel von höchstens 3 Prozent jährlicher Nettoneuverschuldung einhält.

Le Pen steht wegen Urteil unter Druck

Mit diesen Problemen wird sich auch Bayrous Nachfolger an der Spitze der Regierung herumschlagen müssen. Theoretisch bliebe Macron noch die Möglichkeit, zurückzutreten. Das schließt der französische Präsident allerdings kategorisch aus. Die dritte und letzte Option wäre, Neuwahlen auszurufen. Damit schoss sich Macron jedoch bereits im vergangenen Sommer ins Knie. Durch die Neuwahl damals wurde die Nationalversammlung zersplittert in die drei etwa gleich große Lager von Zentristen, Linken und Rechten.

Unter Barniers Regierung war der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen bei der Gesetzgebung noch Zünglein an der Waage. Ihren auf Mäßigung bedachten Kurs hat Le Pen seither aber längst aufgegeben. Sie möchte den Druck auf Macron erhöhen, weil sie selbst unter Druck steht. Wegen Veruntreuung von EU-Geldern verurteilte ein Gericht sie im März zu einer Haftstrafe und dem Ausschluss von Wahlen. Le Pen fechtet das Urteil juristisch an. Für den Fall, dass sie selbst nicht zu den Präsidentschaftswahlen antreten kann, forderte sie ihren politischen Ziehsohn Jordan Bardella auf, sich auf eine Kandidatur vorzubereiten. Doch schon im Juli rückte der RN erneut ins Visier der Staatsanwaltschaft: Es gab Razzien in der Parteizentrale wegen des Verdachts auf illegale Finanzierung verschiedener Wahlkämpfe.

Die Linken wiederum sind wütend auf Macron. Der Präsident stieß sie vergangenes Jahr vor den Kopf, als er ihnen nicht den Auftrag zur Regierungsbildung gab, obwohl sie nach der Neuwahl die meisten Sitze in der Nationalversammlung gewonnen hatten. Stattdessen setzte er mit Barnier und Bayrou Vertreter seines zentristischen Lagers an die Regierungsspitze und ließ sie zeitweise mit dem RN kooperieren.

Parlamentspräsidentin fordert bessere Zusammenarbeit

Weder Macron noch seinen Premierministern ist es bislang gelungen, beim Haushaltsstreit zwischen den Parteien zu vermitteln. Dieses Problem wird sich mit einem Personalwechsel in der Führung allein nicht lösen lassen. Koalitionsbildungen wie im Deutschen Bundestag sind in der Nationalversammlung nicht üblich. Dennoch forderte Parlamentspräsidentin Yaël Braun-Pivet die Abgeordneten aller Parteien auf, künftig enger zusammenzuarbeiten. Bayrou warf sie vor, nicht früh genug in den Verhandlungen über seinen Budgetplan eingetreten zu sein. Bayrou entgegnete, dies sei nicht möglich gewesen, weil die Parteichefs noch im Urlaub gewesen seien - was wiederum mehrere von ihnen dementierten.

Es sind bereits Nachfolger für Bayrou im Gespräch, etwa der konservative Justizminister Gérald Darmanin oder Verteidigungsminister Sébastien Lecornu von Macrons Bündnis Renaissance. Aber eigentlich ist es egal, wer Frankreich regieren wird - wenn sich die politischen Lager nicht zusammenraufen, wird schnell am Stuhl des nächsten Premierministers gesägt. Am Montag droht nicht nur der Sturz Bayrous. Es droht der Sturz Frankreichs in die Unregierbarkeit.

Quelle: ntv.de

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