Plan für Verteidigungskommissar Ist von der Leyens Vorstoß ein "Wahlkampftrick"?


Von der Leyen will im Fall ihrer Wiederwahl einen Kommissar ernennen, der sich ausschließlich um Rüstung und Verteidigung kümmert.
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Die EU hat bei der Rüstungspolitik ihrer Mitgliedstaaten kaum ein Wort mitzureden. Das soll sich nach dem Willen von Kommissionspräsidentin von der Leyen ändern. Ihr Vorschlag, einen neuen Posten für einen Verteidigungskommissar zu schaffen, wirft jedoch viele Fragen auf.
Nie zuvor ist so deutlich geworden, dass die Europäer sich zusammenraufen müssen, wenn es um ihre gemeinsame Verteidigungspolitik geht. Peinlich war nicht nur das Eingeständnis, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihr Versprechen gebrochen haben, der Ukraine eine Million Schuss Artilleriemunition bis März zu liefern.
Blamabel war vor allem die Ankündigung, die Munition auf die Initiative Tschechiens hin im Ausland zu bestellen, weil die heimische Rüstungsindustrie mit der Produktion nicht nachkam. Vor der Europawahl im Juni schreiben sich mehrere deutsche Parteien auf die Fahne, die Sicherheitspolitik der EU besser koordinieren zu wollen. Allerdings gehen die Meinungen darüber auseinander, wie das Ziel erreicht werden soll.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die bei der Wahl wieder für ihr Amt antritt, brachte gemeinsam mit dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz die Idee ins Spiel, den Posten eines Verteidigungskommissars zu schaffen. "Standardisierung, gemeinsame Fertigung und Beschaffung sind die Aufgaben, die in der EU gemeinsam besser gelöst werden können als einzeln in den Mitgliedstaaten", schreiben von der Leyen und Merz in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Ein Binnenmarkt für Rüstungsgüter soll entstehen
Die Frage, wie genau die Position ausgestaltet wird, könne erst beantwortet werden, falls nach der Europawahl ein Konsens darüber bestehe, dass sie überhaupt geschaffen wird, sagt David McAllister, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament, ntv.de. Allerdings sei bereits klar, dass die Hauptaufgabe eines Verteidigungskommissars darin bestehen wird, "die nationalen Rüstungsindustrien zu koordinieren und schrittweise in einen funktionierenden Binnenmarkt für Verteidigungsgüter zu überführen", fügt der CDU-Politiker hinzu.
Dieser Binnenmarkt im militärischen Bereich sei in den vergangenen Jahren von einigen Mitgliedstaaten immer wieder ausgehebelt worden. Ein Kommissar für Verteidigung könne nicht nur gegensteuern, sondern auch eine enge Zusammenarbeit in der Verteidigungsforschung fördern. "Die EU sollte ferner die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) nutzen, um Verteidigungsunternehmen finanziell zu unterstützen, damit sie die von ihnen produzierten Systeme standardisieren und mehr gemeinsame Projekte zur Beschaffung von Verteidigungsgütern in Europa fördern können", so McAllister.
Für Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl, ist die Idee, einen Verteidigungskommissar zu ernennen, nichts Neues. Der Vorschlag ginge ursprünglich auf die Initiative ihrer Partei direkt nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zurück, sagt sie ntv.de. Von der Leyen habe das Thema während ihrer Amtszeit hingegen gemieden. Strack-Zimmermann ist davon überzeugt, dass ein solcher Kommissar "die Staaten zusammenbringen und sich darum bemühen könnte, die nationalen Armeen besser aufeinander abzustimmen." Durch die gemeinsame Beschaffung militärischen Materials könnten Synergieeffekte entstehen, die den Haushalt entlasten, sagt sie.
Barley fordert "Rat der Verteidigungsminister"
Ein bisschen skeptischer zeigt sich Katarina Barley, die als Spitzenkandidatin für die SPD bei der Europawahl ins Rennen geht, da sie an anderer Stelle Handlungsbedarf sieht. "Ein Verteidigungskommissar kann durchaus Sinn machen. Ich halte es aber zunächst für wichtiger, einen Rat der Verteidigungsminister zu schaffen", sagt Barley ntv.de. Es sei merkwürdig, dass die Verteidigungsminister der EU nicht regelmäßig tagen wie beispielsweise ihre Kollegen im Finanzressort. Die SPD fordert in ihrem Wahlprogramm langfristig gar eine europäische Armee, obwohl alle bisherigen Anläufe in diese Richtung versandet sind.
Die Vorstellungen von FDP und CDU darüber, was die EU momentan für die gemeinsame Verteidigung tun kann, sind etwas pragmatischer. Der Kommissar soll sich auf den Binnenmarkt für Rüstungsgüter konzentrieren, also auf wirtschaftliche Absprachen zwischen den Mitgliedstaaten. Wie das gebrochene Munitionsversprechen an die Ukraine zeigt, hat das in der EU bislang allerdings auch nicht funktioniert. Zu groß ist die Konkurrenz der nationalen Rüstungsindustrien. Das Problem ist, dass die EU bei der Sicherheitspolitik kaum ein Wort mitzureden hat. Verteidigung bleibt die Domäne der Länder, weil sie darin einen Eckpfeiler ihrer Souveränität sehen. Viele Experten sind sich einig, dass die EU sich zu einem europäischen Bundesstaat wandeln würde, falls sie über die gemeinsame Sicherheitspolitik bestimmen darf.
Aus diesem Grund sieht Hannah Neumann, die für die Grünen im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung im Europäischen Parlament sitzt, in der Forderung nach einem Verteidigungskommissar eine fehlgeleitete Debatte. "Einen Verteidigungskommissar brauchen wir erst dann, wenn wir die Produktion von Rüstung europäisch koordinieren, wenn wir gemeinsam einkaufen, statt uns untereinander Konkurrenz zu machen, und wenn es ein Budget gibt, mit dem all das erledigt werden kann", sagt Neumann ntv.de. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei, der die CDU im EU-Parlament angehört, sollte zunächst dafür sorgen, dass alle Länder, in denen konservative Parteien regieren, bereit sind, im Verteidigungsbereich zusammenzuarbeiten und Kompetenzen an die EU abzugeben. "Sonst bleibt der Vorschlag ein Wahlkampftrick - aber dafür ist die Lage zu ernst", so Neumann.
Verteidigungskommissar hätte kleines Budget
Tatsächlich stellt sich nicht nur die Frage nach der Befugnis, sondern auch nach dem Budget eines Verteidigungskommissars. Wie klamm der Wehretat der EU ist, zeigte der Aufrüstungsplan für Europa, den die EU-Kommission Anfang März vorstellte. Der Gesetzesvorschlag für ein Europäisches Verteidigungsindustrie-Programm setzt den EU-Mitgliedstaaten hohe Zielmarken: Bis 2030 sollen sie "mindestens 50 Prozent ihres Beschaffungsbudgets für Verteidigung innerhalb der EU" ausgeben, bis 2035 sollen es bereits 60 Prozent sein. Auch sollen sie bis 2030 mindestens 40 Prozent ihrer Verteidigungsausrüstung gemeinsam beschaffen.
Ernüchternd ist allerdings die Summe, die für die Umsetzung dieser Vorgaben innerhalb des mehrjährigen EU-Finanzrahmens bis 2028 zur Verfügung steht: 1,5 Milliarden Euro. Der kümmerliche Etat des Verteidigungskommissars beträgt insgesamt acht Milliarden Euro in diesem mehrjährigen Finanzrahmen, zumindest nach aktuellem Stand. Binnenmarktkommissar Thierry Breton forderte neulich eine wesentlich höhere Summe, um den europäischen Verteidigungsfonds aufzustocken: 100 Milliarden Euro. Dafür müsste die EU gemeinsam Schulden aufnehmen, was etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron befürwortet. Bundesfinanzminister Christian Lindner stemmt sich jedoch dagegen, auch weil er die Schuldenbremse einhalten will.
Breton ist bislang der Kommissar, der sich die Zuständigkeit für Verteidigung mit dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, teilt. Zwar wirbt Breton vehement für den europäischen Verteidigungsfonds, doch die Schaffung eines neuen Postens für einen Verteidigungskommissar lehnt er ab. "Wenn es um einen Kommissar für die Rüstungsindustrie geht, dann haben wir aus meiner Sicht schon einen", sagte Breton. Die Aussicht, einen seiner Zuständigkeitsbereiche abgeben zu müssen, stößt bei ihm auf wenig Begeisterung.
Verteidigung darf laut McAllister "nicht unter ferner liefen erfolgen"
Nach der Wahl wird das Personal in der Kommission neu gemischt. Dann entscheidet sich auch, ob Breton sein Amt behält. McAllister sieht es als Vorteil, dass der Aufgabenbereich für Verteidigung ausgegliedert werden könnte, damit sich ein Kommissar nur darauf konzentriert. "Es gilt mehr zu produzieren und in die Verteidigung zu investieren, und das schneller sowie gemeinsam als Europäer. Das muss zur Priorität gemacht werden und darf nicht unter ferner liefen erfolgen", sagt McAllister.
Zumindest könnte mit der Position ein Anfang gemacht werden, damit Verteidigungspolitik auf der Agenda der EU sichtbarer wird. Es gibt weitaus schwammigere Zuständigkeiten in der Kommission. Die europäischen Wähler können sich wahrscheinlich nur schwer vorstellen, was ein Kommissar für die "Förderung des europäischen Lebensstils" oder für "Interinstitutionelle Beziehungen und Vorausschau" genau macht. Die Relevanz eines Verteidigungskommissars liegt immerhin auf der Hand.
Quelle: ntv.de