Deutsch-türkisches Flüchtlingskarussell Merkel gelingt ein Durchbruch - mit Makeln
08.03.2016, 11:02 Uhr
Flüchtlingslager in der Türkei gelten als gut organisiert. Doch bisher finden darin nur wenige Platz und sie stehen nicht unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention.
(Foto: REUTERS)
Die Türkei legt der EU ein Angebot vor, das die illegale Migration über das Mittelmeer tatsächlich verringern könnte. Denn im Kern des vorgeschlagenen Mechanismus steht der Eigensinn der Flüchtlinge.
Auf den ersten Blick wirkt der Vorschlag der Türkei genial. Kein Wunder also, dass Kanzlerin Angela Merkel von einem "Durchbruch" spricht und EU-Ratspräsident Donald Tusk die "Tage irregulärer Einwanderung" für beendet erklärt. Doch wenn sich die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem nächsten Gipfel Mitte März auf Ankaras Flüchtlings-Offerte einlassen sollten, wäre das wohl nur genial pragmatisch.
Im Kern von Ankaras Offerte steht ein einfacher Mechanismus, der enorm effizient sein könnte, weil er auf der wohl größten menschlichen Schwäche beruht: dem Eigensinn.
Die Türkei erklärt sich bereit, alle Flüchtlinge, die illegal über das Mittelmeer nach Griechenland kommen, zurückzunehmen. Die EU muss dafür die Reisekosten plus sechs Milliarden Euro bis zum Jahr 2018 für die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei zahlen. Der entscheidende Punkt an Ankaras Angebot: Die EU soll darüber hinaus für jeden von Ankara zurückgenommenen syrischen Flüchtling einen anderen syrischen Flüchtling auf legalem Wege nach Europa holen.
Das klingt zunächst bestenfalls nach einem Nullsummenspiel, ist es aber nicht. Erstens, weil die EU im Sinne von Ankaras Vorschlag nur Syrer wieder aufnehmen muss. Flüchtlinge aus Irak, Afghanistan oder Pakistan behält die Türkei und versucht (sofern das möglich und zumutbar ist), sie über Rücknahmeabkommen in ihre Herkunftsländer zurückzubringen. Zweitens wäre der Deal kein Nullsummenspiel, weil die Zahl der Syrer, die über das Mittelmeer kommen, drastisch sinken dürfte. Hier kommt der Eigensinn ins Spiel. Wer versucht hat, illegal das Mittelmeer zu überqueren, soll geringere Chancen haben, über ein legales Kontingent nach Europa zu kommen. Es gilt: Wer brav abwartet, kommt vielleicht nach Europa. Wer sich über die Regeln hinwegsetzt, hat auf keinen Fall eine Zukunft im verheißenen Land.
Der Plan höhlt die Genfer Flüchtlingskonventionen aus
Zumindest in der Theorie könnte das Schleppertum zwischen türkischer Küste und den griechischen Inseln unrentabel werden und letztlich zum Erliegen kommen. Der Preis dafür ist aber viel höher als ein paar Milliarden Euro.
Ein Sprecher von Amnesty International sagte dem britischen "Guardian", dass der Vorschlag Ankaras es durchaus wert wäre, genau untersucht zu werden. Er verwies aber darauf, dass die Rechte von Flüchtlingen in der Türkei nicht gesichert seien. Menschen dorthin zurückzuschicken, sei hochproblematisch.
Ankara hat die Genfer Flüchtlingskonvention nur unter Vorbehalt ratifiziert. Uneingeschränkt gilt sie nur für Menschen aus dem Westen, also ausgerechnet nicht für Flüchtlinge, die aus Syrien und anderen Staaten des Nahen Ostens kommen. Zwar geht es Flüchtlingen in der Türkei kaum schlechter als in einigen EU-Staaten. Klar ist aber: Ein solcher Deal mit Ankara würde die so bedeutsamen Genfer Flüchtlingskonvention aushöhlen.
Ein System der Diskriminierung
Von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl heißt es: "Dies ist ein teuflischer Vorschlag, der Menschenleben gegeneinander ausspielt." Hätte der Plan Erfolg, würde Europa sich verstärkt um syrische Flüchtlinge kümmern, schutzsuchende Menschen anderer Nationalität hätten keine Chance mehr auf ein Leben auf dem Kontinent. Die individuellen Fluchtgründe würden keine Rolle mehr spielen. Für Iraner, Afghanen und Iraker, die über die Türkei fliehen, wäre es nicht mehr möglich, Asyl in Europa zu beantragen. Nicht-Syrer würden laut Pro Asyl auf eine Art diskriminiert, die kaum mit europäischen Werten vereinbar ist.
Die ganze Tragweite des möglichen Deals wird erst deutlich, wenn man, wie es Merkel so gern postuliert, die Sache vom Ende her denkt. Bisher setzte die CDU-Politikerin auf den Schutz der Außengrenzen der EU und feste Flüchtlingskontingente aus der Türkei. Das Ergebnis wäre eine gerechte Lastenteilung. Im Vorschlag Ankaras ist von festen Kontingenten keine Rede mehr. Denkt man nun vom Ende her und geht davon aus, dass sich eines Tages kein Flüchtling in der Türkei mehr auf den Weg nach Europa macht, weil er ohnehin zurückgeschickt werden würde, müsste Europa auch keine Flüchtlinge auf legalem Wege mehr aufnehmen. Die perfekte Abschottung Europas.
Dass die Türkei nun schon im Juni statt im Oktober Visafreiheit für ihre Bürger fordert, obwohl die Voraussetzungen dafür noch längst nicht erfüllt sind, lässt sich wohl auch nur aus pragmatischen Gesichtspunkten rechtfertigen. Gleiches gilt für den Wunsch Ankaras, den Beitrittsprozess zur EU zu beschleunigen. Mit einer verbesserten Menschenrechtslage oder gestärkten Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten ließe sich dieser Schritt sicher nicht begründen.
Quelle: ntv.de