"Präsident und Familie verstrickt" Moskau wirft Erdogan Ölgeschäfte mit IS vor
02.12.2015, 18:44 Uhr
Das russische Verteidigungsministerium präsentiert Satellitenaufnahmen, die illegale Öl-Transporte zeigen sollen.
(Foto: AP)
Der Streit um den von der Türkei abgeschossenen russischen Kampfjet eskaliert. Moskau wirft dem türkischen Präsidenten und seiner Familie nun vor, persönlich in den Ölhandel mit dem IS verstrickt zu sein. Erdogan fordert Beweise.
Russland hat im Konflikt mit der Türkei Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan persönlich Verwicklungen in den Ölhandel mit der Terrormiliz IS vorgeworfen. "Hauptabnehmer des vom Islamischen Staat in Syrien und im Irak gestohlenen Erdöls ist die Türkei", sagte Vizeverteidigungsminister Anatoli Antonow in Moskau. "Nach vorliegenden Angaben ist die politische Führung des Landes, Präsident Erdogan und seine Familie, auch verwickelt." Der "Zynismus der türkischen Regierung" sei "grenzenlos", sagte Antonow.
Er verwies darauf, dass Erdogans Sohn Bilal eines der größten Energieunternehmen der Türkei leitet und sein Schwiegersohn, der Geschäftsmann Berat Albayark, Energieminister ist. "Was für ein wunderbares Familienunternehmen!", fügte er hinzu. Der Handel mit Rohöl ist eine der Haupteinnahmequellen der IS-Dschihadisten.
Antonow sagte, schon einmal hätten türkische Journalisten Erdogan beim Lügen ertappt, als türkische Waffenlieferungen unter dem Deckmantel von humanitärer Hilfe aufgedeckt wurden. Diese Journalisten seien dafür ins Gefängnis gekommen. "Die Chefs werden nicht zurücktreten, auch Herr Erdogan nicht, und niemand wird etwas zugeben, auch wenn Flecken des gestohlenen Öls auf ihren Gesichtern zu sehen sein würden."
Erdogan spricht von Verleumdung
Erdogan ging bei einem Besuch in Katars Hauptstadt Doha nicht auf die Vorwürfe gegen seine Person und seine Familie ein. Er kündigte aber erneut seinen Rücktritt an, sollte Moskau beweisen, dass die Türkei IS-Öl beziehe. Niemand habe das Recht, solche Anschuldigungen zu erheben, sagte er. "Diejenigen, die solche Verleumdungen betreiben, müssen sie beweisen. Sobald sie sie beweisen, werden ich nicht einmal eine Minute länger auf diesem Präsidentensitz bleiben." Sollte es keine Beweise geben, "sollten diejenigen, die diese Verleumdungen betreiben, zurücktreten".
Derweil hat die US-Armee die Vorwürfe Russlands zurückgewiesen, wonach Erdogan in illegalen Ölhandel mit dem IS verstrickt ist. "Das ist grotesk", sagte der Sprecher der US-Armee im Irak Steven Warren. "Wir weisen strikt jeden Gedanken daran zurück, dass die Türkei in irgendeiner Weise mit dem IS zusammenarbeitet."
Der Konflikt zwischen Moskau und Ankara eskaliert seit dem Abschuss des russischen Bombers in der vergangenen Woche. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Montag gesagt, die Türkei habe das Flugzeug im Grenzgebiet zu Syrien abgeschossen, um Öl-Lieferrouten des IS in das Land zu schützen. Ankara hatte den Abschuss damit gegründet, dass das Flugzeug den türkischen Luftraum verletzt habe.
Russland beschloss daraufhin ein Bündel von Strafmaßnahmen gegen die Türkei, die zum neuen Jahr in Kraft treten sollen. Erdogan kündigte zunächst an, dass Ankara auf Russlands "emotionale" Reaktionen nicht auf gleiche Weise reagieren werde. Sollten diese Reaktionen aber andauern, sehe er sich gezwungen, eigenen Maßnahmen zu ergreifen.
Kämpfer, Munition, Fahrzeuge
Laut Russlands Vize-Generalstabschef Sergej Rudskoi hat Moskau mit Hilfe von Satellitenaufnahmen die drei wichtigsten Wege für IS-Öl in die Türkei ermittelt. An der Grenze würden Tanklaster unkontrolliert von türkischen Behörden in das Land gelassen, sagte Rudskoi.
Der Chef des Nationalen Verteidigungszentrums Russlands, Sergej Misinzew, sagte: "Allein in der vergangenen Woche wurden vom Territorium der Türkei rund 2000 Mann, mehr als 120 Tonnen Munition und knapp 250 Fahrzeuge für den IS und Al-Nusra nach Syrien geschmuggelt."
Der russische Außenminister Sergej Lawrow kündigte ein Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu an. "Wir werden uns anhören, was er zu sagen hat", sagte Lawrow bei einem Besuch in Zypern. Das Gespräch soll demnach am Rande eines Treffens der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa am Donnerstag und Freitag in der serbischen Hauptstadt Belgrad stattfinden. Er entspreche damit einer Bitte Ankaras, so Lawrow.
Ankara will Grenze abriegeln
Im Kampf gegen den IS ist die Türkei nach Angaben von US-Außenminister John Kerry zu einer vollständigen Abriegelung der Grenze nach Syrien bereit. "Es gibt einen 98-Kilometer-Abschnitt der Grenze, der noch geschlossen werden muss", sagte Kerry in Brüssel. Erdogan habe zugesagt, diesen Sektor abzuriegeln.
Der betroffene Grenzabschnitt wird auf der syrischen Seite vom IS kontrolliert. "Es ist genauso im Interesse der Türkei, die Bewegung von illegal transportiertem Öl oder den Übergang ausländischer Kämpfer in die eine oder die andere Richtung abzuriegeln", sagte Kerry. "Ich bin zuversichtlich, dass die Türkei versteht, wie wichtig das sein wird."
Quelle: ntv.de, hul/AFP/dpa