Nach russischer Eskalation Özdemir will Stopp von Nord Stream 2 durchsetzen
22.02.2022, 11:45 Uhr
"Spätestens jetzt ist doch der Zeitpunkt da, dieses Projekt auf Halt zu stellen und deutlich zu machen: Jetzt bitte alle Schalter umstellen auf erneuerbare Energien", sagte Özdemir.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die umstrittene Gas-Pipeline muss nach Russlands Eskalationsschritten vor dem Aus stehen. So sieht es Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir. Aber auch Kiew und weitere deutsche Politiker reagieren auf Putins Panzer in der Ostukraine.
Nach der Ankündigung einer russischen Truppenentsendung in die Ostukraine hat sich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nachdrücklich für einen Stopp der russisch-deutschen Erdgasleitung Nord Stream 2 ausgesprochen. "Das war immer unsere Position, daran hat sich nichts geändert", sagte der Grünen-Politiker im Deutschlandfunk. "Das müssen wir in der Bundesregierung gemeinsam durchsetzen. Ich hoffe, dass auch unsere Koalitionspartner das nicht anders sehen. Spätestens jetzt ist doch der Zeitpunkt da, dieses Projekt auf Halt zu stellen und deutlich zu machen: Jetzt bitte alle Schalter umstellen auf erneuerbare Energien."
Die deutsche Energie-Abhängigkeit von autoritären Herrschern wie Russlands Präsidenten Wladimir Putin und anderen müsse generell enden. "Wo kommen denn die fossilen Energieträger her? Da sind doch so gut wie keine Demokratien darunter", erklärte er. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Moskau gedroht, dass im Falle eines russischen Einmarschs alle Sanktionsmöglichkeiten auf dem Tisch lägen, und damit angedeutet, dass auch ein Stopp von Nord Stream 2 anstehen könnte, ohne dies allerdings ausdrücklich zu sagen.
Zugleich vermisste Özdemir in Deutschland Proteste gegen Putins Vorgehen gegen das Nachbarland. "Ich wundere mich auch etwas darüber, dass ich so wenig Demonstranten sehe, die gegen Herrn Putin protestieren. Ich erinnere mich noch an den Irakkrieg und viele andere Dinge - bei manchen scheint es so zu sein, dass Menschenrechtsverletzungen immer nur dann zählen, wenn die Amerikaner involviert sind." Anlässe für Proteste gegen Putin habe es schon lange gegeben: bei der Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim, beim Abschuss des niederländischen Passagierflugzeugs über der Ostukraine oder beim Vorgehen Putins in Russland selbst.
Selenskyj: "Sofortiger" Stopp von Nord Stream 2
Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj hat den "sofortigen" Stopp der Ostseepipeline Nord Stream 2 ebenfalls gefordert. Angesichts des "neuen aggressiven Handelns gegen die Ukraine" müssten sofort Sanktionen verhängt werden, sagte Selenskyj. "Diese Sanktionen müssen den vollständigen Stopp von Nord Stream 2 umfassen."
Aus Kiew heißt es weiter, dass die Regierung strikte Sanktionen gegen Moskau einfordert. Er arbeite mit westlichen Verbündeten "intensiv daran, dass harte Sanktionen" gegen Russland verhängt werden, erklärte Außenminister Dmytro Kuleba. Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, wertet die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin als klare und unmissverständliche Botschaft an die Ukraine und den gesamten Westen. "Das war eindeutig eine Kriegserklärung, eine offene Ansage. Und nicht nur an die Ukraine", so Melnyk im "Frühstart" bei RTL und ntv. Es handele sich um eine "neue Ansage" an die freie Welt. "An die Bundesrepublik, an ganz Europa, dass man endlich aufwachen muss und nicht blauäugig sein sollte."
"Kreml drängt Welt an Rand eines neuen Weltkrieges"
Der Ex-Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, hat die Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk durch Russland aufs Schärfste verurteilt. Mit der kriminellen Entscheidung "drängt der Kreml die Welt an den Rand eines neuen Weltkrieges", schrieb Poroschenko bei Facebook. "Putin hasst unsere Souveränität so sehr, ihn "schmerzt" unsere Unabhängigkeit so sehr, er möchte so sehr keinen Erfolg von uns sehen, dass er zu jedem Wahnsinn bereit ist." Diese Entscheidung des Nachbarlandes könne man nur als "Wahnsinn" bezeichnen, schrieb Poroschenko, der 2015 als Staatsoberhaupt den Friedensplan für die Ostukraine mit ausgehandelt hatte.
Der scheidende Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz schließt sich Poroschenkos Ausführungen an. Er sieht eine neue und gefährliche Ära kommen. "Dieser Tag wird lange als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem die Hoffnung und der Traum einer europäischen Architektur auf der Grundlage der Charta von Paris endgültig zu Ende gegangen ist", schrieb Wolfgang Ischinger auf Twitter. Eine neue und gefährlichere Ära stehe nun bevor.
Ischinger bezog sich damit auf einen Tweet des russischen Politologen Dmitri Trenin, wonach die Anerkennung von Donezk und Luhansk durch Moskau eine wichtige Grenze überschreite. Die Charta von Paris sollte nach der Wiedervereinigung Deutschlands im November 1990 das Ende der Ost-West-Konfrontation besiegeln. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Montagabend die Unabhängigkeit der ostukrainischen "Volksrepubliken" von Donezk und Luhansk anerkannt. Der Kremlchef ordnete auch eine Entsendung russischer Soldaten in die Ostukraine an. Die EU und die USA kündigten umgehend Sanktionen an. Washington verhängte bereits am Montag Strafmaßnahmen gegen die Separatisten-Gebiete.
Nouripour: Schrittweise schauen, was Russland tut
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verurteilte den Schritt als "eklatanten Bruch des Völkerrechts". "Wir fordern Russland auf, die Entscheidung rückgängig zu machen, und auf den Weg der diplomatischen und politischen Konfliktlösung im Sinne der Minsker Vereinbarungen zurückzukehren." "Wir werden auf diesen Völkerrechtsbruch reagieren", erklärte Baerbock offenbar mit Blick auf mögliche Sanktionen. "Dazu stimmen wir uns mit unseren Partnern ab."
Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour hat sich für schrittweise Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. "Nach meinem Wissen wird auch Deutschland darauf wirken, dass es neue Sanktionsstufen gibt. Aber es kann nicht alles auf einmal auf den Tisch kommen, sondern man muss Schritt für Schritt schauen, was die russische Seite macht", sagte Nouripour im Inforadio des RBB. Wenn die Situation besser werde, müsse man natürlich auch bereit sein, die Sanktionen wieder aufzuheben. Konkrete Vorschläge machte er nicht.
Union: Belastungstest bestehen, sonst dauerhaft Unfrieden in EU
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, betonte, dass eine diplomatische Lösung nun schwieriger werde. Der einzig verbleibende Rahmen für Verhandlungen um die Ostukraine sei einseitig durch Russland gesprengt worden. "Aber dennoch sollten wir versuchen, die Parameter des Minsker Abkommens mit den Russen zu besprechen. Wenn nicht, wenn die Russen weiter einseitig Tatsachen schaffen, bleibt uns nichts anderes übrig, als mit Sanktionen zu reagieren", sagte er im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Er hält trotz der Eskalation des Konflikts durch Russland um die Ostukraine am Nein zu Waffenlieferungen an die Regierung in Kiew fest. "Ich bin dafür, dass die Bundesregierung ihre Haltung nicht ändert", sagte Schmid weiter. "Wir sollten weiterhin keine letalen Waffen an die Ukraine liefern."
Der außenpolitische Sprecher der Union, Jürgen Hardt, sieht in der Anerkennung und Besetzung der sogenannten Volksrepubliken durch Russland "einen schwerwiegenden Bruch des Völkerrechts". "Anders als 2014, nach der Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine durch Russland, muss es nun zu einer unzweideutig harten und raschen Sanktionspolitik kommen", sagt der CDU-Politiker. "Wenn der Westen diesen Belastungstest nicht besteht, wird es dauerhaft Unfrieden in Europa geben."
Quelle: ntv.de, ysc/dpa/AFP/rts