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Neue Mehrheiten in Paris Alle Daten zur Frankreich-Wahl

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"Ich vertraue auf die Fähigkeit des französischen Wahlvolks, die beste Wahl für sich und für die künftigen Generationen zu treffen", sagte Macron am Abend der Europawahl.

"Ich vertraue auf die Fähigkeit des französischen Wahlvolks, die beste Wahl für sich und für die künftigen Generationen zu treffen", sagte Macron am Abend der Europawahl.

(Foto: picture alliance / Bildagentur-online)

Richtungsentscheidung in Frankreich: Staatspräsident Macron erzwingt vorgezogene Parlamentswahlen, der erwartete Rechtsruck bleibt aus. Wie sehen die Mehrheitsverhältnisse in Frankreich nach dem zweiten Wahlgang aus? Karten, Daten und Infografiken zum Wahlausgang.

Überraschendes Wahlergebnis in Frankreich: Eine Woche nach dem ersten Wahlgang verschiebt sich die Machtbalance in der französischen Nationalversammlung nach links. In Runde zwei der vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich steigt das erst vor wenigen Wochen geschmiedete Linksbündnis unerwartet deutlich zur neuen stärksten Kraft auf, gefolgt von Macrons Mitte-Lager und Marine Le Pens Rechten auf Platz drei.

Laut vorläufigem amtlichen Auszählungsergebnis erreichte das Linksbündnis "Nouveau Front Populaire" (NFP, auch "Union de la Gauche", UG) im zweiten Wahlgang 178 der insgesamt 577 Sitze im Parlament. Die rechtsnationale "Rassemblement National" (RN) landete im entscheidenden Wahlgang mit 125 Mandaten - anders als nach dem ersten Wahlgang allgemein erwartet - nur auf dem dritten Platz hinter dem Mitte-Lager ("Ensemble") von Staatspräsident Emmanuel Macron, das künftig 150 Abgeordnete in der Nationalversammlung stellt.

Hinweis: Die Infografiken zum zweiten Wahlgang der Parlamentswahl 2024 werden laufend aktualisiert.

Die Auszählung der Stimmen zog sich bis in die Nacht. Das französische Innenministerium veröffentlichte das vorläufige amtliche Endergebnis in den frühen Morgenstunden gegen 02.00 Uhr. Zuletzt war der Wahlausgang allerdings nur noch in einzelnen Auslandswahlkreisen offen. Der Wahlausgang selbst mit dem überraschenden Sieg der Grünen und Linken hatte sich bereits am Wahlabend In den Hochrechnungen französischer TV-Sender deutlich abgezeichnet.

Das Linksbündnis NFP ist in Frankreich neue stärkste Kraft, Le Pens Rassemblement (RN) bleibt von der angestrebten absoluten Mehrheit weit entfernt. Die maßgebliche Schwelle liegt bei 289 Sitzen. Das regierende Mitte-Lager rund um Macrons "Ensemble" geht unerwartet solide als zweitstärkste Kraft aus der kurzfristig angesetzten Neuwahl hervor.

Hinweis: Diese Frankreich-Karte zeigt alle Wahlkreise, in denen der Gewinner nach der Auszählung der Stimmen bereits feststeht.

Keines der drei großen Lager verfügt nach der Wahl über die absolute Mehrheit. Die Frage der Regierungsbildung dürfte Frankreich daher noch weiter beschäftigen. Welches Parteienbündnis die künftige Regierung stellen wird, ist noch weitgehend offen. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron werde abwarten und die sich endgültige Zusammensetzung der Nationalversammlung anschauen, teilte der Élysée-Palast am Wahlabend mit.

"Die Frage wird sein, ob eine Koalition mit Zusammenhalt gebildet werden kann, um die 289 Abgeordneten zu erreichen", hieß es mit Blick auf die für eine absolute Mehrheit erforderliche Zahl von Abgeordneten. Diese Schwelle erreichten weder das Linksbündnis, noch Macrons Ensemble oder Marine Le Pens Rechte. Zusätzlich erschwert werden dürfte die Regierungsbildung durch die tiefen Gräben in der französischen Parteienlandschaft. Macron hatte eine Koalition mit den Linken im Vorfeld der Wahl ausdrücklich ausgeschlossen.

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Durch die Wahl kommt in Frankreich einiges in Bewegung: Führende Vertreter von Macrons "Ensemble" räumten die neu verschobenen Machtverhältnisse noch am Wahlabend ein. Frankreichs Premierminister Gabriel Attal kündigte mit Blick auf den Überraschungssieg des Linksbündnisses bereits seinen Rücktritt an. Das Mitte-Lager verfüge über keine Mehrheit mehr, teilte er nach Bekanntwerden erster Hochrechnungen mit.

Attal fügte aber hinzu, dass er angesichts der anstehenden Olympischen Spiele in Frankreich bereit sei zu bleiben, "so lange die Pflicht es erfordert". Es steht Präsident Macron offen, den Rücktritt von Attal anzunehmen oder nicht. Macron könnte das Kabinett auch als geschäftsführende Regierung während der Olympischen Spiele vorläufig im Amt belassen. Das sportliche und organisatorische Großereignis endet am 11. August.

Das Regierungslager muss vorerst ohne relative Mehrheit im Parlament auskommen. Bisher war Macron-Lager mit 250 Sitzen in der Nationalversammlung noch stärkste Kraft. Die Auflösung der Nationalversammlung sei notwendig gewesen, hieß es aus Macrons Umfeld. Dies habe unter anderem auch die auffallend hohe Wahlbeteiligung gezeigt, zitierten französische Medien Quellen im Élysée-Palast. "Man hatte das Mitte-Lager für tot erklärt: Es ist da, auch nach sieben Jahren an der Macht."

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Möglich wurde der überraschende Wahlsieg der Grünen und Linken durch wahltaktische Absprachen der gemäßigteren Parteien. Das links-grüne NFP-Bündnis und Macrons "Ensemble" hatten vor der Stichwahl in mehr als 200 Wahlbezirken ihre jeweiligen Kandidaten zurückgezogen, um den Durchmarsch der Rechtspopulisten gemeinsam zu verhindern. Diese Strategie ging offensichtlich auf.

Frankreich muss sich dennoch auf eine Zeit der politischen Instabilität einstellen: Die drei Lager könnten sich in der Nationalversammlung gegenseitig blockieren, die Regierung lähmen und das Land in politische Krisen stürzen. Die französischen Linken sind mit dem Macron-Lager verfeindet, und auch intern ist das Linksbündnis alles andere als geschlossen.

Der frühere Parteichef der linkspopulistischen Partei "La France Insoumise" (LFI) Jean-Luc Mélenchon erhob noch am Wahlabend Anspruch auf die Regierungsbildung. "Die Neue Volksfront ist bereit zum Regieren", sagte er. Premier Attal müsse gehen. LFI bildet innerhalb des Bündnisses die größte Gruppe, Mélenchon ist bei den anderen beteiligten Parteien aber unerwünscht. "Wir haben gewonnen", skandierten die Unterstützer des links-grünen Bündnisses.

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Im ersten Wahlgang am 30. Juni hatte Marine Le Pens rechtsnationalistische Sammelbewegung "Rassemblement National" (RN) in vielen Wahlkreisen deutlich zugelegt. Die meisten Beobachter waren vor diesem Hintergrund davon ausgegangen, dass sich dieser Rechtsruck im zweiten Wahlgang bestätigen würde.

Gemessen an den prozentualen Stimmanteilen können Le Pens Rechte deutliche Gewinne verbuchen. Landesweit gingen laut vorläufigem Auszählungsergebnis 32 Prozent der abgebenen Stimmen an die Rechtsnationalen. Im ersten Wahlgang hatte die RN-Partei zusammen mit ihren Verbündeten insgesamt 35,8 Prozent der Stimmen erhalten. Auf die RN selbst entfielen am vergangenen Sonntag im ersten Wahlgang 29,3 Prozent.

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Das Linksbündnis "Nouveau Front Populaire" (NFP/UG) kam im ersten Wahlgang auf 27,99 Prozent und im zweiten auf 25,7 Prozent. Das "Ensemble"-Lager der Mitte um Präsident Emmanuel Macron landete mit einem Stimmanteil von 20,04 Prozent im ersten Wahlgang und mit 23,1 Prozent im zweiten prozentual jeweils nur auf Platz drei.

Frankreichs Konservative um "Les Républicains"-Chef Éric Ciotti (LR) konnten im ersten Wahlgang 6,6 Prozent der Stimmen verbuchen, in der Stichwahl waren es unterm Strich 5,4 Prozent. Die Besonderheiten des französischen Wahlsystems führen dazu, dass nur die vor Ort gewählten Kandidaten aus den Wahlkreisen ins Parlament einziehen und die übrigen Stimmen der Zweit-, Dritt- oder und Viertplatzierten bei der Zusammensetzung der Nationalversammlung keine gesonderte Rolle mehr spielen.

Per Direktwahl fest vergeben wurden in der ersten Runde am 30. Juni 2024 die Sitze in 76 der 577 Wahlkreise. In diesen Stimmbezirken hatten die Gewinner jeweils gleich im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der lokalen Stimmen erhalten. Das Gros dieser früh entschiedenen Wahlkreise entfiel dabei auf den RN (37 Sitze) und das Linksbündnis (32 Sitze).

Damit war die Entscheidung in 501 der 577 Wahlkreise bis zur Stichwahl noch offen. Wie viele Abgeordnete die jeweiligen Blöcke und Bündnisse in die französische Nationalversammlung entsenden können, entschied sich somit in der Masse der Wahlkreise erst im zweiten Wahlgang am Sonntag, 7. Juli mit dem maßgeblichen Votum zur Neubesetzung des französischen Parlaments.

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Die meisten Kandidatinnen und Kandidaten in den 501 noch nicht entschiedenen Wahlkreisen stellt mit 386 der RN, obwohl sich vom Linksbündnis UG sogar 412 Bewerberinnen und Bewerber für Runde zwei qualifiziert hatten. Allerdings zog UG vor der zweiten Runde insgesamt 131 Kandidaturen zurück - aus den erwähnten wahltaktischen Gründen.

Ziel dieser taktischen Rückzüge war es, eine Zersplitterung der Stimmen im Anti-RN-Lager zu verhindern, indem möglichst nur ein Kandidat gegen den jeweiligen RN-Bewerber antritt. Aus Macrons "Ensemble"-Lager zogen 76 Bewerber ihre Kandidatur zurück. Der RN überredete hingegen lediglich drei Bewerberinnen, auf ihre Chancen im zweiten Wahlgang zu verzichten. Entsprechende Absprachen zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang sind bei Wahlen in Frankreich üblich.

Hinweis: Diese Frankreich-Karte zeigt die Ergebnisse aus dem ersten Wahlgang mit allen Wahlkreisen, in denen der Gewinner bereits nach der ersten Wahlrunde feststand.

Insgesamt wurden in 89 der 501 noch offenen Wahlbezirke nach dem ersten Wahlgang Kandidatinnen und Kandidaten zurückgezogen. Dadurch kam es in Runde zwei in 409 Wahlbezirken zu einem Duell zweier Kandidaten. In 89 Wahlbezirken traten drei Bewerberinnen gegeneinander an, in zwei Wahlbezirken waren es sogar vier.

In 222 Wahlbezirken ging der RN-Kandidat als Sieger der ersten Runde in die Entscheidungswahl. In 37 weiteren Wahlbezirken war eine Bewerberin der Union der extremen Rechten am stärksten. Das Linksbündnis UG war in Runde 1 in 124 Wahlbezirken stärkste Kraft geworden, "Ensemble" in 60 Wahlbezirken.

Insgesamt waren in den beiden Wahlgängen rund 49 Millionen Wahlberechtigte dazu aufgerufen, ihre Stimme zur Neubesetzung der französischen Nationalversammlung abzugeben. In den letzten Umfragen in den Tagen vor der Wahl ragte der rechtspopulistische RN als Favorit deutlich heraus.

Der Wahlsieg von Marine Le Pens Partei schien unausweichlich, insbesondere nach dem starken Abschneiden der RN-Kandidaten bei der zurückliegenden Europawahl. Viele Beobachter hielten es sogar für möglich, dass Frankreichs Rechte die absolute Mehrheit von 289 der 577 Sitze in der Nationalversammlung erreichen könnten.

Die politische Polarisierung in Frankreich führte offenbar zu einer ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung: Bei der Stichwahl am 7. Juli machten vorläufigen Angaben zufolge rund 67 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Damit verzeichnete die Wahlleitung die höchste Wahlbeteiligung seit Jahrzehnten.

Das unerwartet schwache Abschneiden der Rechten bringt die Spitzenkandidaten in Erklärungsnot: RN-Chef Jordan Bardella zeigte sich am Wahlabend erbost: Er prangerte mit Blick auf das Linksbündnis und das Regierungslager ein "Bündnis der Schande" an, das die Franzosen einer "Politik des Aufschwungs" beraubt habe. Der RN sei mehr denn je die "einzige Alternative".

Hinweis: Diese Frankreich-Karte zeigt Ergebnisse des ersten Wahlgangs vom 30. Juni 2024.

Marine Le Pen betonte, der Sieg ihrer Partei sei "nur aufgeschoben". "Ich habe zu viel Erfahrung, um von einem Ergebnis enttäuscht zu sein, bei dem wir unsere Anzahl an Abgeordneten verdoppeln", sagte Le Pen, die bei der nächsten Präsidentschaftswahl erneut als Kandidatin antreten will. Die Konservativen, die sich teils für eine Unterstützung des RN ausgesprochen hatten, kamen nur auf 57 bis 67 Sitze.

Das Linkbündnis NFP - das in den Daten des französischen Innenministerium als UG geführt wird - feiert sich als großer Wahlgewinner. Linkspopulisten, Sozialisten, Kommunisten und Grüne hatten sich vor der ersten Runde der Parlamentswahl trotz vieler Differenzen überraschend zu diesem Bündnis zusammengetan. Auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Premierministers konnten sie sich aber nicht einigen.

Sozialisten-Chef Olivier Faure sprach sich ausdrücklich gegen eine mögliche "Koalition" mit dem Regierungslager aus. "Die Neue Volksfront muss diese neue Seite unserer Geschichte in die Hand nehmen", sagte Faure. Er betonte, dass die Rentenreform, die das Rentenalter auf 64 Jahre angehoben hatte, abgeschafft werden solle. "Es ist an der Zeit, die Superreichen und die Supergewinne zu besteuern", erklärte er. Der Linkspolitiker Raphaël Glucksmann forderte alle zum Dialog und zur Diskussion auf.

Die Umfragen vor dem ersten Wahlgang hatten bereits großflächige Verschiebungen in Frankreich angedeutet: Die kurzfristig angesetzten Neuwahlen versetzten die politische Landschaft in Aufruhr. Staatspräsident Macron wollte mit dem überraschenden Schritt auf das schwache Ergebnis seiner Partei bei den Europwahlen reagieren. Nach der krachenden Niederlage seines Mitte-Lagers bei der Europawahl dürfte die Lage jetzt allerdings nicht unbedingt einfacher sein.

Die Herausforderungen Frankreichs erforderten Klarheit und die Franzosen verdienten Respekt, hatte Macron seine überraschende Entscheidung am Abend der Europawahl begründet. "Ich kann also am Ende dieses Tages nicht so tun, als ob nichts geschehen wäre", sagte er mit Blick auf die Ergebnisse der Europawahl und seine Entscheidung, Neuwahlen zur Nationalversammlung einzuleiten.

"Ich vertraue auf die Fähigkeit des französischen Wahlvolks, die beste Wahl für sich und für die künftigen Generationen zu treffen." Macrons "Renaissance"-Partei hatte bei der Europawahl am 9. Juni eine heftige Wahlschlappe erlitten. Als Teil des Mitte-Bündnisses "Besoin d'Europe" (BE) - bestehend aus Renaissance, den "Ensemble"-Parteien und der Union der Demokraten (UDI, "Union des démocrates et indépendants" - erreichte er mit BE nur 14,6 Prozent der Stimmen.

577 Wahlkreise, 577 Sitze

Das französische Parlament setzt sich aus zwei Kammern zusammen: Dem Senat und der Nationalversammlung, wobei die aktuellen Neuwahlen nur die Nationalversammlung betreffen. Die Volksvertretung umfasst 577 Sitze. Gewählt wurde in entsprechend vielen Wahlkreisen nach französischem Mehrheitswahlrecht in zwei Wahlgängen.

Kandidaten, die bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit - also mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen erreichten, mussten nicht mehr in die Stichwahl - sofern sie im ersten Wahlgang mehr als ein Viertel der Stimmen ihres Wahlkreises verbuchen konnten.

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In Wahlkreisen, in denen keiner der angetretenen Bewerber über diese Schwelle kam, folgte eine Woche später der zweite Wahlgang: Hier traten dann jeweils die beiden Bestplatzierten aus der ersten Runde gegen all jene Wahlkreiskandidaten an, die im ersten Wahlgang mehr als ein Achtel der Stimmen erhielten.

In der Regel einigen sich die Parteien vor dem zweiten Wahlgang aber auf gemeinsame Kandidaten, sodass meist nicht mehr als drei Bewerber je Wahlkreis antreten. Das Mandat gewinnt, wer die meisten Stimmen bekommt.

Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa

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