Wirklich den IS bombardiert? Russlands Syrien-Angriffe erzürnen USA
30.09.2015, 19:13 Uhr
Am Rande der UN-Generalversammlung sprechen die Außenminister Kerry (l.) und Lawrow miteinander.
(Foto: AP)
Nicht nur, dass Russland in Syrien Luftangriffe fliegt, verärgert die USA. Auch die Art, wie Washington davon erfährt, sorgt für Kritik. Zudem gibt es Zweifel, dass überhaupt der IS bombardiert wurde.
Die russischen Luftangriffe in Syrien haben Unmut in den USA ausgelöst. US-Außenminister John Kerry beschwerte sich über das russische Vorgehen bei seinem Kollegen Sergej Lawrow, wie ein hochrangiger US-Vertreter sagte. Kerry habe die Bombardements als "kontraproduktiv" eingestuft. Bei einem Gespräch mit Lawrow am Rande der UN-Vollversammlung in New York habe Kerry zudem betont, dass das russische Vorgehen dem Bemühen zuwiderlaufe, einen militärischen Zusammenstoß von Flugzeugen verschiedener Länder in Syrien zu vermeiden.
Verärgert zeigten sich die USA auch über die Art und Weise, wie sie über die bevorstehenden Luftangriffe Russlands informiert wurden. Der Sprecher des US-Außenministeriums, John Kirby, sagte dazu: "Ein russischer Vertreter in Bagdad informierte heute Morgen das Personal der US-Botschaft, dass russische Militärflugzeuge heute mit Anti-IS-Einsätzen über Syrien beginnen würden."
Nach Angaben eines US-Militärvertreters erfolgte die Vorwarnung etwa eine Stunde vor dem ersten Luftangriff, indem ein russischer General aus einem Geheimdienstzentrum in der irakischen Hauptstadt über die Straße zur US-Botschaft ging und dort mündlich über die bevorstehenden Luftangriffe informierte. Nach Angaben von US-Außenamtssprecher Kirby verlangte der russische Vertreter in Bagdad auch, "dass US-Flugzeuge den syrischen Luftraum während dieser Einsätze meiden" sollten.
Russland gießt "Öl ins Feuer"
US-Verteidigungsminister Ash Carter bezweifelte zudem, dass Russland vom IS kontrollierte Gebiete angegriffen hat. "Es scheint, dass sie in Gegenden waren, wo vermutlich keine IS-Kräfte waren", sagte Carter im Pentagon. Er warf Moskau vor, mit dem militärischen Einsatz "Öl ins Feuer" zu gießen. "Das russische Vorgehen ist zum Scheitern verurteilt", sagte Carter.
Auch Frankreichs Außenminister Laurent Fabius sagte in New York, es gebe Hinweise, dass die Angriffe nicht dem IS gegolten hätten. Aus Pariser Regierungskreisen hieß es, Ziel seien vielmehr "Oppositionsgruppen" gewesen. Dschamil al-Saleh von der Freien Syrischen Armee sagte der Nachrichtenagentur Reuters per Telefon, bei einem russischen Luftangriff in Hama seien acht seiner Kameraden verletzt worden. Russland wies die Vorwürfe zurück. Dies sei eine Verzerrung der Tatsachen, sagte eine Außenamtssprecherin am UN-Sitz in New York.
Die syrische Regierung begrüßte das Eingreifen Russlands: "Wir unterstützen und bedanken uns für die Initiative von Russlands Präsident Wladimir Putin", sagte der syrische Außenminister Walid Al-Muallem vor dem UN-Sicherheitsrat. Er rief die Länder der Region auf, sich der russischen Koalition anzuschließen. Nach eigenen Angaben flog Russland 20 Luftangriffe auf IS-Stellungen. Acht strategische Ziele seien bombardiert worden, teilte das Verteidigungsministerium mit. Ziele in der Nähe von "zivilen Objekten" seien nicht angegriffen worden.
Steinmeier fordert Aufklärung
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier verlangte von Russland Aufklärung über die genauen Ziele der Luftangriffe. "Bisher haben wir keine wirklich belastbaren Hinweise über Ziele und Methoden dieser Luftschläge", sagte er am Rande der UN-Vollversammlung in New York. Steinmeier forderte insbesondere eine internationale Abstimmung der militärischen Aktivitäten. Ansonsten bestehe "in dieser aufgeheizten Situation die große Gefahr, dass es zu weiteren Missverständnissen kommt".
Russlands Präsident Wladimir Putin forderte derweil von seinem Kollegen Baschar al-Assad Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Opposition. Er zähle auf Assads "Bereitschaft zum Kompromiss zum Wohl seines Landes und seines Volks", sagte Putin während einer vom Fernsehen übertragenen Sitzung des russischen Kabinetts.
"Eine endgültige und dauerhafte Lösung des Konflikts in Syrien ist nur auf Grundlage einer politischen Reform und eines Dialogs mit den vernünftigen Kräften des Landes möglich", fügte Putin hinzu. Er wisse, "dass Präsident Assad das versteht und zu einem solchen Prozess bereit ist". Die einflussreiche orthodoxe Kirche Russlands sprach nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax von einer "heiligen Schlacht".
Resolution im Sicherheitsrat
Zugleich dringt Russland auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrats für den Kampf gegen den IS. Ein entsprechender Entwurf werde noch im Laufe des Tages vorgelegt, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow bei einer Sitzung des mächtigsten UN-Gremiums in New York. Ziel sei eine Koordinierung von "allen Kräften, die sich gegen den Islamischen Staat und andere terroristische Strukturen erheben". Lawrow sagte, dass sein Land zur Einrichtung von "dauerhaften Kommunikationskanälen" mit den USA bereit sei, um die Militäreinsätze abzustimmen.
Russlands Präsident Putin hatte die Resolution bereits in seiner Rede bei der UN-Generaldebatte am Montag angekündigt. Er warb dabei für eine breite internationale Koalition gegen die IS-Miliz, die auch den syrischen Machthaber Assad einschließt. Der Westen fordert dagegen den Rücktritt von Assad und weist dem Staatschef die Verantwortung für den Bürgerkrieg in seinem Land zu.
Die Nato übte allerdings Kritik am russischen Handeln. Die Unterstützung Russlands für Assad sei "nicht konstruktiv", sagte ein hochrangiger Mitarbeiter der Militärallianz in Brüssel: "Assad ist Teil des Problems." Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg habe Russland dazu aufgefordert, "eine konstruktive und kooperative Rolle" im Kampf gegen den IS zu übernehmen.
Quelle: ntv.de, mli/AFP/rts/dpa