Schonungslose Wahlanalyse SPD will Kanzlerkandidaten früher festlegen
11.06.2018, 16:05 Uhr
Bei der SPD war im Bundestagswahlkampf 2017 vieles schief gelaufen. In Zukunft will die Partei besser vorbereitet sein.
(Foto: imago/Ralph Peters)
Für die SPD geht es in Umfragen bergab. Es ist nicht klar, wofür die Partei steht, heißt es in einer Analyse zur Wahlniederlage bei der Bundestagswahl. Deshalb startet die SPD ein Erneuerungsprogramm. Geplant ist, den Spitzenkandaten früher zu benennen.
Als eine Konsequenz aus der Schlappe bei der Bundestagswahl will die SPD ihren Kanzlerkandidaten künftig früher nominieren, um sich besser für den Wahlkampf aufzustellen. "Wir wollen die Spitzenkandidatur früher und geordneter erklären, als das bisher der Fall gewesen ist", sagte Parteichefin Andrea Nahles in Berlin. Die SPD habe bei der Kandidatenkür "mehr als einmal denselben Fehler gemacht".
Dies sei eine der Schlussfolgerungen aus einer Analyse der Bundestagswahl 2017, mit der die SPD eine externe kleine Beratergruppe beauftragt hatte. "Es fehlte ein klarer Kurs", sagte Nahles. Die SPD brauche "visionären Überschuss, also weniger Taktik".
Die Parteichefin will zudem die Parteizentrale neu organisieren. Ziel sei es, dass die SPD jederzeit kampagnenfähig sei. Die strategische Kommunikation sei "nicht auf der Höhe der Zeit". Die SPD müsse auch Streitthemen klären. "Erkennbarkeit braucht klare Prioritäten", sagte Nahles. Wo es Widersprüche gebe, müssten diese aufgelöst werden. In der Russlandpolitik etwa habe die SPD damit schon begonnen. Das gelte aber auch für den Umgang mit der Flüchtlingsfrage.
"SPD nicht kampagnenfähig"
Nahles hatte jüngst bei Teilen der Partei in der Flüchtlingsdebatte Empörung ausgelöst. Zur Vereinbarung mit der Union, die nordafrikanischen Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer einzustufen, hatte Nahles gesagt: "Wir können nicht alle bei uns aufnehmen." Ein Parteitag der Berliner SPD verurteilte diese Äußerung.
Der Bericht "Aus Fehlern lernen" wurde heute im Präsidium und im Parteivorstand beraten. Zu der kleinen Arbeitsgruppe gehörten auch ein Werbefachmann, ein Journalist und der SPD-Wahlkampfmanager für die Europawahl 2019. Die lange offen gelassene Kandidatenfrage sei ein Kardinalfehler gewesen, heißt es darin. Die SPD sei nicht kampagnenfähig, und es sei nicht erkennbar gewesen, wofür die Partei stehe.
"In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Sozialdemokratie zu einem Sanierungsfall geworden", steht in dem Bericht. Zudem habe Taktik eine zu große Rolle gespielt. Positionen seien mit Rücksicht auf den Koalitionspartner, Autofahrer oder Gewerkschaften ständig verwässert worden. Die Partei habe sich zu oft in eine Selbstfesselung begeben, die sie profillos gemacht habe. Die Analyse attestiert der SPD auch "eine tiefe Entfremdung zwischen sozialdemokratischer Basis und ihrer Führung". Für die Analyse waren Dutzende Parteifunktionäre, Experten und Meinungsforscher befragt worden.
Schlechte Umfragewerte in Bayern
Die ersten Bewährungsproben stehen der vor knapp zwei Monaten neugewählten Parteichefin Nahles im Oktober bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen bevor. Besonders düster sieht es für die Sozialdemokraten in Bayern aus: Dort liefert sich die SPD in Umfragen bei Werten zwischen zwölf und 14 Prozent ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Grünen und AfD um den zweiten Platz hinter der CSU.
Auch bundesweit kommt die SPD nicht aus dem Umfragetief und rangiert bei rund 18 Prozent, wie auch aus einem aktuellen RTL/n-tv-Trendbarometer hervorgeht. Bei der Bundestagswahl im September war die SPD auf gut 20 Prozent abgestürzt. Die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz war im Januar knapp acht Monate vor dem Wahltermin durch den Verzicht von SPD-Chef Sigmar Gabriel geklärt worden.
Bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 wurde der Kanzlerkandidat etwa ein Jahr vor der Wahl ohne lange Vorbereitung des jeweiligen Spitzenkandidaten ausgerufen. Bisher hatte es in der SPD stets geheißen, wenn der Kanzlerkandidat zu früh benannt werde, werde er schon vor der heißen Phase des Wahlkampfs verschlissen. Der Kandidat von 2013, Peer Steinbrück, hatte seinerzeit gesagt, ein zu früh benannter Kandidat werde "öffentlich platt gemacht wie eine Flunder".
Quelle: ntv.de, cam/rts/dpa