Islamkritiker bangt um sein Leben Salafist ruft Fatwa gegen Deutschen aus
11.06.2013, 16:04 Uhr
Hamad Abdel-Samad: Als Sohn eines Imam wuchs er als strikter Moslem auf. In Deutschland wandelte er sich zum Islamkritiker.
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Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung rügt die Regierung in Kairo. Das Auswärtige Amt bestellt den Geschäftsführer der ägyptischen Botschaft ein. Was ist geschehen? Ein Islamist fordert Muslime zum Mord an einem deutschen Staatsbürger auf – einem ausgesprochen bekannten.
Für gewöhnlich steht Hamed Abdel-Samad im Rampenlicht. Der deutsch-ägyptische Publizist ist ein beliebter Gast in Talk-Runden. Und mit dem Journalisten Hendryk M. Broder produzierte er 2010 eine 14-teilige Satire-Serie für die Öffentlich-Rechtlichen. Jetzt ist Abdel-Samad untergetaucht. Der 41-Jährige fürchtet um sein Leben.

Laut Abdel-Samad hat die Fatwa auch eine politische Dimension. Sie soll Ägyptens Präsident Mursi nutzen.
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Am Freitagabend hat der ägyptische Scheich Assem Abdel-Maged eine Fatwa gegen den Publizisten ausgerufen, eine Aufforderung an alle Muslime, den Schriftsteller umzubringen. Der salafistische Fernsehsender "Al-Hafez" verbreitete das Todesurteil landesweit. Von Abdel-Samads Verlag heißt es: "Wir sind schockiert über die Verfolgung unseres Autors." Der Untergetauchte selbst war für Interviewanfragen zunächst nicht zu erreichen.
Auslöser der Hatz war ein Vortrag, den Abdel-Samad in der vergangenen Woche in Kairo gehalten hat. Der Autor von Büchern wie "Mein Abschied vom Himmel" und "Der Untergang der islamischen Welt" vertrat darin eine scharfe These: Der religiöse Faschismus sei kein Phänomen einer verschrobenen Auslegung des Islam dieser Tage, der religiöse Faschismus sei im Islam selbst begründet und schon von Mohammed propagiert worden. Er erklärte, die Eroberung der Stadt Mekka durch die Anhänger des Propheten habe die Saat gelegt, aus der der "religiöse Faschismus" aufkeimte.
Schon kurz nach dem Vortrag veröffentlichen Salafisten Bilder Abdel-Samads im Internet und versahen sie mit dem Titel: "Wanted Dead". Offiziellen Charakter erhielt die Fatwa als Scheich Abdel-Maged, ein Führer der militanten islamistischen Bewegung "Dschamaa Islamiya", sich im Fernsehen zu Wort meldete.
Vom Antisemit zum Islamkritiker
Abdel-Samad kam 1972 in Ägypten als Sohn eines sunnitischen Imams zur Welt. 1995 zog er im Alter von 23 Jahren nach Deutschland und nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an. Damals war er noch strikter Moslem, dachte, die Lösung für alle Probleme liege im Islam. Konfrontiert mit seinem neuen Umfeld, veränderte sich seine Haltung aber langsam. Er wurde, wie er es in seinem Buch "Mein Abschied vom Himmel" beschreibt, auf Widersprüche in seinem Leben und in seiner Kultur aufmerksam. Heute forscht der frühere Antisemit am Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität München, ist Mitglied der deutschen Islamkonferenz. Seinen Glauben hat er bei seinem Wandel nicht abgelegt. Er setzt allerdings auf einen Islam ohne Scharia, Dschihad und Frauenverachtung.
Kurz nach dem Ausruf der Fatwa sagte Abdel-Samad "Spiegel Online", dass es bei der Morddrohung nicht nur eine religiöse Motivation gebe. "Abdel-Maged versucht, die Vorwürfe gegen mich zu instrumentalisieren und meine Religionskritik als repräsentativ für alle Oppositionellen darzustellen." So wolle er Kritik an Ägyptens Präsident Mohammed Mursi diskreditieren. Mit Mursi hat in dem Land am Nil nach der Revolution ein Vertreter der Moslem-Brüder das Amt des Staatspräsidenten übernommen. Abdel-Samad sah dies stets kritisch.
Bundesregierung verurteilt Mordaufruf
Auch angesichts dieses möglichen politischen Motivs forderte Abdel-Samad als deutscher Staatsbürger, dass die Bundesregierung die Fatwa verurteilt und Präsident Mursi auffordert, gegen die Urheber vorzugehen.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Markus Löning (FDP) reagierte nur kurz danach und sagte: "Der öffentliche Mordaufruf gegen Herrn Abdel-Samad ist durch nichts zu rechtfertigen. Ich erwarte, dass sich die ägyptische Regierung deutlich und unmissverständlich davon distanziert. Ich fordere die ägyptische Regierung auf, Meinungs- und Religionsfreiheit zu garantieren und die Sicherheit von Herrn Samad zu gewährleisten."
Aus Kreisen des Auswärtigen Amtes erfuhr n-tv.de, dass der Geschäftsführer der ägyptischen Botschaft einbestellt wurde. Vertreter der Bundesregierung forderten die ägyptischen Behörden in dem Gespräch demnach auf, die Veröffentlichung und Ausstrahlung von Mordaufrufen zu unterbinden.
Wie lange Abdel-Samad versteckt und in Sorge um seinen Kopf leben muss, ist völlig unklar. Der wohl bekannteste Autor, gegen den eine Fatwa ausgesprochen wurde, Salman Rushdie, blieb nach der Veröffentlichung seiner "Satanischen Verse" 1988 fast zehn Jahre lang im Untergrund.
Quelle: ntv.de