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Deutsche Firmen betroffen So piesackt Orban ausländische Unternehmen

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Orban hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil ausländischer Konzerne in manchen Branchen herunterzuschrauben - mit zweifelhaften Methoden.

Orban hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil ausländischer Konzerne in manchen Branchen herunterzuschrauben - mit zweifelhaften Methoden.

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

Sondersteuern, Regularien, Übernahme-Angebote: Ausländische Firmen werfen Ministerpräsident Orban vor, sie durch korrupte Methoden aus dem ungarischen Markt drängen zu wollen. Regierungsnahe Unternehmer sollen davon profitieren.

In Ungarn gibt es momentan ein Kräftemessen. Auf der einen Seite steht die Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban. Einige Unternehmen aus dem Ausland werfen ihr vor, sie mit korrupten Mitteln aus dem Land zu drängen, um sie unter regierungsnahen Unternehmern aufzuteilen. Auf der anderen Seite stehen die Betroffenen, die sich trotz hoher Verluste durch die Schikanen nicht aus dem ungarischen Markt verscheuchen lassen wollen. Da Budapest mit seinen Maßnahmen gegen EU-Recht verstößt, versucht die Europäische Union, Orban Einhalt zu gebieten.

In einer Resolution des Europäischen Parlaments vom Juni dieses Jahres zeigen sich Abgeordnete "entsetzt über Berichte über Einschüchterungsmethoden" wie Besuche der Geheimpolizei in Büros einiger Unternehmen, um diejenigen Teile der Industrie Ungarns, die als "strategisch" angesehen werden, unter die Kontrolle des unmittelbaren Umfelds des Ministerpräsidenten zu bringen.

Es gebe eine Art "Drehbuch", an das sich Orbans Regierung halte, um Druck auszuüben, heißt es im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft im Gespräch mit ntv.de. In einem ersten Schritt werden Sondersteuern erhoben, die dafür sorgten, dass die Firmen rote Zahlen schrieben. Anschließend verweigerten ungarische Behörden Genehmigungen, die Betriebe für ihre Arbeit brauchten. Schließlich werden willkürlich Regularien erlassen, die Arbeitsabläufe erschwerten. Am Ende des Prozesses stehe ein Übernahmeangebot von Konsortien oder Businessleuten, die der Regierung nahestehen.

Orban gängelt Firmen durch Notstands-Dekrete

Orban sucht sich dafür bestimmte Branchen aus, andere lässt er in Ruhe. Bereits vor Jahren nahm er neben dem Medien- auch den Energie- und Bankensektor ins Visier. Im Februar 2022 erklärte er in einer Rede vor der heimischen Industrie- und Handelskammer, dass er eine "spektakuläre Verbesserung des ungarischen Anteils" in diesen Sparten erreicht habe. Im selben Atemzug betonte er, es gebe noch immer "Branchen, in denen wir noch nicht gut aussehen".

Orbans rechtliche Handhabe, um die Firmen zu gängeln, kennt kaum Grenzen. Seit Frühjahr 2020 regiert er per Dekret durch. Möglich macht das der Notstand, den er zunächst aufgrund der Corona-Pandemie, dann aufgrund des Ukraine-Kriegs verordnete. Wie Insider ntv.de erzählen, habe Orban es nun etwa auf die Telekommunikation, den Einzelhandel und die Baustoffindustrie abgesehen.

Orbans Bemühungen haben bereits Früchte getragen. So haben die Telekommunikationsfirma 4iG und der ungarische Staat die Tochter des britischen Mobilfunkanbieters Vodafone erworben. Zudem übernahm die Indotek-Gruppe des Immobilieninvestors Daniel Jellinek 47 Prozent der französischen Warenhauskette Auchan im heimischen Markt. Berichte legen nahe, dass Jellinek Ungarns Regierung nahestehen soll.

Hunderte Kontrollen innerhalb weniger Monate

Im ungarischen Einzelhandel sind auch Supermarktketten wie Lidl, Aldi, Penny, die britische Tesco-Gruppe oder Spar aus Österreich vertreten. Die Supermärkte werden mit Sondersteuern drangsaliert, die schrittweise angehoben werden, erzählt eine mit dem Lebensmittelhandel in Ungarn vertraute Person, die anonym bleiben möchte, im Gespräch mit ntv.de. Hinzu kämen Hunderte Kontrollen innerhalb weniger Monate, bei denen Bußgelder verhängt werden. Problematisch seien auch Preisvorgaben für bestimmte Produkte, die dazu führten, dass einige Lebensmittel nicht mehr in Ungarn hergestellt werden könnten, sagt der Insider. So werde etwa der Preis für Vollmilch, nicht jedoch für fettreduzierte Milch gedeckelt. Verbraucher griffen deshalb eher zu der günstigen Vollmilch. Dadurch wird weniger fettarme Milch hergestellt. Bei der Produktion von fettarmer Milch entstehen jedoch Milchfette, die ungarische Hersteller für die Erzeugung von Käse- und Quark bräuchten. Diese Fette müssten nun aus dem Ausland importiert werden.

Regierungsnahe Oligarchen sollen dem Insider zufolge schon des Öfteren bei den internationalen Eigentümern angeklopft haben, um ein Verkaufsinteresse auszuloten. Die im Raum stehenden Kaufpreise entsprechen demnach nicht einem fairen Marktpreis.

Die Europäische Union hat bereits Maßnahmen ergriffen, um die Praktiken der ungarischen Regierung abzustellen. "Das wichtigste Druckmittel der EU ist die Einbehaltung europäischer Fördergelder", sagt Monika Hohlmeier, Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses des Europäischen Parlaments, im Gespräch mit ntv.de. Ungarn müsse Reformen für die Korruptionsbekämpfung vorantreiben, um wieder an die Mittel zu gelangen, so die CSU-Politikerin.

Orban füllt sich "Taschen mit Milliarden auch aus der EU"

"Die oft heftigen Reaktionen aus Ungarn mir gegenüber machen deutlich, dass Orban und seine Leute am Ende doch Angst davor haben, dass ihre Machenschaften enttarnt werden", sagt Katarina Barley, Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, ntv.de. "Orban, seine Familie und seine Freunde füllen sich die Taschen mit Milliarden Euro auch aus der EU", fügt die SPD-Politikerin hinzu. In diesem Zusammenhang verweist sie auf die katastrophale wirtschaftliche Lage des Landes. Die Inflation in Ungarn liegt zurzeit bei 25 Prozent, die Preise für Lebensmittel sind sogar um 55 Prozent gestiegen.

Die EU-Kommission richtet ihr Augenmerk zunehmend auf die wirtschaftlichen Folgen der Demokratiekrise in Ungarn. Sie hat bereits Vertragsverletzungsverfahren wegen des Abbaus des ungarischen Rechtsstaats eingeleitet, nun folgen weitere, weil Budapest gegen die Wettbewerbsregeln des Binnenmarktes verstößt. So hat die Kommission im Januar dieses Jahres ein Verfahren gegen die ungarische Sondersteuer auf Vorprodukte im Bausektor eingeleitet. Sie erkennt darin einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit, da das Gesetz sich gegen ausländische Firmen richtet. Die ungarische Regierung gibt dabei einen Verkaufspreis vor, der unter den Produktionskosten liegt. Auf den Betrag oberhalb dieses Preises müssen die Unternehmen eine "Übergewinnsteuer" von 90 Prozent entrichten. So machen sie bei Verkäufen unweigerlich Verluste.

EU-Kommission klagt vor dem EuGH gegen Ungarn

Der deutsche Konzern Heidelberg Materials unterhält gemeinsam mit der Baustoffgruppe Schwenk zwei Werke in Ungarn. Geschäftsschädigend wirke sich neben den oben genannten Sonderabgaben momentan vor allem eine CO2-Steuer aus, die gegen alle Regeln des EU-Emissionshandels eingeführt worden sei, sagt eine mit der Branche vertraute Person, die nicht namentlich nicht genannt werden möchte, im Gespräch mit ntv.de.

Besuch würden Bauunternehmer vom Verfassungsschutz bekommen, der sich nach dem Gang der Geschäfte erkundige. Für die Ausfuhr von Bauprodukten in andere EU-Mitgliedstaaten seien Genehmigungen notwendig, die nur in einem äußerst bürokratischen Verfahren beantragt werden könnten. Auch diese Ausfuhrbeschränkungen verstoßen gegen EU-Recht. Die Kommission kündigte im Januar an, vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen Ungarn zu klagen, da sie den freien Warenverkehr gefährdet sieht.

Nicht alle ausländischen Konzerne sind von den Maßnahmen betroffen. Deutsche Autohersteller etwa haben in Ungarn sehr gute Arbeitsbedingungen. Der Ost-Ausschuss erklärt das durch die Tatsache, dass die Industrie "gut bezahlte Arbeitsplätze schafft" und Ungarn dazu verhilft, "in der Wertschöpfungskette aufzusteigen". Zudem sei das Land auf das ausländische Know-how, insbesondere im Hightech-Bereich, nach wie vor angewiesen. Orban konzentriere sich deshalb auf "bürgernahe" Branchen, die gut auf nationaler Ebene funktionierten. Die unter Druck stehenden deutschen Unternehmen blieben derzeit noch standhaft, obwohl sie ihre ungarischen Ableger quersubventionieren müssten. Noch verweigerten sie den Verkauf, in der Hoffnung auf Unterstützung durch die Europäische Union. "Keiner will der Erste sein, der den Stein ins Rollen bringt", heißt es im Ost-Ausschuss.

Quelle: ntv.de

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