Treffen im Saarland Was will Gabriel von Lafontaine?
13.05.2016, 15:45 Uhr
Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender, Sigmar Gabriel leitet die Partei seit 2009.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die SPD steckt in der tiefsten Krise seit Jahrzehnten. Wie weiter? Sigmar Gabriel sucht nun das Gespräch mit einem früheren Vorsitzenden der Partei, der eigentlich als Persona non grata gilt: Oskar Lafontaine.
Es war die erfolgreichste Zeit der SPD in den vergangenen 30 Jahren. 1998 gewannen die Sozialdemokraten die Bundestagswahl mit furiosen 40,9 Prozent. Der neue Kanzler hieß Gerhard Schröder. Aber der Mann, der damals und in den Jahren zuvor die Geschicke der Partei leitete, war ein anderer: Oskar Lafontaine. Heute ist die SPD davon weit entfernt. Sie steckt in der wohl schwierigsten Phase seit der Gründung der Bundesrepublik. In Umfragen dümpelt die Partei bei 20 Prozent herum. Auf der Suche nach einem Weg zurück zu alter Stärke hat Sigmar Gabriel, seit 2009 SPD-Chef, bis heute kein Konzept gefunden.
Heute treffen die beiden zusammen, Lafontaine und Gabriel. Der Vizekanzler nimmt an einem industriepolitischen Kongress in der ehemaligen Völklinger Hütte im Saarland teil. Am Rande des Termins soll es ein Gespräch geben, so heißt es aus Parteikreisen, angeblich ohne konkrete Themen, angeblich auf Initiative des SPD-Chefs. Ausgerechnet mit Lafontaine.
Kein anderer steht so sehr für die Krise der SPD. Die rot-grüne Bundesregierung hatte erst ein halbes Jahr regiert, als Lafontaine im März 1999 völlig überraschend sein Amt als Finanzminister niederlegte. Er, der als Enkel des großen Willy Brandt und Hoffnungsträger galt, probte fortan den Aufstand gegen die eigene Partei. Öffentlich kritisierte er die Regierungspolitik der SPD. Und es wurde noch schlimmer. 2005 beteiligte sich Lafontaine an dem Wahlbündnis zwischen WASG und PDS. Bei der Bundestagswahl verlor die SPD das Kanzleramt an die Union. Vor allem wegen den Verlusten an Lafontaines neu gegründeter Linkspartei, die im Wahlkampf erfolgreich gegen die Agenda 2010 und die umstrittenen Hartz-Reformen mobilisieren konnte. Spätestens seitdem gilt der Saarländer als Reizfigur. Viele Genossen nehmen ihm den Seitenwechsel bis heute übel.
"Nicht eines Blickes gewürdigt"
Frank Schwabe kann sich noch gut an die Zeit erinnern. Der SPD-Abgeordnete zog 2005 erstmals in den Bundestag ein, zeitgleich mit der neuen Lafontaine-Partei. "Ich erinnere mich noch, wie Lafontaine und Müntefering sich im Aufzug begegnet sind und sich nicht eines Blickes gewürdigt haben", sagt er n-tv.de. Der Parteilinke tritt heute für einen offeneren Umgang mit den Linken ein. "Wir sind verschiedene Parteien, aber es gibt Möglichkeiten der Kooperation. An persönlichen Animositäten sollte es nicht scheitern."
Schwabe gehört zu den SPD-Politikern, die mit Grünen und Linken die größten inhaltlichen Schnittmengen sehen und nach der Bundestagswahl gern eine rot-rot-grüne Koalition bilden würden. Dass sich Gabriel und Lafontaine treffen, findet Schwabe gut. "Ich freue mich, dass das Verhältnis entspannt ist", so der 45-Jährige. Die Agenda 2010 habe zu einem Bruch der SPD mit ihrer Wählerschaft geführt, der bis heute nachwirkt. Der Parteichef versuche die Wunden zu schließen. "Lafontaine hat die SPD in einem wenig solidarischen Akt verlassen, aber das muss man jetzt so hinnehmen."
Gabriel hatte in der Vergangenheit schon unregelmäßigen Kontakt zu dem früheren Vorsitzenden. Lafontaine, inzwischen Linken-Fraktionschef im Saarland, lobte den Vizekanzler vor einigen Tagen sogar. Nachdem dieser in seiner Rede bei einer Parteikonferenz Fehler der SPD eingeräumt hatte, schrieb Lafontaine bei Facebook, Gabriel habe "viel Richtiges gesagt". Dennoch kritisierte Lafontaine, die SPD ziehe nicht die richtigen Schlüsse und bliebe Antworten schuldig. In einem Interview mit dem ZDF sagte er vor einigen Wochen auf die SPD-Krise angesprochen: "Das tut mir in der Seele weh, denn das ist ja ein Teil der Geschichte meines Lebens." Der 72-Jährige riet: "Aus den 20 Prozent wären sehr schnell wieder 30 Prozent zu machen, wenn diese Partei sich wieder klar und erkennbar als Interessenvertretung der Mehrheit der Bevölkerung versteht."
"Mit Lafontaine und Clement wären wir bei 35 Prozent"
Kann Lafontaine 17 Jahre nach seiner Flucht wirklich als Ratgeber dienen? Was will Gabriel mit ihm bereden? In der Partei ist man bemüht, die Bedeutung des Treffens herunterzuspielen. "Das ist doch unspektakulär. Es gehört zum guten Brauch, dass man sich mit Parteivertretern aller Richtungen austauscht. Lafontaine steht nicht unter Quarantäne", sagt der SPD-Abgeordnete Klaus Barthel. Axel Schäfer sagt n-tv.de: "Warum sollen die beiden nicht reden?" Der Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion verweist auf den Juli 2015, als Gabriel das Buch Wolfgang Clements vorgestellt hatte. Der frühere SPD-Bundesminister war im Streit ebenfalls aus der Partei ausgetreten. "Ein Vorsitzender, der an die Zukunft der Partei denken muss, sollte solche Möglichkeiten nutzen. Das ist doch keine Verbrüderung", sagt er. Was Gabriel aus den Hinweisen in den Gesprächen mache, sei ihm überlassen. Schäfer ist sich sicher: "Wären Lafontaine und Clement noch in der SPD, würden wir bei 35 Prozent stehen."
Dass Gabriel und Lafontaine tatsächlich die Grundfesten einer gemeinsamen Koalition nach der nächsten Bundestagswahl ausloten könnten, glaubt kaum jemand in der SPD. Auch Parteilinke machen sich keine Illusionen. Zu deutlich war Gabriels Absage an einen Linkskurs auf dem Parteitag im Dezember. Es sei häufig nicht klar, was Gabriel bezwecke, hört man aus SPD-Kreisen. Was er kurzerhand für eine gute Idee halte, folge nicht unbedingt einer Linie. Heute so, morgen so. Das sind sie gewohnt von ihrem Vorsitzenden.
Und was denken die Linken über das Treffen? Als er davon erfahren habe, sei er überrascht gewesen, sagt Stefan Liebich, der dem pragmatischen Flügel der Partei angehört. "Es kann nur gut sein, miteinander zu reden. Von der Zuspitzung zwischen der SPD und uns habe ich nie viel gehalten." In der Vergangenheit sah Liebich Gabriel als Haupthindernis für Rot-Rot-Grün. So habe dieser sich etwa gegen die Bildung gemeinsamer Arbeitsgruppen ausgesprochen. "Aber wenn er sich eines Besseren besinnt und Möglichkeiten für einen Machtwechsel sieht und Lafontaine dazu einen Beitrag leistet, würde ich mich sehr freuen."
Quelle: ntv.de