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Weg nach Berg-Karabach versperrt Zigaretten, Kaffee und Verzweiflung am armenischen Grenzposten

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Mit dem Fernglas können die wenigen armenischen Sicherheitskräfte in Konidzor die Zerstörung in Berg-Karabach sehen - tun können sie jedoch nichts.

Mit dem Fernglas können die wenigen armenischen Sicherheitskräfte in Konidzor die Zerstörung in Berg-Karabach sehen - tun können sie jedoch nichts.

(Foto: REUTERS)

Die Separatisten in Berg-Karabach haben kapituliert. Die aserbaidanische Armee übernimmt die Kontrolle über die Gebirgsregion. Wenige Kilometer entfernt an der armenischen Grenze wollen die Menschen helfen, sind aber zur Tatenlosigkeit verurteilt.

Die Menschen rauchen Kette und halten Pappbecher mit Kaffee in der Hand. Zugleich schauen sie besorgt auf die andere Seite des Tals - dorthin, wo Berg-Karabach liegt. Einige von ihnen sind seit Tagen hier am armenischen Checkpoint Kornidsor, der nur von einer Handvoll Soldaten bewacht wird. In ihren Autos übernachtend oder auch im Freien schlafend, warten die Menschen darauf, dass die Grenze endlich geöffnet wird und ihre Familien und Freunde aus der umstrittenen Kaukasus-Enklave herauskönnen.

Aserbaidschan hat in dieser Woche nach einer Blitzoffensive die volle Kontrolle über die vom Weinanbau dominierte, bergige Region wiedergewonnen. Seitdem steigt auch international die Sorge um das Schicksal der rund 120.000 armenischen Bewohner Berg-Karabachs. Viele von ihnen haben dort offensichtlich ihre Handys ausgeschaltet, um angesichts der zusammengebrochenen Stromversorgung den Akku zu schonen. Diejenigen, die gelegentlich aus Berg-Karabach anrufen oder Nachrichten schreiben, berichten auch von Mangel an Treibstoff und Grundversorgungsmitteln. Es herrscht ein Gefühl der Angst vor den heranrückenden Streitkräften aus Aserbaidschan.

Umgeben von Schäfern und ihren Herden machen die armenischen Soldaten in der winzigen Grenzstadt Kornidsor Platz für russische Hilfskonvois, die seit vergangener Woche in unregelmäßigen Abständen ankommen. Die einzige andere armenische Straße nach Berg-Karabach, der sogenannten Latschin-Korridor, ist seit einer Blockade durch Aserbaidschan im Dezember geschlossen. Die Bewohner Berg-Karabachs sind de facto eingesperrt.

"Da war eine Kirche"

Am Samstag passiert immerhin ein erster Hilfskonvoi des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) den Grenzposten Kornidsor. Er bringt über den Latschin-Korridor Lebensmittel und humanitäre Güter nach Berg-Karabach.

Einer der Männer, die am Grenzposten warten, hat sich ein Fernglas von einem Soldaten geliehen. Er sucht nach Anzeichen für das Ausmaß der Zerstörung in einem kleinen Dorf am anderen Ende des Tals. "Da war eine Kirche. Ich kann den Glockenturm nicht mehr sehen. Sie wurde zerstört", murmelt er und läuft wütend davon.

Der 28-jährige Garik Sakarjan lebte bis Dezember in dem kleinen Dorf in Berg-Karabach, wie er sagt. Er habe die Gefahr kommen sehen und sei mit seiner Familie abgehauen - drei Tage, bevor der Latschin-Korridor geschlossen wurde. Am Dienstag wurde sein Heimatdorf bombardiert. Niemand wurde getötet, die rund 150 Einwohner fanden Schutz nahe einem russischen Militärlager. "Ich bin seit drei Tagen und Nächten hier", sagt Sakarjan. Er habe keine große Hoffnung, seine Freunde bald wiederzusehen, "aber ich konnte nicht einfach nichts tun".

Die zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan seit Langem umkämpfte Kaukasus-Enklave Berg-Karabach gehört zwar völkerrechtlich zum überwiegend muslimischen Aserbaidschan, wird aber mehrheitlich von christlichen Armeniern bewohnt. 1991 hatte sich Berg-Karabach nach einem international nicht anerkannten und von der aserbaidschanischen Minderheit boykottierten Referendum für unabhängig erklärt.

Im sogenannten 44-Tage-Krieg im Jahr 2020 konnte Aserbaidschan große Teile des Gebiets der selbst ernannten Republik Berg-Karabach zurückerobern und deren Kampfkraft nahezu zerstören. Viele Armenier gingen daher davon aus, dass Baku eines Tages versuchen würde, die gesamte Region wieder unter seine Kontrolle zu bekommen - was am Mittwoch dann auch passierte. Die Vertreter des De-facto-Staats Berg-Karabach kapitulierten innerhalb von 24 Stunden und erklärten sich zu Verhandlungen über eine Wiedereingliederung in das aserbaidschanische Territorium bereit.

Computer im Ankunftszentrum laufen schon

Die armenische Regierung geht zwar von "keiner direkten Bedrohung" für die Zivilisten der Region aus, bereitete sich aber auf die Aufnahme von 40.000 Familien vor. Sollte die Straße demnächst freigegeben werden und Menschen aus Berg-Karabach nach Armenien kommen, würden sie als Erstes ein vom armenischen Außenministerium und einer örtlichen Nichtregierungsorganisation aufgebautes Ankunftszentrum sehen. Geleitet wird dies von der 29-jährigen Jana Awanesjan.

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Die Jura-Dozentin an der Universität in der Gebietshauptstadt Stepanakert hatte im August 2022 ein einjähriges Stipendium für die USA erhalten. Bei ihrer Rückkehr war sie ausgesperrt, wegen der aserbaidschanischen Blockade konnte sie nicht zurück nach Berg-Karabach kehren.

Wie viele andere, die mit ihren Angehörigen telefonisch in Verbindung stehen, beschreibt sie die Situation in der Region als "schrecklich". "Wir hoffen, die Evakuierungen beginnen bald", sagt Awanesjan. Es werde nicht leicht sein, die Flüchtlinge unterzubringen, weil Armenien ein kleines Land sei. "Doch das Volk von Berg-Karabach hat viele Verwandte hier und sie erwarten Hilfe von ihnen." Im künftigen Ankunftszentrum laufen die Computer für die Registrierung schon. Doch niemand tippt. Stattdessen stehen Menschen rauchend am geschlossenen Grenztor. Und warten.

Quelle: ntv.de, Thibault Marchand, AFP

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