Sonderermittler für die NSA-Affäre Dieser Vorschlag ist unverschämt
17.06.2015, 16:30 Uhr
Die Abhörstation des BND in Bad Aibling steht im Mittelpunkt der Affäre. Hier wurden die Selektorenlisten eingesetzt.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Bundesregierung macht sich lächerlich und etliche Bundestagsabgeordnete geben sich einem gewissenlosen Pragmatismus hin. Nichts Geringeres bedeutet es, dass nun ein Ermittlungsbeauftragter von Merkels Gnaden Einblick in die NSA-Selektorenliste bekommen soll.
Die Bundesregierung will in der NSA-BND-Affäre einen Sonderbeauftragten benennen. Ein unverfrorener Wunsch. Noch unerträglicher ist nur, dass der Bundestag ihr diesen Wunsch wohl tatsächlich erfüllen wird.
Eigentlich haben die Abgeordneten des Parlaments eine vollkommen legitime Forderung. Seit Wochen pochen sie auf Einblick in die sogenannte Selektorenliste. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von E-Mail-Adressen, Telefonnummern und anderen Suchbegriffen, die der US-Geheimdienst NSA seinem deutschen Partner BND im Rahmen einer Kooperation zugespielt hat. Eigentlich, um in Krisenregionen wie Afghanistan Informationen zu sammeln. Doch die NSA hat die Kooperation auch dazu missbraucht, Ziele in Europa auszuspähen.
Die Forderung der Abgeordneten ist legitim, weil sich nur mit der Selektorenliste herausfinden lässt, welches Ausmaß die Spähmanöver der Amerikaner hatten. Und nur mit der Liste lässt sich beurteilen, wie groß die Mitschuld des deutschen Dienstes am verpönten Ausspähen unter Partnern ist. Es geht um die rechtlich abgesicherte Möglichkeit des Parlaments, die Geheimdienste zu kontrollieren.
Rechtswidriges Gebaren
Das Kabinett offenbart nun, dass es aus Angst um die diplomatischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten bereit ist, die Rechte des Parlaments zu missachten. Nur eine Person, der Sonderermittler, soll Einblick bekommen und den Abgeordneten nur gefiltert Inhalte aus der Selektorenliste übermitteln. Zwar darf der Bundestag den Beauftragten vorschlagen, doch die Bundesregierung behält das letzte Wort. Ist ihr ein Kandidat nicht genehm, kann sie ihn ablehnen. Das ist eine Frechheit.
Schon jetzt ist sicher, dass sich die Bundesregierung wegen dieses Gebarens vor dem Verfassungsgericht verantworten muss. Denn juristisch lässt es sich kaum begründen. Laut Paragraph 10 des Untersuchungsausschussgesetzes (PUAG) darf der NSA-Untersuchungsausschuss einen Ermittlungsbeauftragten bestellen. Der kann den Ausschussmitgliedern bei der Auswertung von Informationen helfen. Es ist aber nicht vorgesehen, dass er seine Ergebnisse zensiert, bevor er sie an die Ausschussmitglieder übermittelt. Zudem muss er unabhängig sein, auch von der Bundesregierung.
Auch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr), das in erster Linie für die Überwachung der Geheimdienste zuständig ist, kann einen Sonderermittler einberufen. Doch auch er muss unabhängig von der Bundesregierung sein.
Eine Gewissensfrage
Natürlich hat auch die Bundesregierung die Möglichkeit, einen Sonderermittler zu bestellen. Nur ist das angesichts des konkreten Problems vollkommen absurd. NSA-Ausschuss und PKGr sollen als Vertreter des Bundestages schließlich nicht nur die Arbeit der Geheimdienste kontrollieren, sondern auch die der Bundesregierung. Die Bundesregierung fordert im übertragenen Sinne, dass sich ein Angeklagter den eigenen Richter aussucht.
Und so ist es kaum zu glauben, was sich abzeichnet - dass die Abgeordneten von Union und Sozialdemokraten den Sonderermittler der Bundesregierung mit ihrer Mehrheit im Parlament ermöglichen. Natürlich sind die Fraktionen der regierenden Parteien bemüht, es dem Kabinett so leicht wie möglich zu machen. Warum auch nicht. Aber wenn es um Grundsätze der parlamentarischen Demokratie geht - in diesem Fall, dass die Legistlative die Exekutive kontrolliert - darf nicht der Pragmatismus triumphieren. Hier ist das Gewissen eines jeden Abgeordneten gefragt. Das Parlament ist im Begriff, sich selbst zu entmachten.
Quelle: ntv.de