Wieduwilts Woche Das Ende der Ampel: Sag beim Abschied leise "ich"


60 Mal "ich": Scholz im Bundestag.
(Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)
Olaf Scholz begeistert nicht einmal mehr die eigenen Leute und Robert Habeck lädt zum Kuscheln in der Küche. Ausgerechnet Friedrich Merz wandelt sich zur Sehnsuchtsfigur - cool!
Wenn Sie von der Demokratie so richtig die Schnauze voll haben, dann habe ich gute Nachrichten: Die feinen Damen und Herren Bundespolitiker und ihre Lakaien müssen die nächsten zig Jahre ihre Plakate im Dunkeln und in der Kälte kleben - durch die Neuwahlen wird bis auf Weiteres im Winter gewählt, wenn nicht auch die nächste Koalition früh zerbricht.
Das war's aber auch mit den Lichtblicken. Am 23. Februar wird gewählt und bis dahin erwartet uns ein kurzer, vermutlich schmerzhafter Wahlkampf. Wie stellen sich die Parteien und Kandidaten auf?
Für CDU und SPD haben sich die Vorzeichen umgekehrt, vergleicht man das Jahr 2024 mit dem Jahr 2021: Diesmal ist es die SPD, die mit einem erkennbar ungeeigneten Kandidaten ins Rennen zieht, sich aber wegen Parteibinnenlogik nicht zu etwas Besserem durchringen will. Armin Laschet kommt aus dem Lachen gar nicht mehr heraus - aber jetzt darf er ja.
Die SPD verliert alle Hemmungen
Die Sozialdemokraten werden einen industriepolitischen Wahlkampf führen, Investitionen predigen, so tun, als hingen Renten alter Menschen davon ab, ob die Ukraine einen Marschflugkörper bekommt. So wird sie das Kunststück vollführen, gleichzeitig "Zusammenhalt" zu predigen und zugleich ein Brecheisen in die Gesellschaft zu drücken. Politik paradox!
Die Partei wird womöglich lästige, anstandsbedingte Hemmungen ablegen: So hat ein Abgeordneter der SPD-Fraktion gerade ein per KI gefälschtes Video verbreitet, in dem Friedrich Merz angeblich die Demokratie verachtet - ganz so, als wäre es nicht die SPD, die sonst als erstes Gefahren von KI heraufbeschwört und sich als letzte Bastion gegen Desinformation vermarktet. "Zusammenhalt", aber mit Augenmaß.
Einer ist nun ganz bei sich: Nie wirkte Olaf Scholz zufriedener als nach seinem größten beruflichen Reinfall. Bei Caren Miosga hört man ihn sagen, er halte sich für "cooler" als Merz. Beim Schlagabtausch im Bundestag sagt er - das kann man nachzählen - über sechzig Mal das Wort "ich"! Zum Vergleich: Friedrich Merz kam da nur auf ein Dutzend. Dabei trägt der die Silbe sogar im Namen.
Die Union ruft zur Ordnung
Überhaupt, Merz: Der findet gerade eine Rolle, die ihm gut passt. Der oft strombergig-steif auftretende Konservative hätte sich geifernd am Ampel-Chaos und den taktischen Spielchen des Kanzlers abarbeiten können. Aber die Union hat kapiert, was die Stunde geschlagen hat: Aggressivität ist gerade nicht gefragt.
Und so räumte Merz geradezu demütig in seiner Rede im Bundestag ein, alle und auch die Union könnten mal falschliegen, auch die Union müsse nun um Stimmen werben - und dann endet der Sauerländer auf jenem Wort, das die Sehnsucht vieler Bürger in Deutschland wohl am besten verkörpern dürfte: "Ordnung".
In die wolle man Deutschland wieder bringen, fordert auch CSU-Chef Markus Söder. Mehr Pünktlichkeit statt "woke" - na ja. Aber, immerhin: Hier hat jemand einen Sound gefunden. Die Schwesterparteien arbeiten zusammen, statt sich zu torpedieren.
Die Grünen: Emotion statt Inhalt
Und die Grünen? Robert Habeck hatte seine Kandidatur per Kurzvideo verkündet, mit einem Taylor Swift-Bändchen, dann inszenierte er sich am Küchentisch. Das ist ein klug gewähltes Bild: Der Abendbrottisch ist Sinnbild für die von Sorgen geplagten Bürger, die nach einem langen Tag im Kreise ihrer Lieben über Inflation und Rezession verzweifeln - bisschen kitschig, aber die Deutschen mögen das. Daran kann man anknüpfen, Nahbarkeit und Zugewandtheit zeigen.
Mit Inhalten können die Grünen ohnehin kaum punkten: Klimaschutz ist out, die Klimaschutzkonferenz schwänzten auffällig viele Staatsvertreter. Für kluge Wirtschaftspolitik kann Habeck dank Heizungsgesetzdebakel nur so glaubwürdig werben wie das Krümelmonster für zuckerfreie Ernährung. Die Grünen stehen für viel, aber nachweisbar nicht für wirtschaftliche Kompetenz.
Ein "einiges Europa" und "die Demokratie" wiederum sind lobenswerte Werte, die Außenministerin Annalena Baerbock im Bundestag zu Recht beschwor. Das sorgt für Applaus in Studenten-WGs - aber taugt kaum zum Kampf in den Niederungen des Wahlkampfs. Da geht es bekanntlich um Euros, Autos, Bratwurst.
Die Liberalen: Lindners letzter Tanz
Die FDP schreibt in diesem Winter vielleicht ihr letztes Kapitel. Ihre Anhänger haben den Bruch der Ampel überwiegend beklatscht: Derzeit balanciert die Partei wieder im Zwischenhoch, auf der 5-Prozent-Hürde. Nach diesem Ampel-Aus dürfen sich die Liberalen aber keine außerparlamentarische Opposition mehr leisten.
Wenn sie es wieder in den Reichstag schaffen, steht ihnen der schwierigste Kampf noch bevor: Eine Unterhaltung über die Schuldenbremse mit dem künftigen Koalitionspartner. Dieses Instrument wird von niemandem sonst mehr kompromisslos verteidigt - sogar Friedrich Merz hat seinen Widerstand gegen das Instrument gerade öffentlich relativiert. Der Staat muss investieren, nicht zuletzt in Verteidigung, wie nie zuvor.
Andererseits ist die Treue zur Bremse ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem sich die FDP auch von der Merz-CDU abgrenzen kann - am Ende kann das beiden Parteien nützen.
AfD, BSW, oweh oweh
Und die anderen? AfD und auch das aktuell schwächelnde BSW profitieren vom "Schnauze voll"-Sentiment in der Bevölkerung, all jenen, denen Demokratie und ihre Protagonisten suspekt sind. Von ihnen wird noch in einer eigenen Kolumne zu schreiben sein, eines sei vorweggenommen: Für die Populisten weht der Wind so günstig wie vielleicht nie zuvor.
Eines ist heute so wahr wie vor drei Jahren: Wer da draußen in dunklen Winternächten Plakate an Laternen bindet und sich an Info-Ständen von Bürgern beschimpfen lässt, leistet seinen oder ihren Dienst an der Demokratie. Wir sollten zwischen Spott, Häme und Abscheu jedem dankbar sein, der sich für den Zirkus noch die Jacke überzieht.
Quelle: ntv.de